Ein Wirtschaftswunder, über das man sich nur wundern kann
Rasant mauserte sich Südkorea vom Armenhaus zum Industriestaat – und machte dabei laut Lehrbuch alles falsch. Heute brennen in der „Republik von Samsung“die Handys, der Chef sitzt in Haft. Die Nachbarn (be)drohen. Aber die Wirtschaft floriert. Wie machen
Im Lift geht es zu wie am Exerzierplatz. Ein gutes Dutzend Angestellte finden in dem geräumigen Aufzug Platz. Sie stehen in Reih und Glied, die Gesichter starr zum Ausgang gerichtet. Steigt jemand zu, ist seine hierarchische Stellung auch für Besucher leicht zu erkennen. Subalterne werden kaum registriert, vor einem höheren Tier verbiegen sich die Rücken, begleitet von einem respektvollen Raunen. Wir befinden uns in einem der Doppeltürme von LG, dem Hauptquartier des Elektronikkonzerns. Er ist ein „Chaebol“, eines jener legendären Industriekonglomerate in Familienbesitz, die Südkorea groß gemacht haben und deren Klumpenrisiko nun Sorgen bereitet – am meisten ihnen selbst.
Ganz oben, nahe der Chefetage, leistet sich LG einen eigenen Thinktank mit großer Bibliothek und grübelnden Ökonomen. Kang Joongkoo ist einer von ihnen. Der junge Forscher blickt über das Häusermeer von Seoul, dem 25-Millionen-Moloch, und skizziert die Lage: „In der Vergangenheit war alles klar: Wir produzieren das Gleiche wie die Japaner, nur billiger. Und jetzt machen die Chinesen uns das nach.“Sicher haben sich die Koreaner damals manches abgeschaut, und davor haben sie nun selbst Angst. In der luftigen Lobby verklebt die Empfangsdame die Linsen unserer Smartphones. Noch nicht ganz auf dem Qualitätslevel von Japan und Amerika, teurer als Asiens andere Tiger: Steckt Südkoreas Wirtschaft in einer strategischen Falle? Es wäre nicht die erste, aus der sie sich mit Geschick und Glück befreit hätte.
Wer nur die Schlagzeilen des vergangenen Jahres kennt, muss den Durchstarter aus Südostasien in der totalen Krise wähnen: Der verfeindete Bruder im Norden rasselt mit dem Säbel. Im Frühling stolperte Regierungschefin Park über eine Korruptionsaffäre. Bestechen ließ sie sich vom Kronprinzen von Samsung. Nun sitzt Lee Jaeyong hinter Gittern. Er ist der De-factoChef des Konzerns, seit sein Vater 2014 nach einem Schlaganfall ins Koma fiel. Boom an der Börse. Damit steht der größte Chaebol, der für ein Viertel der Wirtschaftsleistung sorgt, ohne Führung da. Wenige Monate, nachdem explodierende Galaxy-Note-7-Smartphones das Image der Marke ramponiert haben. Als wäre das nicht genug, schalteten noch die Chinesen auf Boykott. Sie sind auch die wichtigsten Kunden und Gäste – und sauer über ein Raketenabwehrsystem, das die USA auf koreanisches Territorium stellen durften. Schlimm? Gar nicht schlimm.
Die Wirtschaft wächst heuer mit drei Prozent, die börsenotierten Teile der Chaebols steigern ihre Gewinne um 80 Prozent, der Aktienindex Kospi klettert auf immer neue Rekordwerte. Wie das? Die extrem exportorientierte Wirtschaft bauscht die Segel, weil der Wind des Welthandels wieder kräftig bläst. Das Land ist weltgrößter Hersteller von Computerchips und profitiert vom Boom seiner DRAM-Speicher. Was die Chinesen weniger an Hyundais und Kias kaufen, holt man über die Computerbauteile wieder rein. Dazu kommt eine Aufbruchstimmung, die seit dem friedlichen Machtwechsel durchs Land geht. Der neue, linksliberale Präsident Moon verspricht mehr Kaufkraft und Inlandskonsum durch höhere Steuern und mehr Mindestlohn. Was auch das Big Business nicht sonderlich irritiert – für ein OECD-Mitglied ist die Steuerquote sehr niedrig und der Sozialstaat so schwach ausgebaut, dass bei bedächtigem Tempo und Dosierung noch einige Luft nach oben bleibt.
Moon will auch die Übermacht der Chaebols brechen, und die Justiz zieht mit. Dass sie mit dem Samsung-Erben ein Exempel statuiert hat, findet Kim
Seit dem friedlichen Machtwechsel im Frühling herrscht Aufbruchstimmung.
Woochan „eine große Errungenschaft“: „Die Botschaft ist klar: Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Wir haben endlich einen Rechtsstaat“, freut sich der Ökonom an der Korea University. Aber ach, auch auf seinem grünen Campus, wo man gut einen Harry-Potter-Film dre-