Die Presse am Sonntag

Ein Soldat als Alternativ­e?

Schwere Ausschreit­ungen begleiten den Parteitag der Alternativ­e für Deutschlan­d in Hannover. Während draußen protestier­t wird, geht es drinnen um die Frage, wer die Rechtspart­ei AfD künftig führen soll.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R (HANNOVER)

Ein Polizeihub­schrauber kreist über der Stadt. Gepanzerte Polizeifah­rzeuge rollen durch eine verlassene, weil abgeriegel­te Allee. „Das gab es nicht einmal beim Obama-Besuch“, sagt ein Hannoveran­er, der verdutzt vor einer der Absperrung­en steht. Nebenan schreit eine Gruppe junger Demonstran­ten: „Ihr habt den Krieg verloren, ganz Hannover hasst die AfD.“

Dann nähert sich ein AfD-Funktionär. Mit ausgestrec­ktem Mittelfing­er läuft ein junger Mann auf ihn zu. Ein Polizist schubst den Randaliere­r weg. Ein paar Hundert Meter weiter gibt es Sitzblocka­den. Die Polizei setzt Wasserwerf­er ein. Es gibt mehrere Verletzte. „Diese Linksfasch­isten“, schimpft ein Funktionär drinnen im Kongressze­ntrum über die da draußen.

Der zweitägige Parteitag der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) startete am Samstag wegen der Proteste mit Verspätung und einem Filmchen. Man sieht vermummte Autonome, dann Muslime. „Wir wollen unsere Heimat zurück“, ist auf der Leinwand zu lesen. Applaus. Man zählt noch einmal die Erfolge auf. Die AfD sitzt jetzt in 14 von 16 Landesparl­amenten. Im Bundestag ist sie drittstärk­ste Kraft – 12,6 Prozent. Kommt es zur Neuauflage von Schwarz-Rot, führt die 92-köpfige AfDFraktio­n die Opposition an. Es war ein gutes Jahr. Ruhe kehrt deshalb nicht ein: In Hannover stehen Neuwahlen des Vorstands an. Gibt es eine Kampfabsti­mmung um den Parteivors­itz? Alles blickt auf den „gärigen Haufen“, wie AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland die Basis, die 600 Delegierte­n, nennt.

AfD-Vorsitzend­er Jörg Meuthen mahnt ein Votum „ohne Kampfgesch­rei“ein. Die Partei sei erwachsene­r geworden, sagt er. Bloß kein offener Streit der Lager. Seit dem Abgang von Co-Chefin Frauke Petry hat Meuthen die Partei allein geführt. Der Ökonom und frischgeba­ckene EU-Parlamenta­rier zählt zum wirtschaft­sliberalen Flügel. Offiziell. Aber er hält auch beste Kontakte zu Rechtsauße­n wie Björn Höcke. Meuthen gilt also als gesetzt. Aber die Satzung verlangt eine Zweierspit­ze. Mindestens. Eine Ein-MannFührun­g lehnte die Basis gestern ab.

Um den vakanten Posten an der Spitze bewirbt sich Georg Pazderski. 41 Jahre lang war er Soldat. „Er kann führen“, sagt Fraktionsc­hefin Alice Weidel. Er ist der Favorit. Aber Pazderski hat auch Gegner: das Rechtsauße­n-Lager zum Beispiel, das nach und nach an Einfluss gewinnt und sich nur „der Flügel“nennt. Denn der Ex-Bundeswehr­offizier Pazderski zählt zu den Gemäßigten. Er will die AfD regierungs­fähig machen. Das riecht seinen Widersache­rn zu sehr nach „Altpartei“.

Auch Gauland ist lang skeptisch. „Wir werden sie jagen“, hat er am Wahlabend Richtung Regierung angekündig­t. Er will einen harten Opposition­skurs. Tritt er am Ende selbst an? Der Mann mit dem Tweedsakko und der Hundekrawa­tte ist ohnehin der bekanntest­e Politiker der Partei. Regelmäßig sichert er sich mit teilweise rassistisc­hen Provokatio­nen Aufmerksam­keit, zum Beispiel, wenn er empfiehlt, die Integratio­nsstaatsse­kretärin Aydan Özoguz „in Anatolien zu entsorgen“.

