Ein Soldat als Alternative?
Schwere Ausschreitungen begleiten den Parteitag der Alternative für Deutschland in Hannover. Während draußen protestiert wird, geht es drinnen um die Frage, wer die Rechtspartei AfD künftig führen soll.
Ein Polizeihubschrauber kreist über der Stadt. Gepanzerte Polizeifahrzeuge rollen durch eine verlassene, weil abgeriegelte Allee. „Das gab es nicht einmal beim Obama-Besuch“, sagt ein Hannoveraner, der verdutzt vor einer der Absperrungen steht. Nebenan schreit eine Gruppe junger Demonstranten: „Ihr habt den Krieg verloren, ganz Hannover hasst die AfD.“
Dann nähert sich ein AfD-Funktionär. Mit ausgestrecktem Mittelfinger läuft ein junger Mann auf ihn zu. Ein Polizist schubst den Randalierer weg. Ein paar Hundert Meter weiter gibt es Sitzblockaden. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Es gibt mehrere Verletzte. „Diese Linksfaschisten“, schimpft ein Funktionär drinnen im Kongresszentrum über die da draußen.
Der zweitägige Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) startete am Samstag wegen der Proteste mit Verspätung und einem Filmchen. Man sieht vermummte Autonome, dann Muslime. „Wir wollen unsere Heimat zurück“, ist auf der Leinwand zu lesen. Applaus. Man zählt noch einmal die Erfolge auf. Die AfD sitzt jetzt in 14 von 16 Landesparlamenten. Im Bundestag ist sie drittstärkste Kraft – 12,6 Prozent. Kommt es zur Neuauflage von Schwarz-Rot, führt die 92-köpfige AfDFraktion die Opposition an. Es war ein gutes Jahr. Ruhe kehrt deshalb nicht ein: In Hannover stehen Neuwahlen des Vorstands an. Gibt es eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz? Alles blickt auf den „gärigen Haufen“, wie AfD-Fraktionschef Alexander Gauland die Basis, die 600 Delegierten, nennt.
AfD-Vorsitzender Jörg Meuthen mahnt ein Votum „ohne Kampfgeschrei“ein. Die Partei sei erwachsener geworden, sagt er. Bloß kein offener Streit der Lager. Seit dem Abgang von Co-Chefin Frauke Petry hat Meuthen die Partei allein geführt. Der Ökonom und frischgebackene EU-Parlamentarier zählt zum wirtschaftsliberalen Flügel. Offiziell. Aber er hält auch beste Kontakte zu Rechtsaußen wie Björn Höcke. Meuthen gilt also als gesetzt. Aber die Satzung verlangt eine Zweierspitze. Mindestens. Eine Ein-MannFührung lehnte die Basis gestern ab.
Um den vakanten Posten an der Spitze bewirbt sich Georg Pazderski. 41 Jahre lang war er Soldat. „Er kann führen“, sagt Fraktionschefin Alice Weidel. Er ist der Favorit. Aber Pazderski hat auch Gegner: das Rechtsaußen-Lager zum Beispiel, das nach und nach an Einfluss gewinnt und sich nur „der Flügel“nennt. Denn der Ex-Bundeswehroffizier Pazderski zählt zu den Gemäßigten. Er will die AfD regierungsfähig machen. Das riecht seinen Widersachern zu sehr nach „Altpartei“.
Auch Gauland ist lang skeptisch. „Wir werden sie jagen“, hat er am Wahlabend Richtung Regierung angekündigt. Er will einen harten Oppositionskurs. Tritt er am Ende selbst an? Der Mann mit dem Tweedsakko und der Hundekrawatte ist ohnehin der bekannteste Politiker der Partei. Regelmäßig sichert er sich mit teilweise rassistischen Provokationen Aufmerksamkeit, zum Beispiel, wenn er empfiehlt, die Integrationsstaatssekretärin Aydan Özoguz „in Anatolien zu entsorgen“.
