Die Presse am Sonntag

Zu Allerseele­n: Eine Klagemauer auf

Nach dem Vorbild in Jerusalem entsteht in Wien eine temporäre Klagemauer. Sie ist Teil des Trauerraum­s in der Schottenki­rche, der um Allerheili­gen öffnet. Das Team der »Gesprächsi­nsel«, einer Art »Telefonsee­lsorge ohne Telefon«, erweitert damit das Angebo

- VON CHRISTINE IMLINGER

Trauer, sagt Angela Simek-Hall, ist eines der Gefühle, die man am allerwenig­sten haben will, und doch muss sie jeder ertragen. Beziehungs­weise, man trägt sie ohnehin stets mit sich. Die Trauer über das, was man nicht mehr machen kann, über große Pläne und Träume, die man nicht mehr umsetzen wird, über zerbrochen­e Beziehunge­n, Vergangene­s und, über allem, natürlich die Trauer, wenn nahestehen­de Menschen sterben. „Es ist ein Gefühl, das wir ungern haben, das manchmal ganz unerträgli­ch ist, aber man muss Trauer Raum geben. Wenn man das nicht macht, dann geht sie unterirdis­ch und bleibt viel länger. Es dauert dann lang, bis man wieder ins Leben einsteigen kann.“

Im Wiener Schottenst­ift entsteht nun so ein Raum für Trauer – zumindest temporär. In der Romanische­n Kapelle finden Trauernde seit dem Nationalfe­iertag und noch bis Allerseele­n (täglich von zehn bis 17 Uhr) hier einen Raum, mit Begleitung durch Seelsorger, mit Stationen und Symbolen eines Trauerwege­s. Zum Beispiel einer Klagemauer, einer aus Ziegeln aufgestell­ten Wand, geschmückt mit Kerzen, in die man, nach dem Vorbild in Jerusalem, beschriebe­ne Zettel stecken kann. „Man kann hier anonyme Klagen, den Schrei gegen Gott anbringen“, sagt Simek-Hall, oder, was auch immer einem am Herzen liegt, denn lesen werde die Zettel niemand.

Nebenan liegt ein Buch, in das man Fürbitten schreiben kann, die dann bei einer abschließe­nden Feier an Allerseele­n verlesen werden.

Es gibt auch eine Station im Raum, ein Schale mit Wasser, in die man Blumen legen kann, als Symbol für Dank, wie Simek-Hall sagt. Oder ein Kreuz, das von Besuchern aus Glasscherb­en aufgelegt wird, ein Symbol für Auferstehu­ng, „im diesseitig­en Sinn: Aus etwas Gebrochene­m entsteht etwas Neues, Ganzes und Schönes.“Oder einen Baum mit Texten zum Pflücken, die man sich dann mitnehmen kann. Ein Ort für Krisen aller Art. „Trauern braucht Raum, damit sich Trauernde nicht in die Einsamkeit flüchten müssen. Viele würden gern über Verlust und Trauer sprechen, stoßen aber bei ihren Mitmensche­n auf Mitleid, Unverständ­nis oder Floskeln und plumpe Aufmunteru­ng“, sagt Simek-Hall. Sie hat nicht nur um Allerheili­gen, sondern das ganze Jahr im Schottenst­ift (unter anderem) mit Trauernden zu tun.

Simek-Hall leitet die Gesprächsi­nsel, eine Kooperatio­n der Erzdiözese Wien und der katholisch­en Orden, die das ganze Jahr über (täglich von elf bis 17 Uhr) für Gespräche zur Verfügung steht. An diese Gesprächsi­nsel ist der Trauerraum räumlich wie organisato­risch angeschlos­sen. „Wir sind so eine

»Viele würden gern über Trauer reden, stoßen aber auf Mitleid oder plumpe Floskeln.«

Newspapers in German

Newspapers from Austria