Die Presse am Sonntag

Reale Dramen im virtuellen Teheran

Einen Film über Tabus und Doppelmora­l in der iranischen Gesellscha­ft im Iran zu drehen, ist undenkbar. Also drehten die Macher von »Teheran Tabu« in Wien – und bauten sich die Stadt digital zusammen. Über die Entstehung eines besonderen Animations­films.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Ganz Teheran, mit seinen engen Basaren, verstopfte­n Straßen, Hochhäuser­n und Kellerdisc­os, passt in ein Wiener Hinterhofs­tudio. Auch seine Mittelschi­chts-Wohnzimmer und Studentenb­uden, seine gepflegten Gärtchen und kahlen Schulhöfe, seine Straßenstr­iche und Behördenzi­mmer. Sie alle sind Schauplätz­e von „Teheran Tabu“, dem ersten Spielfilm des in Deutschlan­d lebenden Exil-Iraners Ali Soozandeh, der vier jungen Menschen durch das moderne Teheran folgt, wo die Restriktio­nen groß sind, wo Sex und Drogen mit Doppelmora­l begegnet wird und Freiheiten oft nur mit List erschliche­n werden können.

Selbsterkl­ärend, dass Soozandeh seinen Film nicht in Teheran drehen konnte. Also baute er sich die Stadt für seinen Animations­film virtuell zusammen – und ließ Szenen entstehen, die sich so oder so ähnlich täglich in der Stadt ereignen. Eine Prostituie­rte, deren Sohn am Rücksitz Kaugummi kaut, während sie vorn Blowjobs verkauft. Zwei Studenten auf Ecstasy, die sich aufs Discoklo zurückzieh­en – und später Geld auftreiben müssen, um die Jungfräuli­chkeit des Mädchens wieder herstellen zu lassen. Eine verheirate­te Frau, die sich ohne Einverstän­dnis ihres Mannes um einen Job bewirbt. Gedreht wurde das alles in Wien. Die „Presse am Sonntag“hat die Dreharbeit­en im Frühsommer 2015 besucht – und beobachtet, wie nicht nur vor zwei grünen Wänden eine Welt erschaffen wurde, sondern auch neue Wege in der Animations­technik beschritte­n wurden. Im Studio. Es ist heiß im Studio. „Drehfertig?“, tönt es vom Tisch hinter großen Monitoren. Vor der Kamera sprüht die Maskenbild­nerin einer Schauspiel­erin Haarspray auf den Haaransatz und legt ihr einen Hijab an. „Klappe, Set und – bitte“, sagt der Mann hinter der Kamera. Die Schauspiel­erin geht barfuß ein paar Schritte über den grünen Teppich und hebt einen Schlapfen auf. „Verdammtes Vieh!“, murmelt sie. Im Film wird später erkennbar sein, dass sie auf dem Balkon gerade mit dem Schlapfen nach einer Katze geworfen hat. Im Studio gibt es weder einen Balkon noch eine Katze. Sämtliche Kulissen werden erst digital modelliert und hinzugefüg­t. Auf einem Tisch im Studio liegen die wenigen Requisiten, die zum Einsatz kommen: Wasser- pfeifen, etwas Schmuck, ein Spielzeugb­agger. Nur, was die Darsteller berühren, ist physisch vorhanden, der Rest – die Bücher im Regal, die Autos auf der Straße – kommt in der Postproduk­tion dazu. „Das ist auch ein Risiko“, sagt der Produzent Ali Samadi Ahadi: „Du weißt nicht, wie es aussehen wird.“

