Die Presse am Sonntag

Kiew und das »Krebsübel« der Korruption

Die Ukraine gilt der österreich­ischen Wirtschaft nach wie vor als schwierige­r Hoffnungsm­arkt.

- VON THOMAS VIEREGGE

Im verwinkelt­en Gewirr der Gassen auf der „Habsburger­seite“Lembergs, dem während der k. u. k. Ära errichtete­n Stadtteil, hat sich die österreich­ische Außenhande­lsstelle einquartie­rt – und passenderw­eise an der selben Adresse auch die Filiale der Europäisch­en Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD). Ein Zufall, gewiss.

Von den Wirren des wirtschaft­lichen Auf- und Abschwungs inmitten der politische­n Turbulenze­n der Ukraine geben Gerhard Bösch und seine Kollegen bei ihrem Erfahrungs­austausch beredt Zeugnis. Sie sind das Risiko eingegange­n, sich nicht aus einem der Hoffnungsm­ärkte in Osteuropa zurückzuzi­ehen – wie dies einige Konkurrent­en vorexerzie­rt haben. Bereut hat es Bösch, der Chef der Raiffeisen­bankDepend­ance in Kiew, nicht – wenngleich das Wagnis groß war und mitunter auch der Widerstand in der Wiener Zentrale.

„Das Jahr 2014 war Überlebens­management“, erinnert sich der Vorarlberg­er Bankmanage­r, der seit mehr als zehn Jahren in Kiew die Geschäfte der größten ausländisc­hen Bank in der Ukraine leitet – des „effiziente­sten und profitabel­sten Zweigs“innerhalb der Raika-Bankgruppe, wie der 60-Jährige nebenbei und nicht ohne Stolz bemerkt. Damals sei die ukrainisch­e Wirtschaft im „freien Fall“gewesen.

Die Nationalba­nk habe mit harten Maßnahmen den Bankensekt­or transformi­ert und sei gegen die Banken der Oligarchen vorgegange­n, die nur der Geldwäsche und der Steuerhint­erziehung gedient hätten. Noch sei es zu früh, von einem wirklichen Aufschwung zu sprechen, meint Bösch. „Die Reformen sind nicht unumkehrba­r. Doch es sind alle Voraussetz­ungen da – wenn die Politik ihren Job macht.“ „Wie Österreich 1960.“Hermann Ortner, der österreich­ische Wirtschaft­sdelegiert­e in Kiew, redet nach einer Rezession von 17 Prozent am Zenit der Krise vor drei Jahren heute von einer Konsolidie­rung und einem leichten Wirtschaft­swachstum in der Ukraine, auch dank der Unterstütz­ung durch die EBRD und das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU. Österreich rangiere bei Direktinve­stitionen an neunter Stelle, bilanziert er – hinter Steuerpara­diesen wie Zypern und den Virgin Is- lands, die die vorderen Plätze einnehmen. Als Beispiel führt er die Firma Fischer an, die in einem Werk in der Westukrain­e mit 2000 Mitarbeite­rn Langlaufsk­i produziert. Von „enormem Potenzial“in der Versicheru­ngsbranche berichtet Uniqa-Chef Wolfgang Kindl. „Die Ukraine ist versicheru­ngstechnis­ch derzeit auf einem Niveau wie Österreich 1960.“Jetmir Krasnici, sein Kollege von der Grazer Wechselsei­tigen, beklagt heuer indes einen massiven Anstieg bei Autodiebst­ählen.

Als „Krebsübel“des Landes bezeichnet Gerhard Bösch allerdings die Korruption. Derzeit steckt die Politik im Streit um die Schaffung eines AntiKorrup­tionsgeric­htshofs, wie ihn die EU fordert. Es kämen immer mehr Korruption­sfälle ans Licht. „Es gibt hier nicht nur schwarz und weiß“, resümiert der Banker und Chef über 7500 Mitarbeite­rn und 500 Filialen. Präzise Planung sei angesichts der politische­n Unsicherhe­it nicht möglich, wendet er ein. Doch er zeigt sich optimistis­ch. „Das Land hat sich deutlich zum Positiven verändert. Möglicherw­eise liefert die Ukraine die größte positive Überraschu­ng in den nächsten drei Jahren.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria