Kiew und das »Krebsübel« der Korruption
Die Ukraine gilt der österreichischen Wirtschaft nach wie vor als schwieriger Hoffnungsmarkt.
Im verwinkelten Gewirr der Gassen auf der „Habsburgerseite“Lembergs, dem während der k. u. k. Ära errichteten Stadtteil, hat sich die österreichische Außenhandelsstelle einquartiert – und passenderweise an der selben Adresse auch die Filiale der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Ein Zufall, gewiss.
Von den Wirren des wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs inmitten der politischen Turbulenzen der Ukraine geben Gerhard Bösch und seine Kollegen bei ihrem Erfahrungsaustausch beredt Zeugnis. Sie sind das Risiko eingegangen, sich nicht aus einem der Hoffnungsmärkte in Osteuropa zurückzuziehen – wie dies einige Konkurrenten vorexerziert haben. Bereut hat es Bösch, der Chef der RaiffeisenbankDependance in Kiew, nicht – wenngleich das Wagnis groß war und mitunter auch der Widerstand in der Wiener Zentrale.
„Das Jahr 2014 war Überlebensmanagement“, erinnert sich der Vorarlberger Bankmanager, der seit mehr als zehn Jahren in Kiew die Geschäfte der größten ausländischen Bank in der Ukraine leitet – des „effizientesten und profitabelsten Zweigs“innerhalb der Raika-Bankgruppe, wie der 60-Jährige nebenbei und nicht ohne Stolz bemerkt. Damals sei die ukrainische Wirtschaft im „freien Fall“gewesen.
Die Nationalbank habe mit harten Maßnahmen den Bankensektor transformiert und sei gegen die Banken der Oligarchen vorgegangen, die nur der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung gedient hätten. Noch sei es zu früh, von einem wirklichen Aufschwung zu sprechen, meint Bösch. „Die Reformen sind nicht unumkehrbar. Doch es sind alle Voraussetzungen da – wenn die Politik ihren Job macht.“ „Wie Österreich 1960.“Hermann Ortner, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Kiew, redet nach einer Rezession von 17 Prozent am Zenit der Krise vor drei Jahren heute von einer Konsolidierung und einem leichten Wirtschaftswachstum in der Ukraine, auch dank der Unterstützung durch die EBRD und das Assoziierungsabkommen mit der EU. Österreich rangiere bei Direktinvestitionen an neunter Stelle, bilanziert er – hinter Steuerparadiesen wie Zypern und den Virgin Is- lands, die die vorderen Plätze einnehmen. Als Beispiel führt er die Firma Fischer an, die in einem Werk in der Westukraine mit 2000 Mitarbeitern Langlaufski produziert. Von „enormem Potenzial“in der Versicherungsbranche berichtet Uniqa-Chef Wolfgang Kindl. „Die Ukraine ist versicherungstechnisch derzeit auf einem Niveau wie Österreich 1960.“Jetmir Krasnici, sein Kollege von der Grazer Wechselseitigen, beklagt heuer indes einen massiven Anstieg bei Autodiebstählen.
Als „Krebsübel“des Landes bezeichnet Gerhard Bösch allerdings die Korruption. Derzeit steckt die Politik im Streit um die Schaffung eines AntiKorruptionsgerichtshofs, wie ihn die EU fordert. Es kämen immer mehr Korruptionsfälle ans Licht. „Es gibt hier nicht nur schwarz und weiß“, resümiert der Banker und Chef über 7500 Mitarbeitern und 500 Filialen. Präzise Planung sei angesichts der politischen Unsicherheit nicht möglich, wendet er ein. Doch er zeigt sich optimistisch. „Das Land hat sich deutlich zum Positiven verändert. Möglicherweise liefert die Ukraine die größte positive Überraschung in den nächsten drei Jahren.“