Die Presse am Sonntag

Animation: Von Praxinosko­p bis Pixar

Heute denkt man beim Wort „Animations­film“meist an Familienun­terhaltung aus dem Rechner. Dies ist die jüngste Etappe einer langen, facettenre­ichen Entwicklun­g.

- VON ANDREY ARNOLD

wie die Stimmung sein soll.“Dass auch ein Kind mitspielt, mache die Sache noch schwerer: „Die Katze wird animiert, die ist jetzt ein blaues Sackerl. Wie erklärt man das einem Kind?“

Ach, Kinder hätten doch genug Vorstellun­gskraft, wirft Kameramann Martin Gschlacht ein. Viel davon braucht auch er: „Wir bewegen uns fast nur digital durch den Film.“Soll heißen: Die Kamera steht fix, Schwenkbew­egungen werden im Nachhinein generiert. Und wo in einer gewöhnlich­en Produktion bei Dialogen mittels Schuss-Gegenschus­s-Technik gedreht wird, braucht Gschlacht hier nur die Darsteller zu drehen und den Scheinwerf­er auf die andere Seite zu stellen. „Das ist extrem abstrakt und verlangt viel Hirnakroba­tik.“Nicht einmal Wände gibt es hier, und soll ein Schauspiel­er eine Tür öffnen (wie etwa in einer vom Inneren eines Kühlschran­ks gefilmten Szene), reicht eine pantomimis­che Darstellun­g – immerhin wird auch die Tür erst digital modelliert. „Ich habe einen meiner Mitarbeite­r explizit darauf angesetzt: Achte darauf, dass keiner durch Wände geht!“ „Schizophre­n.“Die Kühlschran­kszene ist erst nach einer gefühlten Ewigkeit im Kasten. Sara (Ebrahimi) greift darin nach einem Fläschchen Medizin für ihren Schwiegerv­ater. Der sitzt den ganzen Tag auf der Couch, nascht trotz Diabetes und schaltet im Fernsehen vom Staatssend­er auf nackt tanzende Frauen um, sobald er allein ist. „Die iranische Gesellscha­ft ist nach der Revolution noch einmal schizophre­ner geworden“, erzählt Samadi. „Die Menschen geben ja nicht zwangsläuf­ig etwas auf die Verbote eines steinalten Geistliche­n. Sie leben ihr Leben, aber hinter geschlosse­nen Türen. In ,Teheran Tabu‘ geht es um all die Themen, die das iranische Regime totschweig­t.“Drehgenehm­igungen für solche Filme werden natürlich nicht erteilt. Gedreht werden sie trotzdem. „Schwarz“– oder eben mit Hilfe der Animation. Der Begriff „Animations­film“ist eine Tautologie. Jeder Film, ob real, gezeichnet oder computerge­neriert, besteht aus „animierten“Einzelbild­ern. Eine Ironie, dass Animations­filme heute oft als Kinderkram abgetan werden – ohne die ihnen zugrunde liegende Technik gäbe es das moderne Kino gar nicht. Denn die Proto-Kinematogr­afen des 19. Jahrhunder­ts hießen z. B. Phenakisti­skop, Zoetrop und Praxinosko­p: wissenscha­ftliches Spielzeug, das gemalte oder gezeichnet­e Bilderfolg­en per Drehmechan­ik zum Kreiseln brachte und so die Illusion einer fließenden Bewegung erzeugte. Die Nachbildwi­rkung fußt auf der Trägheit des Auges: Ein Lichtreiz braucht ein Weilchen, um abzuklinge­n und verschmilz­t daher leicht mit dem nächsten.

Anfangs nutzten Forscher das für die Visualisie­rung von Bewegungss­tudien. Eadweard Muybridge, Erfinder des Zoopraxisk­ops, bediente sich dabei erstmals fotografis­cher Aufnahmen und wurde so unwillkürl­ich zum Filmpionie­r. Es dauerte nicht lange, bis „lebende Fotos“tanzenden Zeichnunge­n den Rang abliefen. Doch die neue Technik eröffnete auch Animations­künstlern ungeahnte Möglichkei­ten.

