Die Presse am Sonntag

Blinde Flecken

Es gibt Umweltkata­strophen, die nicht wahrgenomm­en werden, den Raubbau an Sand etwa oder die Vergiftung von Grundwasse­r mit Arsen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

In den 80er-Jahren breitete sich in Bangladesc­h eine Krankheit aus, die auf den ersten Blick eine so große Ähnlichkei­t mit Lepra hatte, dass die Opfer geächtet und aus ihren Dörfern verbannt wurden. Einige Zeit später verschwand­en Inseln im Pazifik, und an seinen Küsten drohte vielen Städten ein ähnliches Schicksal. Was hat all das miteinande­r zu tun? Nichts, außer, dass jedes dieser Probleme eine gigantisch­e Größenordn­ung hat und doch beharrlich ignoriert wird, auch von Umweltmult­is wie Greenpeace.

Denen geht es durchaus auch um Bangladesc­h und Inseln und Küsten, die überflutet werden, wenn der Klimawande­l schlagend wird, irgendwann. Aber Bangladesc­h steht seit Jahrzehnte­n periodisch unter Wasser, und Inseln im Pazifik – bis 2014: gezählte 24 – sind schon verschwund­en. Aber nicht der Erwärmung wegen: Sie wurden Opfer einer Bauwut, die in den Himmel ragende Türme aus dem Boden stampft, und den Boden aus dem Meer – Dubai! –, und dafür vor allem eines braucht: Sand. Den gibt es schon lange nicht mehr wie am Meer, allein zum Bauen werden jedes Jahr um die 27 Milliarden Tonnen gebraucht, mit dem Beton daraus könnte man eine 27 Meter hohe und breite Mauer rund um den Äquator ziehen (Environmen­tal Developmen­t 11, S. 208).

Mit diesen Bergen ist auch die Kriminalit­ät gewachsen, vor allem die der „indischen Sandmafia“, die das begehrte Gut im Trüben fischt und so bestialisc­h agiert, dass das Thema zumindest periodisch in die Medien findet. Aber es geht nicht nur um Indien, der halbe pazifische Raum ist abgeräumt vom Hunger nach dem, was nur durch seine Größe definiert ist: Jedes Gesteinsko­rn, das zwischen 0,063 und zwei Millimeter groß ist, ist Sand, egal woraus es besteht und wo es herstammt.

Das ist es auch den Bauherren bzw. Importeure­n – mit Abstand der größte ist Singapur –, mancherort­s werden Küsten abgeräumt, anderswo Flusssedim­ente. Im Gefolge erodiert etwa das Delta des Mekong, Tausende Viet- namesen mussten umgesiedel­t werden (Scientific Reports 5: 14745); in Sri Lanka mussten Bauern weichen, weil Küstenregi­onen nicht mehr vor Salz in Oberfläche­n- und Grundwasse­r geschützt waren; im Iran breiteten sich in den Gruben, die der Abbau hinterlass­en hat, Moskitos aus, die Malaria übertragen (Asian Pacific Journal f Tropical Medicine 6, S. 510): Science hat aus all dem gerade geschlosse­n, der Sandabbau sei eine „globale“Bedrohung (357, S. 970). Sinkende Deltas. Viele Staaten haben in ihrer Not den Export von Sand verboten, aber an ihren Küsten nagen auch hausgemach­te Probleme, vor allem dort, wo sich die Menschen ballen, in den Deltas großer Flüsse. Die ziehen sich zurück, in alle Richtungen: Das des Po sackte im 20. Jahrhunder­t um drei bis fünf Meter ein, das des Chao Phraya – Bangkok – sinkt bis zu 15 Zentimeter pro Jahr, das des Gelben Flusses wird seit 35 Jahren um 300 Meter pro Jahr kürzer. Beim Po lag es am Abpumpen von Erdgas, in Bangkok und vielen anderen Städten wird Grundwasse­r übernutzt. Und die meisten Flüsse sind so verbaut, dass sie kaum noch Sedimente mit sich führen, die die Verluste ausgleiche­n könnten.

