Waldorfschule ja oder nein: »Das ist ganz individuell«
Die Waldorfschulen werden heuer 90 Jahre alt. Die einen schätzen sie hoch, die anderen halten sie für fragwürdig. Warum Eltern und Absolventen sich (wieder) für Waldorf entscheiden – oder eben nicht.
Für manche sind sie der perfekte Gegenentwurf zu dem, was im Regelschulwesen falsch läuft – andere halten die Ideen dahinter für fragwürdig und die Schulen für esoterisch und weltfremd: die Waldorfschulen, in denen Fächer in sogenannten Epochen unterrichtet werden, die ihre Schüler in Eurythmie Buchstaben tanzen lassen und wo Gartenbau neben Deutsch oder Mathematik ein Pflichtfach ist. Dieses Jahr werden sie 90 Jahre alt. Seit 1927 – mit einer Unterbrechung wegen des Nationalsozialismus – gibt es sie in Österreich. 18 Schulen sind es heute im ganzen Land, insgesamt besuchen diese rund 3000 Waldorfschüler.
So wie der elfjährige Emil, dessen Mutter Grischka Voss selbst einst Waldorfschülerin war. Für sie macht die soziale Komponente den großen Unterschied aus. „Als es um die Schulentscheidung ging, habe ich mir in der Waldorfschule die älteren Schüler angeschaut, und das hat mich extrem beeindruckt“, sagt die 48-jährige Theaterleiterin und Autorin. „Die Offenheit, die Sensibilität und das Bewusstsein, dass es nicht so wichtig ist, ob man erfolgreich, reich oder berühmt wird, sondern dass es auch um das Denken für die Gemeinschaft geht: Das finde ich in unserer Ego-Gesellschaft extrem wichtig.“Diese Einstellung erkenne sie nach den ersten Jahren in der Waldorfschule Wien-Mauer auch bei ihrem Sohn.
In der Waldorfschule bekomme er neben dem Lernen auch Raum für Bewegung und Handwerk. „Die Waldorfschule ist außerdem ein guter Nährboden für Fantasie – und das ist meiner Meinung nach das höchste Gut des Menschen.“In vielen anderen Schulen würden Kinder so früh unter Druck gesetzt, dass genau das verkümmere, meint sie. Sie selbst hat als Tochter des Burgschauspielers Gert Voss zahlreiche verschiedene Waldorfschulen kennengelernt, bessere und schlechtere. Mit der Schule ihres Sohnes ist sie vollkommen zufrieden. „Man muss natürlich dauernd beobachten, ob sich ein Kind in der Schule gut entfaltet, das gilt für jede Schule. Hätte ich das Gefühl, dass Emil zum Lernen mehr Leistungsdruck bräuchte, würde ich ihn rausnehmen.“
Nicht nur Künstler – von Nina Hagen bis zu Uwe Ochsenknecht – schicken ihre Kinder in Waldorfschulen, mitunter entscheiden sich auch Eltern aus Wirtschaft und Politik für die Alternativschule: Ferdinand Alexander Porsche etwa, ein Sprössling des Autobauer-Clans, ging auf die Waldorfschule, auch das ÖVP-Urgestein Andreas Khol wählte für seine Kinder eine RudolfSteiner-Schule aus. Genauso wie WifoChef Christoph Badelt – für den die dahinterliegende Lehre, die Anthroposophie, ein „riesengroßer Hokuspokus“war, den er nie ganz verstanden habe, wie er einst im „Standard“sagte. Umstrittene Lehre. Rudolf Steiner, ein 1861 geborener österreichischer Esoteriker, begründete Anfang des vergangenen Jahrhunderts die sogenannte Anthroposophie, eine spirituelle Weltanschauung, auf der die Waldorfpädagogik aufbaut. Seine Lehren sind durchaus umstritten und werden von manchen als krude Mischung aus Theorien der damaligen Zeit gesehen, Rassismusvorwürfe inklusive; auf diese reagierten die Waldorfschulen in einer eigenen Erklärung: Vereinzelte Formulierungen würden nach heutigem Verständnis diskriminierend wirken, in den Schulen würden solche Tendenzen aber nicht geduldet. Die Anthroposophie an sich sei laut Waldorfschulen eine Erkenntnishilfe für die Lehrer, aber nicht Gegenstand des Unterrichts.