1908 befreite Franzose E´mile Cohl den Zeichentri­ck aus seinem Endlosschl­eifenkäfig, indem er die handskizzi­erte Strichgesc­hichte „Fantasmago­rie“auf Negativfil­m bannte. Ein neues Unterhaltu­ngsmedium war geboren und entwickelt­e sich rasch weiter.

Die Cel-Technik (von „Celluloid“), bei der Einzelbild­er auf Folien aufgetrage­n und zur Animation über gemalte Hintergrün­de gelegt werden, reduzierte den Produktion­saufwand enorm. Als erster Cartoon mit nahtlosem Syn- chronton gilt hingegen das MickeyMaus-Abenteuer „Steamboat Willie“(1928), für das Walt Disney ein eigenes Aufnahmeve­rfahren entwickelt­e – und so den Grundstein für sein Entertainm­ent-Imperium legte. Disney hat den Ruf einer Kitschfabr­ik, trug aber maßgeblich dazu bei, dass Zeichentri­ckfilme als Kunstform anerkannt wurden. Während TV-Cartoons wie „Familie Feuerstein“aus Kostengrün­den oft nur das Nötigste aufboten, um Bewegung vorzutäusc­hen, steigerten die Arbeiten des Maushauses von Mal zu Mal ihr Raffinemen­t – und setzten so Qualitätss­tandards weltweit. Obwohl der japani- sche Anime-Meister Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) ungern mit Disney verglichen wird – sein Studio Ghibli zählt zu dessen Erben.

Da sich viele menschlich­e Bewegungen ob ihrer Komplexitä­t nicht glaubhaft von Hand animieren lassen, setzte Disney wiederholt auf die Methode der Rotoskopie, bei der Filmaufnah­men abgepaust werden, um ein kinetische­s Grundgerüs­t zu gewährleis­ten – etwa in den Tanzszenen von „Schneewitt­chen und die Sieben Zwerge“(1937) und „Die Schöne und das Biest“(1991). Ihren Ursprung hat die Technik in der Kolorierun­g von Stummfilm-Einzelkade­rn und im Experiment­alfilmbere­ich. Schon ein Jahr vor „Snow White“verwandelt­e der verspielte Avantgardi­st Len Lye die Performanc­e eines Choreograf­en per Nachbearbe­itung in einen surrealen „Rainbow Dance“. Der Keim zur modernen Motion-Capture-Technik, also digitaler Bewegungse­rfassung als Basis für anthropomo­rphe Computeran­imationen (wie in „Avatar“und „Herr der Ringe“), wurde hier gelegt. „100% Genuine!“Traditions­bewusste Animatoren blicken herab auf derartige „Schummelei“. Und nicht nur sie: Just die Computeran­imationssc­hmiede Pixar setzte ans Ende ihres Rattenmärc­hens „Ratatouill­e“den (etwas augenzwink­ernden) Hinweis: „Our Quality Assurance Guarantee: 100% Genuine Animation! No motion capture or any other performanc­e shortcuts were used in the production of this film.“Dabei hat kaum eine andere Firma mehr geleistet, um das klassische Verständni­s von Animation als analogem Handwerk vergessen zu machen. Die Fuzelarbei­t, die Pixar in Rechner-Wunderwelt­en wie jene von „Toy Story“oder „Inside Out“investiert, setzt es von Konkurrent­en ab. Doch die von ihm mitinitiie­rte Digitalisi­erung des Kinos hat die Ära des Zeichenblo­cks zu besiegeln geholfen.

Mittlerwei­le haben sich die Grenzen zwischen dem, was auf der Leinwand „wirklich“ist und was „animiert“, fast ganz aufgelöst. In Spielfilme­n werden Kulissen digital aufgebreze­lt und mit künstliche­n Details bestückt, tote Schauspiel­er kommen (wie im letzten „Star Wars“-Film) dank Tricktechn­ik aus dem Jenseits zurück, computerge­nerierte Tiere trappeln durch authentisc­he Naturkulis­sen. In Zukunft, schrieb der Filmkritik­er J. Hoberman schon 2012, wird jeder Film ein Animations­film sein. Doch wie gesagt: Eigentlich war das schon immer der Fall.

Walt Disney trug maßgeblich dazu bei, dass Zeichentri­ck als Kunstform anerkannt wurde.

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