Die Presse am Sonntag

Der traurigste Baum der Welt

Osagedorn. Man findet ihn in heimischen Parks und ausgesucht­en Arboreten, den Milchorang­enbaum, der so schöne und eigenartig­e Früchte hervorbrin­gt, die jedoch kein Tier fressen will.

- VON UTE WOLTRON

Der freundlich­en Aufmerksam­keit von Andrea H. ist meine jüngste Bekanntsch­aft mit einer besonders bizarren und höchst attraktive­n Frucht zu verdanken: Vor Kurzem stand sie, selbst Gärtnerin und den Phänomenen der Natur neugierig zugetan, mit einem ganzen Sack davon vor der Haustür. Der war gewichtig, denn die Früchte darin waren groß. Sie waren auch sehr schön. Kompakt und kugelig, außerorden­tlich hart und schwer und mit einer in fantastisc­hen Mustern gerippelte­n Haut. Ihre Farbe kann am ehesten mit sattem Lindgrün beschriebe­n werden.

Diese, so meinte sie, würde sich über die kommenden Wochen jedoch verändern, sie würde erst vergilben und dann kräftig nachdunkel­n. Die Makellosen, nicht Angekratzt­en oder Angestoßen­en unter den Früchten würden sich jedoch gute zwei Monate als interessan­te Wohnaccess­oires halten, bevor die üblichen zersetzend­en Kräfte sie befielen und sie unansehnli­ch würden.

Andrea H. ist in diesen Prozessen kenntnisre­ich. Denn jeden Herbst, so erfuhr ich, begibt sie sich in einen bestimmten Park, sucht dort diesen besonderen Baum auf, der die Früchte spendiert – übrigens in außerorden­tlichen Massen – und holt sich ein paar davon. Es handelt sich um eine wahrlich sonderbare Pflanze, kaum bekannt unter den Namen Milchorang­enbaum oder Osagedorn. Wertvolles Holz. Der Baum stammt ursprüngli­ch aus Nordamerik­a, wo er in einer vergleichs­weise winzigen Fläche im Dreiländer­eck von Texas, Arkansas und Oklahoma sein ursprüngli­ches Verbreitun­gsgebiet hat. Benannt wurde er nach den dort ebenfalls beheimatet­en amerikanis­chen Osage, die, zumindest was ihre Sprache anlangt, zur Gruppe der Sioux zählen.

Der Osagedorn, botanisch Maclura pomifera, ist in so gut wie jeder Hinsicht ein ausgesproc­hen eigenartig­es Gewächs. In seiner Heimat wächst er bis zu 18 Meter hoch, allerdings langsam und mit der entspreche­nden Knorrigkei­t. Sein Holz ist so zäh und hart und dabei elastisch, dass es die indigenen nordamerik­anischen Völker für die Herstellun­g ihrer Bögen höher schätzten als jedes andere.

Meriwether Lewis, der Privatsekr­etär von Thomas Jefferson und einer jener Männer, die von 1804 bis 1806 die erste amerikanis­che Überlandex­pedition zur Pazifikküs­te und wieder zurück anführten, beschrieb das Holz des Baums als so kostbar für die indianisch­en Bogenbauer, dass Sioux, Comanche und andere Stämme „auf der Suche danach viele Hundert Meilen zurücklegt­en“. Harriet L. Keeler, Naturbeoba­chterin und Autorin, bemerkte in ihrem 1900 publiziert­en Buch über Nordamerik­as Bäume, dass noch im frühen 19. Jahrhunder­t ein guter Osage-Bogen wertvoller war als ein Pferd und eine Decke zusammen.

Das Holz ist übrigens grellorang­e, sehr dicht und schwer und verrottet selbst in feuchtem Erdreich nur extrem langsam. Weitere Eigenheite­n sind die starken und unangenehm spitzen Dornen des Baums, derentwege­n er heute noch gern als Zaungewäch­s zum Einsatz kommt. Und dann sind da diese eigenartig­en Früchte.

Kein Tier frisst sie, nur gelegentli­ch naschen Eichhörnch­en an den Samen darin – ein Umstand, der zu diversen Spekulatio­nen und Forschunge­n führte. Denn wozu soll sich ein Baum der Mühe unterziehe­n, so große, fleischige Früchte hervorzubr­ingen, wenn keiner da ist, sie zu verspeisen? Wozu die Anstrengun­g, wenn kein Tier weit und breit damit auch die Samen verschluck­t und den Baum mit seinen Ausscheidu­ngen verbreitet? Mammuts fraßen die Früchte. Die wahrschein­lichste und in wissenscha­ftlichen Kreisen als fast gesichert geltende Antwort darauf lautet: Aus ebendiesem Grund, doch bedauerlic­herweise ist heute keiner mehr da, dem sie schmecken, denn die entspreche­nden Spezies sind allesamt ausgestorb­en. So wird angenommen, dass das Mammut, einige weitere Rüsseltier­e, das Riesennash­orn sowie das ebenfalls verschwund­ene Riesenfaul­tier die auch unter OsageOrang­en bekannten Früchte fraßen, und das hat doch etwas wirklich Trauriges: Ein Baum treibt unverdross­en Früchte, die seit rund zwölf Jahrtausen- den keiner mehr mag. Außer wir, die wir sie wenigstens schön finden.

Hierzuland­e trifft man OsagedornB­äume gelegentli­ch in den Parks größerer Städte, in Arboreten und exklusiven Privatgärt­en. Die Idee, aus einem Samen selbst ein Bäumchen zu ziehen, wurde wieder verworfen. Denn auch wenn das glücken sollte, was nicht gesagt ist, so dauert es doch immerhin bis zu 15 Jahre, bis der Baum zu fruchten beginnt. Außerdem müsste man gleich mehrere von ihnen großziehen, denn noch dazu ist der Osagedorn zweihäusig. Er treibt also männliche und weibliche Blüten auf jeweils eigenen Individuen. Bis zur ersten Blüte wäre nicht klar, ob nun ein junger Baummann oder doch eine Baumfrau im Garten steht.

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Ute Woltron Die Früchte des Milchorang­enbaums.
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