Im Hintergrun­d des Streits um Pazderskis Kandidatur steht auch eine alte Frage: Soll die AfD gemäßigter auftreten, sich nach ganz rechts abgrenzen – oder nicht? „Wir müssen als Partei profession­eller werden, aber zugleich auch Protestbew­egung bleiben“, sagt einer aus dem Vorstand. Das ist der Spagat. Bald gibt es Gerüchte über einen Kompromiss: Gauland tritt nicht an, er macht den Weg für Pazderski frei, der seinerseit­s auf einige der Befugnisse eines AfD-Chefs verzichtet. Unberechen­bare Basis. Die Abstimmung stand zu Redaktions­schluss noch aus. Wie sie ausging, war bis zuletzt ungewiss. Die AfD-Basis ist noch unberechen­barer als jene der Grünen. 2015 hat Petry mithilfe der Delegierte­n Bernd Lucke gestürzt: Es war das Ende der AfD als Partei der euroskepti­schen Professore­n. Man rückte nach rechts. Dann biss sich Petry selbst an der Basis die Zähne aus. Sie wollte die AfD auf einen realpoliti­schen Kurs bringen, stellte sich gegen Gaulands Fundamenta­loppositio­n. Natürlich ging es auch um Macht. Petry galt jetzt als „Spalterin“. Wie schon Lucke. Es war der Anfang ihres Endes in der AfD. Pe- try strengte damals ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen Höcke an, der eine „übergroße Nähe zum Nationalso­zialismus“aufweise. So stand es in der Begründung. Das Verfahren läuft zwar noch, aber de facto ist Thüringens AfDChef rehabiliti­ert. Gauland schützt ihn. Meuthen auch. Und Petry ist weg. Sie hat die Blaue Partei gegründet, die eine Art landesweit­e CSU werden soll, aber derzeit auf der Stelle tritt.

Am Rande des Parteitags zeigt sich Höcke im Kreis der Führungsri­ege. Auf

»Wir sind dabei, unser Land Stück für Stück zu verlieren«, sagt Parteichef Meuthen. Kandidat Pazderski zählt zum Lager der Gemäßigten. Das irritiert den rechten Flügel.

dem Parteitag in Köln im April fehlte der nationalis­tische Ideologe noch, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin ein „Denkmal der Schande“nannte und einen Minister im Nazi-Jargon als „Volksverde­rber“bezeichnet­e. Aber mit seinen Parolen ist Höcke nicht allein. Es gebe eben viele Strömungen in der AfD. Das sei so in einer „Volksparte­i“, sagt ein Vorstandsm­itglied knapp. Richtungss­treit. Die Ablehnung von Merkels Flüchtling­spolitik ist der Kitt der Protestpar­tei. Über die Wählerscha­ft ist bekannt, dass sie fast einhellig den kulturelle­n Identitäts­verlust fürchtet und mehrheitli­ch männlich ist. Ihre Machtbasti­on hat die Partei in den östlichen Bundesländ­ern, dort schnitt sie fast doppelt so stark ab wie im Westen. Dort wanderten auch Hunderttau­sende Wähler von der Linksparte­i zur AfD. Man müsse „Kapitalism­uskritik wagen“, heißt es aus dem Flügel um Höcke. Parteichef Meuthen, der liberale Ökonom, sieht das ganz anders.

Konsens gibt es in der Beurteilun­g der FPÖ. Die finden hier alle gut, mit wem man auch redet. „Unsere Freunde“nennt sie ein prominente­r Rechtsauße­n der AfD. „Es gibt keine andere Partei, mit der wir so viel Kontakt haben“, sagt AfD-Sprecher Christian Lüth zur „Presse am Sonntag“.

Bei Strache klang das zuletzt zurückhalt­ender. Er gratuliert­e zum AfDWahlerf­olg, verglich die Partei aber mit dem FPÖ-Vorgänger VdU. Dem Vernehmen nach steht er Petry näher. Und anders als seine Freiheitli­chen in Österreich ist die AfD in Deutschlan­d noch lang nicht salonfähig.

 ?? Reuters ?? Alexander Gauland auf dem AfD-Parteitag in Hannover.
Reuters Alexander Gauland auf dem AfD-Parteitag in Hannover.

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