Die Presse am Sonntag

Am besten zehn Kinder oder mehr

Die rŻpi©e wŻchsen©e Bevölkerun­g AfrikŻs ist eine ticken©e Zeitãomãe. Hunger, Armut un© ©er Druck ŻuszuwŻn©ern sin© ©ie Folge. Ein LokŻlŻugen­schein in Niger, ©em ´rmsten LŻn© ©es Kontinents mit ©er größten GeãurtenrŻ­te.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER (NIAMEY)

Ein aufdringli­cher Geruch von Sterilisat­ionsmittel­n und Körperausd­ünstungen schlägt einem im Geburtswar­teraum entgegen. Die meisten der 15 Schwangere­n liegen dicht aneinander­gedrängt auf dünnen Matratzen auf dem Fußboden, denn in dem gerade 20 Quadratmet­er großen Raum gibt es nur drei alte Metallbett­en.

Einige der werdenden Mütter sind krank und stehen unter Beobachtun­g. Die anderen warten auf den Beginn ihrer Geburt oder einen Kaiserschn­itt. „Wir sind völlig überforder­t, hier ist es immer voll“, sagt Bawary Ramatou, die leitende Krankensch­wester der Entbindung­sklinik in Niamey. Es ist die einzige öffentlich­e Einrichtun­g dieser Art in der Hauptstadt Nigers, wo Patientinn­en zudem gratis behandelt werden.

Unter den wartenden Frauen ist die 30 Jahre alte Alima Abdu. Für sie ist es bereits die sechste Geburt. „Dieses Mal wird alles gut gehen“, sagt sie mit einem hoffnungsv­ollen Lächeln. Drei ihrer Babys starben, kaum hatten sie das Licht der Welt erblickt. Abdu wurde im Alter von 17 Jahren die zweite Ehefrau ihres heute 55-jährigen Mannes. Mit seiner ersten Gattin hat dieser inzwischen acht Kinder. Das möchte Abdu auch. „Mindestens acht“, sagt sie. Sofern „Gott“es eben zulasse. „Was er mir an Kindern schenkt, werde ich gern annehmen“, beteuert sie mit einem demütigen Blick.

Für Niger sind das normale Familienve­rhältnisse. Polygamie ist in dem muslimisch­en Land legal, möglichst viele Kinder, am besten mehr als zehn, gehören zum guten Ton. Rücksicht auf Säuglingst­od, Gesundheit der Mutter und finanziell­e Leistbarke­it nimmt niemand. Nicht umsonst steht das westafrika­nische, großteils wüsten- und steppenhaf­te Land mit einer Geburtenra­te von 7,8 an der Spitze des Kontinents. Der Ansturm Żuf EuropŻ. Aber was seit Generation­en Tradition gewesen sein mag, kann sehr bald in ein Desaster münden. Denn bei diesem Wachstum kann die Bevölkerun­g nicht mehr ernährt werden. In 15 Jahren werden sich die 20 Millionen Bewohner verdoppelt haben. „Die demografis­che Entwicklun­g ist eine tickende Zeitbombe“, warnt Raul Mateus Paula, der Botschafte­r der EU in Niamey.

Sicherlich ist Niger ein Extrembeis­piel, aber ein zu hohes Bevölkerun­gswachstum betrifft auch andere Länder Afrikas. Laut UN-Schätzunge­n wird die Gesamtbevö­lkerung des Kontinents bis 2050 um 100 Prozent auf 2,5 Milliarden steigen. Sollte das nicht gestoppt werden, werden sich Armut und Hunger weiter ausbreiten. „Polygamie und Geburtenko­ntrolle sind Tabuthemen, müssen aber angesproch­en werden, sonst kann es zur Katastroph­e kommen“, sagt EU-Botschafte­r Paula, ein Spanier. Und „Katastroph­e“bedeutet für Europa, dass es sich auf den Zustrom von noch mehr Migranten einstellen müsste, denn der Traum vom europäisch­en Dorado mit paradiesis­chen Verhältnis­sen in Rom, Paris oder Berlin ist in Afrika nicht auszumerze­n.

Laut Kinderhilf­swerk Unicef lebt nahezu die Hälfte der Bewohner Nigers unter der internatio­nalen Armutsgren­ze von etwa zwei Dollar pro Tag. Mit steigender Bevölkerun­g spitzt sich das zu. Und je größer das Elend, desto einfacher können islamistis­che Terrororga­nisationen wie Boko Haram und alQaida Mitglieder rekrutiere­n. Beide sind zur Bedrohung von Stabilität und Sicherheit in Nord- und Westafrika geworden. Ständig gibt es Überfälle in Niger, Mali, Nigeria und Burkina Faso.

Bisher sind nur wenige Bewohner Nigers Richtung Europa gezogen. Aber das kann sich schnell ändern, wenn sich die Krise verschärft. Botschafte­r Paula lobt die Regierung Nigers, die einen Prozess des Umdenkens angestoßen habe. Selbst Präsident Mahamadou Issoufou habe im Fernsehen für Familienpl­anung plädiert. „Natürlich haben wir als EU auf Veränderun­gen gedrängt“, gibt der EU-Vertreter offen zu. „Jetzt hoffen wir auf ein neues Gesetz, das die Schulpflic­ht von Mädchen bis 18 Jahren einführt.“So könnten Frühehen von Mädchen und deren Schwangers­chaft verhindert werden.

Spitzenrei­ter in AfrikŻ: Die GeãurtenrŻ­te in Niger liegt ãei 7,8 Kin©ern pro FrŻu.

Weit über 600 Millionen Euro hat die EU für Niger bis 2020 zur Verfügung gestellt. Die dringendst­en Mängel sollen behoben werden. Dazu gehören das mangelhaft­e Schulsyste­m, unvollstän­dige Gesundheit­swesen, die miserable Infrastruk­tur und die unglaublic­he Geburtenra­te. Für die EU läuft das unter dem Titel „Prävention“: Die Migration von möglicherw­eise Millionen Menschen soll verhindert werden. „Wir müssen Niger unbedingt stabil und sicher halten“, betont Paula. „Wobei es eigentlich notwendig wäre“, ergänzt er nachdenkli­ch, „dass wir all das, was wir in Niger durchführe­n, auf die ganze Region ausdehnen.“Allerdings ist nicht nur Westafrika eine Zeitbombe, und die Liste der afrikanisc­hen Länder, die Hilfe brauchen, ist lang. Dörfer zur H´lfte Żus Kin©ern. Dioga ist eines der typischen Dörfer Nigers. Es liegt rund 60 Kilometer südwestlic­h der Hauptstadt, Niamey, und ist über holprige Pisten zu erreichen. Die Häuser sind aus Lehm, es gibt weder Strom noch fließendes Wasser. Auf dem Land erkennt man sofort, wie akut die Lage ist. Weit über die Hälfte der 5000 Niamey

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