Im Hintergrund des Streits um Pazderskis Kandidatur steht auch eine alte Frage: Soll die AfD gemäßigter auftreten, sich nach ganz rechts abgrenzen – oder nicht? „Wir müssen als Partei professioneller werden, aber zugleich auch Protestbewegung bleiben“, sagt einer aus dem Vorstand. Das ist der Spagat. Bald gibt es Gerüchte über einen Kompromiss: Gauland tritt nicht an, er macht den Weg für Pazderski frei, der seinerseits auf einige der Befugnisse eines AfD-Chefs verzichtet. Unberechenbare Basis. Die Abstimmung stand zu Redaktionsschluss noch aus. Wie sie ausging, war bis zuletzt ungewiss. Die AfD-Basis ist noch unberechenbarer als jene der Grünen. 2015 hat Petry mithilfe der Delegierten Bernd Lucke gestürzt: Es war das Ende der AfD als Partei der euroskeptischen Professoren. Man rückte nach rechts. Dann biss sich Petry selbst an der Basis die Zähne aus. Sie wollte die AfD auf einen realpolitischen Kurs bringen, stellte sich gegen Gaulands Fundamentalopposition. Natürlich ging es auch um Macht. Petry galt jetzt als „Spalterin“. Wie schon Lucke. Es war der Anfang ihres Endes in der AfD. Pe- try strengte damals ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke an, der eine „übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“aufweise. So stand es in der Begründung. Das Verfahren läuft zwar noch, aber de facto ist Thüringens AfDChef rehabilitiert. Gauland schützt ihn. Meuthen auch. Und Petry ist weg. Sie hat die Blaue Partei gegründet, die eine Art landesweite CSU werden soll, aber derzeit auf der Stelle tritt.
Am Rande des Parteitags zeigt sich Höcke im Kreis der Führungsriege. Auf
»Wir sind dabei, unser Land Stück für Stück zu verlieren«, sagt Parteichef Meuthen. Kandidat Pazderski zählt zum Lager der Gemäßigten. Das irritiert den rechten Flügel.
dem Parteitag in Köln im April fehlte der nationalistische Ideologe noch, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein „Denkmal der Schande“nannte und einen Minister im Nazi-Jargon als „Volksverderber“bezeichnete. Aber mit seinen Parolen ist Höcke nicht allein. Es gebe eben viele Strömungen in der AfD. Das sei so in einer „Volkspartei“, sagt ein Vorstandsmitglied knapp. Richtungsstreit. Die Ablehnung von Merkels Flüchtlingspolitik ist der Kitt der Protestpartei. Über die Wählerschaft ist bekannt, dass sie fast einhellig den kulturellen Identitätsverlust fürchtet und mehrheitlich männlich ist. Ihre Machtbastion hat die Partei in den östlichen Bundesländern, dort schnitt sie fast doppelt so stark ab wie im Westen. Dort wanderten auch Hunderttausende Wähler von der Linkspartei zur AfD. Man müsse „Kapitalismuskritik wagen“, heißt es aus dem Flügel um Höcke. Parteichef Meuthen, der liberale Ökonom, sieht das ganz anders.
Konsens gibt es in der Beurteilung der FPÖ. Die finden hier alle gut, mit wem man auch redet. „Unsere Freunde“nennt sie ein prominenter Rechtsaußen der AfD. „Es gibt keine andere Partei, mit der wir so viel Kontakt haben“, sagt AfD-Sprecher Christian Lüth zur „Presse am Sonntag“.
Bei Strache klang das zuletzt zurückhaltender. Er gratulierte zum AfDWahlerfolg, verglich die Partei aber mit dem FPÖ-Vorgänger VdU. Dem Vernehmen nach steht er Petry näher. Und anders als seine Freiheitlichen in Österreich ist die AfD in Deutschland noch lang nicht salonfähig.