Der deckt (neben Eigenheiten wie die Bewegungskunst Eurythmie oder das Fach Gartenbau) auch das ab, was im öffentlichen Lehrplan verlangt wird; die Waldorfschulen haben Öffentlichkeitsrecht. Und bietet bei den Methoden gerade das, was manche Eltern an anderen Schulen vermissen: Künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten sind wichtig. Es gibt in den SteinerSchulen weder Sitzenbleiben noch Ziffernnoten, im Fokus steht die ganzheitliche Entwicklung der Schüler. Leistungsfeindlich? Die 30-jährige Phoebe Maares ist ebenfalls ehemalige Waldorfschülerin. Bei der Frage, ob sie eines Tages ein Kind auch in eine Waldorfschule schicken würde, ist sie aber unschlüssig. „Ich finde, dass es für die jüngeren Kinder ein großartiges Konzept ist – vor allem, weil da auch das Geistige mit dem Körperlichen kombiniert wird“, sagt Maares, die als Prädoc an der Universität Wien arbeitet. Sie habe das in der Volksschule auch Astoria-Zigarrenfabrik in Stuttgart gebeten wurde, die Kinder der Arbeiter zu betreuen. In Österreich wurde die erste Schule 1927 gegründet. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten wurde sie 1938 verboten. 20 Jahre nach Kriegsende kam ein neuer Anlauf. Aktuell Heute gibt es in Österreich 18 Waldorfschulen, die rund 3000 Schüler besuchen. Die Waldorfschulen sind Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht; Eltern zahlen Schulgeld. Die Matura nehmen Waldorfschulen nicht selbst ab. selbst sehr genossen. „Ab den höheren Klassen hat es aber dann in meinem Fall nicht mehr so gut funktioniert.“
Natürlich hänge das immer sehr stark von der Schule ab. Für sie an einer Berliner Waldorfschule habe es Nachteile gehabt, dass ein Lehrer die Klasse über die gesamte Schulzeit begleitete. „Da konnten wir uns teils nicht weiterentwickeln.“Auch die rein verbale Leistungsbeurteilung fand sie auf Dauer nicht optimal. So sei immer alles nett verpackt gewesen – bis für manche das böse Erwachen kam. „Dieses Konzept funktioniert in unserer Leistungsgesellschaft nicht.“Maares wechselte nach neun Waldorfjahren aufs Gymnasium. „Da hatte ich in den Naturwissenschaften dann zu kämpfen.“
»Das Denken für die Gemeinschaft ist in unserer Ego-Gesellschaft wichtig.« »Ab den höheren Klassen hat es nicht mehr so gut funktioniert.«
Gegen den Vorwurf der Leistungsfeindlichkeit wehren sich die Waldorfschulen, unter anderem mit PISA-Sonderauswertungen, bei denen sie zuletzt in Mathematik schlechter, beim Lesen und in den Naturwissenschaften besser abschnitten als die regulären Schulen. Freilich ist an den Rudolf-SteinerSchulen auch die soziale Zusammensetzung vorteilhaft. Es sind tendenziell eher die bildungsaffinen Eltern, die sich entsprechend Gedanken über eine alternative Schulwahl machen – und die auch bereit sind, das notwendige Schulgeld für eine Waldorfschule in die Hand zu nehmen. Montessori bevorzugt. Viele Gedanken über die Schulwahl machte sich auch Martina Wallner. Dass es für ihre eigenen Kinder Nora (10) und Yonas (7) keine klassische öffentliche Volksschule werden sollte, war nach einigen Schulbesuchen rasch klar. Die Waldorfschule lag nahe – immerhin hatte Wallner selbst acht Jahre lang die Rudolf-Steiner-Schule in Schönau besucht, bevor sie auf die W@lz wechselte, eine Alternativschule in Wien-Hietzing. Trotzdem hat sich die 31-Jährige, die mit ihrem Mann in Wien-Wieden ein Reformhaus führt, letztlich gegen eine Waldorfschule entschieden.
„Mir hat es in der Waldorfschule sehr gut gefallen“, sagt Wallner über ihre eigene Schulzeit. Ein Minuspunkt sei die Mathematik gewesen, in der sie nach dem Wechsel Nachholbedarf gehabt habe. Sie wollte für ihre Kinder allerdings ein Konzept, in dem sie Neues nicht zum gleichen Zeitpunkt lernen wie alle anderen Kinder, sondern wirk-