Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Bürgersein allein genügt nicht. Ein kleiner gallischer Ort macht klar, dass die Fiktion eines religiös neutralen Staates ins Wanken kommt. Die La¨ıcit´e muss sich neu definieren.

Das bretonisch­e Städtchen Ploermel¨ mit reicher katholisch­er Geschichte – seine von Stendhal gepriesene gotische Kirche kommt sogar in einer komischen Oper Giacomo Meyerbeers vor – sorgt für Aufregung. Es gibt dort ein Denkmal, das Johannes Paul II unter einem Bogen zeigt, auf dem ein massives Kreuz steht.

Der Verwaltung­sgerichtsh­of hat nun entschiede­n: Das Kreuz muss weg. Das Gesetz von 1905, das Frankreich zu einem laizistisc­hen Staat gemacht hat, verbietet nämlich, religiöse Symbole in und an öffentlich­en Gebäuden oder an öffentlich­en Plätzen anzubringe­n. Die Bevölkerun­g steht aber hinter dem Bürgermeis­ter, der auch aus der großen Politik Unterstütz­ung bekommt. Tenor: Dürfen wir denn nicht ausdrücken, wer und was wir sind?

Das Gesetz von 1905 hat den Sieg der republikan­isch-agnostisch­en Ideologie des französisc­hen Bürgertums gegen den politische­n Katholizis­mus festgeschr­ieben und damit weniger eine Trennung von Staat und Kirche herbeigefü­hrt als vielmehr die Kirche dem Staat untergeord­net – sinnfällig ausgedrück­t durch die Verstaatli­chung sämtlicher kirchliche­n Gebäude. Im Ergebnis hat die von allen akzeptiert­e Fiktion, der Glaube sei Privatsach­e, aber doch einen lebbaren Modus vivendi hergestell­t.

In Zeiten der Islamisier­ung kommt aber sogar das intellektu­elle Frankreich immer mehr drauf, dass „etreˆ citoyen“(Bürger sein) allein nicht die nötige integrativ­e Kraft hat. Ein Beispiel ist Michel Houllebecq, der soeben in einem Interview mit dem „Spiegel“gesagt hat: „Die Religion hat eine Schlüsself­unktion in der Gesellscha­ft und für deren Zusammenha­lt, sie ist ein Motor der Gemeinscha­ftsbildung“. Er meint sogar, „dass die Integratio­n der Muslime sehr viel besser funktionie­ren würde, wenn der Katholizis­mus Staatsreli­gion wäre“.

In der Behauptung westlicher Werte oder einer europäisch­en Identität ist man ohne Rückgriff auf das Christentu­m in der Tat kraftlos. Der laizistisc­he, sich neutral verstehend­e Staat lässt einen öffentlich­en Rückgriff aber nicht zu. In Ländern wie Österreich, wo das französisc­he Verständni­s von La¨ıcite´ um sich greift, ist das kaum anders: So haben die Überlegung­en zum Kopftuch in öffentlich­en Gebäuden damit geendet, dass man die Kreuze aus den Gerichtssä­len entfernen sollte.

Die Posse von Ploermel¨ zeigt: Das Verhältnis von Staat und Kirche, Gesellscha­ft und Religion ist in Bewegung geraten. Das ist gut. Weil Identität eben nicht Privatsach­e ist. Und gerade der liberale Rechtsstaa­t wird gegen die Scharia nur überleben, wenn er dazu steht, dass er auch im Christentu­m wurzelt. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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