Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Bürgersein allein genügt nicht. Ein kleiner gallischer Ort macht klar, dass die Fiktion eines religiös neutralen Staates ins Wanken kommt. Die La¨ıcit´e muss sich neu definieren.
Das bretonische Städtchen Ploermel¨ mit reicher katholischer Geschichte – seine von Stendhal gepriesene gotische Kirche kommt sogar in einer komischen Oper Giacomo Meyerbeers vor – sorgt für Aufregung. Es gibt dort ein Denkmal, das Johannes Paul II unter einem Bogen zeigt, auf dem ein massives Kreuz steht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun entschieden: Das Kreuz muss weg. Das Gesetz von 1905, das Frankreich zu einem laizistischen Staat gemacht hat, verbietet nämlich, religiöse Symbole in und an öffentlichen Gebäuden oder an öffentlichen Plätzen anzubringen. Die Bevölkerung steht aber hinter dem Bürgermeister, der auch aus der großen Politik Unterstützung bekommt. Tenor: Dürfen wir denn nicht ausdrücken, wer und was wir sind?
Das Gesetz von 1905 hat den Sieg der republikanisch-agnostischen Ideologie des französischen Bürgertums gegen den politischen Katholizismus festgeschrieben und damit weniger eine Trennung von Staat und Kirche herbeigeführt als vielmehr die Kirche dem Staat untergeordnet – sinnfällig ausgedrückt durch die Verstaatlichung sämtlicher kirchlichen Gebäude. Im Ergebnis hat die von allen akzeptierte Fiktion, der Glaube sei Privatsache, aber doch einen lebbaren Modus vivendi hergestellt.
In Zeiten der Islamisierung kommt aber sogar das intellektuelle Frankreich immer mehr drauf, dass „etreˆ citoyen“(Bürger sein) allein nicht die nötige integrative Kraft hat. Ein Beispiel ist Michel Houllebecq, der soeben in einem Interview mit dem „Spiegel“gesagt hat: „Die Religion hat eine Schlüsselfunktion in der Gesellschaft und für deren Zusammenhalt, sie ist ein Motor der Gemeinschaftsbildung“. Er meint sogar, „dass die Integration der Muslime sehr viel besser funktionieren würde, wenn der Katholizismus Staatsreligion wäre“.
In der Behauptung westlicher Werte oder einer europäischen Identität ist man ohne Rückgriff auf das Christentum in der Tat kraftlos. Der laizistische, sich neutral verstehende Staat lässt einen öffentlichen Rückgriff aber nicht zu. In Ländern wie Österreich, wo das französische Verständnis von La¨ıcite´ um sich greift, ist das kaum anders: So haben die Überlegungen zum Kopftuch in öffentlichen Gebäuden damit geendet, dass man die Kreuze aus den Gerichtssälen entfernen sollte.
Die Posse von Ploermel¨ zeigt: Das Verhältnis von Staat und Kirche, Gesellschaft und Religion ist in Bewegung geraten. Das ist gut. Weil Identität eben nicht Privatsache ist. Und gerade der liberale Rechtsstaat wird gegen die Scharia nur überleben, wenn er dazu steht, dass er auch im Christentum wurzelt. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.