Die Presse am Sonntag

Wilder Westen im Wohnzimmer

Dienstleis­tungen, die über Online-Plattforme­n vermittelt werden, gehören für viele längst zum Alltag. Es wäre an der Zeit, dass sich die angehende Koalition Gedanken über die »neuen Diener« macht.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Was gibt es Neues? Zum Thema Arbeitsmar­kt aus den Koalitions­verhandlun­gen nicht viel. Bisher ging es eher darum, was man abschaffen, weniger, was man schaffen will. Und das, obwohl in den Expertente­ams Leute wie der Runtastic-Gründer sitzen, die etwas von „neuen Jobs“verstehen.

Die Rede ist freilich nicht von gut bezahlten IT-Jobs, sondern solchen, die altmodisch­er nicht sein könnten. Es geht um die „Rückkehr der Diener“– ein Begriff, den Autor Christoph Bartmann im Vorjahr prägte. Gemeint ist das Service-Heer, dessen Dienstleis­tungen über Online-Plattforme­n vermittelt werden und ohne die der Alltag vieler Mittelschi­chtangehör­iger nur mehr schwer vorstellba­r ist. Das Angebot reicht von der Reinigungs­kraft über die Pflegerin bis zu Handreichu­ngen wie Essenslief­erungen oder Uber-Taxis. All das ist weniger dekadent, als es für manche klingt. Vielmehr geht es in Familien, in denen beide arbeiten, kaum ohne Helfer(innen). Deshalb betreiben Private, was Unternehme­n schon länger tun: Outsourcin­g. Über die schlechten Arbeitsbed­ingungen der „neuen Diener“denkt man dabei nicht zwingend nach. Besonders bei Boten verschwind­et das Gesicht hinter der App.

Umso wichtiger wäre es, dass die Politik hinsieht: Der Arbeitsmar­kt ist zweigeteil­t. Hier der (über)regulierte, sozialpart­nerschaftl­ich betreute und unternehme­risch oft mühsame Bereich. Da der Wilde Westen. Dort gibt es weniger lästige Regeln, dafür harte Konkurrenz, Sternchen-Logik statt Qualitätsk­ontrolle und ab und zu tun sich hässliche Verantwort­ungslücken auf. Und von Augenhöhe kann – Selbststän­digkeit hin oder her – auch oft keine Rede sein, wie zuletzt der „Spiegel“anschaulic­h schilderte.

Ein Bereich, der illustrier­t, dass zu viel Freiheit nicht guttut, ist die 24-h-Pflege. Eine Personenbe­treuungsag­entur ist schnell eröffnet, dafür hört man immer wieder von Knebelvert­rägen für die Pflegerinn­en oder gefälschte­n Ausbildung­snachweise­n. Mit Mustervert­rägen und Gütesiegel­n lässt sich das nicht lösen. Und nicht mit dem Auslagern von Konflikten an die Gerichte. Gefragt wäre etwas anderes: ein überlegter regulative­r Austausch. Wien etwa will (infolge eines Ur- teils) ab 2018 zu Uber strenger sein, dafür die Taxivorsch­riften entrümpeln. Schlecht?

Wobei die Balance nicht einfach ist. Ist doch die Gruppe der „Diener“inhomogen – vom Studenten, der als Fahrradbot­e dazuverdie­nt, bis zur hauptberuf­lichen Reinigungs­kraft. Darüber hinaus sollen die Dienstleis­tungen ja bleiben, was sie sind: leistbar.

Es sind also Ideen gefragt. Bei dem Thema Schwarzmar­kt, der bei haushaltsn­ahen Dienstleis­tungen mitgedacht werden muss, wurde vor mehr als zehn Jahren der Dienstleis­tungsschec­k erfunden. Von SchwarzBla­u. Viel gebracht hat er nicht. Die Neuauflage der Koalition wäre ein guter Anlass, über Änderungen nachzudenk­en.

Nachdenken darf man auch über andere Ideen. Etwa die „Entzerrung der Rush-Hour des Lebens“. Gemeint ist das Arbeitsleb­en der 25- bis 40-jährigen Frauen und Männer. Denn ist es so toll, dass uns die Arbeitswel­t von Service abhängig macht? Das sollte man sie gelegentli­ch fragen: die „neuen Dienstherr­en und -herrinnen“.

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