Als dem Friedhof die Särge abhandenkamen
Die Zahl der Wiener, die sich nicht traditionell bestatten lassen wollen, steigt. Wer will, kann seine letzte Ruhe im Wald finden – zur Erinnerung gibt es Totenmasken und Diamanten. Doch neue Zeremonien werfen neue Fragen auf: Haben wir verlernt loszulass
Die Mutter von Lydia Skarits (54 J.) wollte kein Grab. Dabei hätte es sogar eines in der Familie gegeben. Doch schon zeit ihres Lebens war der Frau der Gedanke, dort bestattet zu werden, nicht angenehm. „Das kostet viel Geld, und für euch ist das ein Aufwand“, sagte sie ihren Töchtern. Sie hatte sich aufgrund ihrer Krankheit schon länger mit dem Tod beschäftigt.
Es war reiner Zufall, dass Skarits eines Tages den Naturfriedhof Wald der Ewigkeit beim Wandern in Wien/Mauerbach fand. „Es war so eine gute, besondere Stimmung dort; es war einfach schön.“Sie habe sich vorgestellt, dass ihre Mutter unter einem der Bäume liegen würde. „Es war berührend. So, dass man sich denkt, das passt.“Die Mutter sei sehr naturverbunden gewesen, hätte viel Zeit im Garten verbracht. Skartis nahm den Prospekt mit und zeigte ihn der Mutter, die sofort vom Friedhof angetan war. „Und damit war auch das besprochen.“Ihre Mutter sollte im Wald ihre letzte Ruhe finden.
Ihre Entscheidung ist keine ungewöhnliche. Auch wenn Erdbestattun- gen noch immer dominieren, werden sie in Wien jedes Jahr weniger, bei einer konstanten Anzahl an Toten. Dafür steigt die Zahl der Feuer- und der naturnahen Bestattungen, bei denen die Asche in einer Urne unter einem Baum, Strauch oder in der Wiese begraben wird. Den Friedhöfen kommen Trauer so, bildlich formuliert, langsam die Särge abhanden. Gab es 2012 noch rund 10.000 Erdbestattungen bei der Bestattung Wien, waren es fünf Jahre später um rund 1500 weniger, gleichzeitig sind die Feuer- und Urnenbestattungen leicht gestiegen. Derzeit sind auf jedem Friedhof in Wien Plätze frei, und das, obwohl man früher Jahre auf ein Grab warten musste. Tabubruch bei der Bestattung. Das hat auch mit den Möglichkeiten zu tun, der Trend zum individuellen Begräbnis ist da. Gab es früher noch Tabus, sind sie durch die zunehmende Säkularisierung gefallen. „Vor Jahren wäre es noch ein Skandal gewesen, wenn man die Asche in einen Springbrunnen gibt, damit das Wasser sie verstreut oder einen Luftballon steigen lässt. Heutzutage ist das ein anerkanntes Ritual“, sagt Thomas Nagy, der für die Bestattung Wien Trauerbegleitung anbietet.
Bei der Bestattung Wien, mit Abstand größter Bestatter der Hauptstadt, werden mittlerweile (mit Kooperationspartnern) Seebestattungen in der Donau, im Mittelmeer oder in der Nordsee angeboten. Wer will, kann sich im Orangenhain oder Pinienwald beisetzen lassen, im Obst- oder Weingarten oder im Rasengrab. Dafür muss die Asche zum Teil ins Ausland gebracht werden. In Österreich ist Ausstreuen, bis auf definierte Flächen, verboten.
Die naturnahen Bestattungen haben 2016 bei der Bestattung Wien insgesamt 270 Menschen in Anspruch genommen, Tendenz steigend. Über 200 Menschen haben (seit der Einführung 2006) ihre Asche zu Diamanten verarbeiten lassen. 500 Angehörige nehmen jährlich die Urne mit nach Hause.
Auch die Bestattungszeremonie hat sich geändert. In Wien können historische Pferdekutschen gebucht werden, auf LCD-Bildschirmen wird auf Wunsch ein Lebensrückblick gezeigt. Angehörige können den Sarg bemalen und Verstorbene von sich eine Totenmaske anfertigen lassen. Es gibt Anhänger mit Fingerabdrücken der Verstorbenen sowie Skulpturen, in denen ein Teil der Asche eingearbeitet ist.
Erst vergangenen Dienstag hat die Bestattung Wien ein neues Produkt präsentiert: eine Kette, in der sich die DNA des Verstorbenen befindet. Wer keinen Schmuck will, kann sich die DNA-Sequenz auch als Bild auf Acryl oder auf eine Leinwand drucken lassen. „So kann man zu Hause das Bild aufhängen, ohne dass man sofort erkennt, dass es ein Verstorbener ist“, sagte Molekularbiologin Susanne Haas bei der Präsentation. Die Firma Immer und ewig bietet wiederum DNA-
Ob zu See oder in den Bergen, wer will, kann seine Asche im Ausland verstreuen lassen.