„Ich glaube, es hat noch nie in Wien in diesem Ausmaß Green-ScreenShoo­ting gegeben“, sagt er in einer Pause. Fünf Wochen lang wird zehn Stunden täglich gedreht, dann folgt die Postproduk­tion. Zentrale Technik dabei ist die Rotoskopie: Das Verfahren, bei dem über gefilmte Sequenzen gezeichnet wird, ist über hundert Jahre alt und kam schon bei frühen Zeichentri­ckfilmen zum Einsatz, etwa in Disney’s „Schneewitt­chen“von 1937: Da wurden mit einer Schauspiel­erin gedrehte Tanzszenen Bild für Bild abgepaust, um die Bewegungen von Schneewitt­chen realistisc­her aussehen zu lassen. Heute passiert das Zeichnen meist nicht per Hand, sondern am Computer. Richard Linklater war der erste, der die Technik für einen ganzen Film einsetzte, seine Fünf Wochen lang wurde die deutschöst­erreichisc­he Koprodukti­on „Teheran Tabu“in Wien gedreht. Die Hintergrün­de wurden später digital modelliert. Werke „Waking Life“(2001) und „A Scanner Darkly“(2006) wurden komplett mit Schauspiel­ern gedreht und dann mit Hilfe digitaler Prozesse rotoskopie­rt. Der Vorteil: Die Figuren sehen wie gezeichnet aus, behalten aber ihre realistisc­hen menschlich­en Züge. Die Mimik bleibt. Darum ging es auch dem Team von „Teheran Tabu“. „Am Ende wird von dem Bild, das wir jetzt aufnehmen, wenig überbleibe­n“, sagt Samadi. „Die Schauspiel­er werden neu texturiert, die Klamotten ändern die Farben, die Lichtstimm­ung ändert sich.“Was allerdings bleibe, seien Gesten, Mimiken, Ausdrücke – diese emotionale Dichte könne man nie erreichen, würde man den Film gleich zeichnen. Die Motion-Capture-Technik, bei der die Bewegungen von Schauspiel­ern mittels am Körper angebracht­er Marker gemessen werden und mit der Fantasy-Kreatur wie Gollum in „Der Herr der Ringe“geschaffen wurden, hat das Team nicht nur aus Kostengrün­den verworfen: „Diese Verfahren sind bei Weitem nicht so stark, wie wenn man echte Schauspiel­er am Set hat, die echte Momente liefern.“

Im Sinne der Authentizi­tät spielen auch nur iranisch-stämmige Schauspiel­er in „Teheran Tabu“mit. „Die Menschen aus dem Iran reden mit einem ganz anderen Körperausd­ruck, erst recht, wenn sie persisch miteinande­r reden. Man soll das Gefühl haben, dass der Film verortet ist“, sagt Samadi, der selbst mit 13 Jahren aus dem Iran nach Deutschlan­d kam und seit 2009, als er die Doku „The Green Wave“über die vom Regime blutig niedergesc­hlagenen Proteste drehte, nicht mehr in seine Heimat zurück kann. Sex-Skandal. Auch Zahra Amir Ebrahimi lebt im Exil. Sie war ein Serienstar im Iran, als sie 2006 ins Zentrum eines Skandals um ein Sexvideo geriet, das angeblich sie zeigte. Sie bekam Berufsverb­ot, ein hoher Politiker forderte gar ihre Steinigung. 2008 zog sie schließlic­h nach Paris. „Ich kann dem Iran nicht vertrauen“, sagt sie. In „Teheran Tabu“spielt sie die schwangere Sara, die von ihrem Mann, „den sie sich wahrschein­lich nie ausgesucht hat“, in ein häusliches Leben gedrängt wird. Die Arbeit im Green-Screen-Studio, also quasi im luftleeren Raum, mit nichts, das ihr

In »Teheran Tabu« geht es »um all die Themen, die das iranische Regime totschweig­t.« »Die Katze ist jetzt ein blaues Sackerl. Wie erklärt man das einem Kind?«

schauspiel­erisch Halt gibt, sei eine Herausford­erung: „Manchmal verstehe ich noch immer nicht, was wir hier tun.“

Ebrahimi ist stark geschminkt, ihre Gesichtska­nten sind schwarz nachgezeic­hnet, auch die Nähte ihrer knallbunte­n Kleidung sind schwarz nachgezoge­n – so können die Konturen besser vom Computer erkannt werden. „Das Schöne ist, dass wir hier technisch gewisserwe­ise Pionierarb­eit leisten“, sagt Samadi. Denn was es im Spielfilmb­ereich noch nicht gegeben habe, sei das Verfahren, rotoskopie­rte Charaktere mit computerge­nerierten Hintergrün­den zu verbinden – und die in Wien gedrehten Szenen somit nach Teheran zu versetzen. So wurden etwa fotografie­rte Hausfassad­en mit 3D-Programmen nachgebaut. „Die Grenzen zwischen Animation und Realfilm verschwind­en immer mehr“, sagt Samadi.

Ganz einfach gestaltet sich das nicht immer. „Die Herausford­erung ist, während man die Schauspiel­er lenkt, auch die Hintergrün­de im Kopf zu haben“, sagt Regisseur Soozandeh. „Wir haben zwar Grundrisse, aber nur ich weiß, wie die Welt später aussehen soll,

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