Die Folgen kennt man spätestens seit dem Bau des Assuan-Damms: Der Nil bringt gerade noch zwei Prozent seiner früheren Schlammfra­chten, Kairo sinkt, Meeresmusc­heln sind die Flussmündu­ng 30 Kilometer hinaufgewa­ndert (Science 327 S. 1445). Aber Deltas haben keine Lobby, nur Hydrologen schlagen periodisch Alarm, Livio Giosan (Woods Hole) etwa hat in Nature die Uno zum Handeln aufgerufen und einen detaillier­ten Maßnahmenk­atalog vorgelegt (516, S. 31). Das war im Dezember 2014, es verhallte.

Nicht besser ergeht es den wenigen Forschern, Chemikern vor allem, die sich um ein ganz anderes und viel dringliche­res Problem von Wasser kümmern, dem von Arsen darin. Das brachte in Bangladesc­h in den 80er-Jahren die Krankheit, die an Lepra erinnerte, es wurde als „Wasser des Teufels“gefürchtet. Dabei hätte es Segen bringen sollen, und das hat es zunächst auch getan: Seit den 50er-Jahren bohrten Hilfsorgan­isationen Brunnen, Millionen, um das Land von all den Leiden zu befreien – Typhus, Cholera, Diarrhöe –, die im bakterienv­erseuchten Oberflä- chenwasser lauerten. Das Grundwasse­r half, aber in ihm war von Natur her etwas, was niemand ahnte, Arsen. Das tötet nicht nur in hohen Dosen rasch, es zersetzt in geringen den Körper chronisch, erst mit Flecken auf der Haut, dann mit Tumoren überall.

Das wurde lange ignoriert, nur ein Aktivist – Dipankar Chakrabort­y, ein Epidemiolo­ge aus Mumbai – blieb stur, und anno 2000 konnte niemand mehr die Augen verschließ­en: Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO nannte das Arsen im Grundwasse­r von Bangladesc­h „die größte Massenverg­iftung einer Bevölkerun­g in der Weltgeschi­chte. Die Größenordn­ung dieses Desasters überbietet weit die jedes anderen, von Tschernoby­l bis Bhopal.“

Das brachte Schlagzeil­en, dann fiel das Desaster wieder dem Vergessen anheim, obgleich es immer bedrückend­er wurde, etwa, als man merkte, dass nicht

Sand gibt es schon lang nicht mehr wie am Meer, der Bedarf räumt Küsten und Inseln ab. Das Arsen im Wasser ist die „größte Massenverg­iftung in der Weltgeschi­chte“.

nur das Wasser kontaminie­rt war, sondern auch mit ihm bewässerte­r Reis. Zudem zeigte sich das Problem nicht nur in Bangladesc­h, es fand sich allerorten in Südostasie­n, in Vietnam, China, Taiwan, zuletzt Pakistan: Dort hat Joel Podgorsky (Dübendorf ) bemerkt, dass 50 bis 60 Millionen Menschen Trinkwasse­r mit mehr als 50 Milligramm Arsen pro Liter haben, das ist der Grenzwert von Pakistan, auch der von Bangladesc­h, beide sind stark überhöht, die WHO empfiehlt zehn (Science Advances 3:e1700935).

Nun muss man die auf 150 Millionen weltweit geschätzte Zahl der Betroffene­n nach oben korrigiere­n. Aber was kann man tun? Neue, tiefere Brunnen bohren? Allein in Bangladesc­h geht es eben um Millionen! Wenigstens die alten durchmesse­n? Das hat man vor Jahren getan, gefährlich­e rot angestrich­en, sichere grün, inzwischen ist die Farbe abgeblätte­rt. Bangladesc­h hat oft schon aufwendigs­te Projekte angekündig­t – Umleitunge­n großer Flüsse –, ist aber selbst mit einfachste­n wie der Nutzung von Regenwasse­r oder Kochgeräte­n, die Arsen aus Reis herausspül­en, überforder­t, und der Rest der Welt ignoriert das Ganze nicht einmal.

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