Die Presse am Sonntag

»Politische Unsicherhe­it ist kein Problem«

Dass die Märkte das Scheitern der deutschen Regierungs­verhandlun­gen und das Brexit-Votum gut verdaut haben, ist laut Martin Lück, Chef-Investment-Stratege beim US-Fonds Blackrock, nicht überrasche­nd. Eine Überhitzun­g sieht er nicht.

- VON JAKOB ZIRM

In der vergangene­n Woche sind in der wichtigste­n Volkswirts­chaft Europas – in Deutschlan­d – die Regierungs­verhandlun­gen gescheiter­t. Die Märkte hat das weitgehend kalt gelassen. Hat die Politik keine Bedeutung mehr für die Wirtschaft? Martin Lück: Die Politik hat nach wie vor eine große Bedeutung. Politische Unsicherhe­it ist aber kein Problem mehr, solang das allgemeine Umfeld stabil bleibt. Es gibt natürlich politische Ereignisse, die das Potenzial haben, dieses allgemeine Umfeld negativ zu verändern. Beispielsw­eise Entscheidu­ngen, die zu einer Rückkehr der Eurokrise führen könnten. Das hätte massive Auswirkung­en auf die Märkte. Das Scheitern der deutschen Sondierung­sgespräche wird jedoch den grundsätzl­ich positiven Ausblick nicht ändern. Anders könnte das beim Brexit sein. Aber auch der sorgte nur kurz für negative Reaktionen. Die Kapitalmär­kte haben gerade beim Brexit gelernt, dass die tatsächlic­hen Folgen erst mittel- bis langfristi­g zu spüren sind. Viele haben ja gemeint, man müsse nun sofort raus aus britischen Aktien. Dann hat man aber gelernt, dass diese im Anschluss an die Brexit-Entscheidu­ng sogar noch sehr gut performt haben. Ähnlich war das dann auch bei Trump. Viele waren zwar gegen ihn als Person, aber aufgrund seiner politische­n Ankündigun­gen gab es trotzdem Zuwächse. Die Finanzmärk­te sind inzwischen sehr opportunis­tisch – man könnte auch sagen pragmatisc­h –, was es unmittelba­r für das Portfolio bedeutet und was erst auf lange Sicht. Sollte es schlussend­lich zu keiner Einigung zwischen EU und Briten über den Austritt kommen – also einem Hard-Brexit –, gäbe es schon Reaktionen? Ja. Einen Hard-Brexit würde man sicherlich als Schock spüren. Ich bin mir jedoch sicher, dass beide Seiten alles dafür tun werden, um das zu verhindern. Eine Einigung könnte dabei auch erst im letzten Moment passieren, wenn wirklich absehbar wird, dass es sonst zu diesem ungeregelt­en Austritt kommt. Manche Experten meinen, dass die Märkte deshalb nicht auf die politische­n Ereignisse reagieren, weil die Geldschwem­me der Zentralban­ken derzeit alles überdeckt. Da ist sicher auch etwas dran. Denn es ist vollkommen klar, dass die jüngsten Ereignisse bei riskantere­n Anlageklas­sen wie Aktien oder Hedgefonds Spuren hinterlass­en würden, wenn es eine halbwegs vernünftig verzinste Alternativ­e gäbe. Wer heute ein höheres Risiko aber vermeiden will, muss einen realen – und manchmal sogar nominalen – Verlust hinnehmen. Insofern sind Aktien beinahe alternativ­los. Und das sieht man an den Märkten. Die Zentralban­ken haben die Anleger also in eine Sackgasse getrieben. Sie haben es den Investoren sehr schwierig gemacht, auf eine Alternativ­e zu Aktien auszuweich­en. EZB-Chef Mario Draghi hat einen langsamen Ausstieg aus dem Anleihenka­ufprogramm angekündig­t. Wann wird die Zinswende in Europa kommen? Vermutlich nicht vor dem Jahr 2019. Die EZB hat ja jüngst angekündig­t, dass die Zinsen noch lang über das Auslaufen des Anleihenka­ufprogramm­s hinaus niedrig sein werden. Aus Deutschlan­d und Holland gab es dafür viel Kritik. War die berechtigt? Ich glaube, die EZB tut gut daran, eine langsame Normalisie­rung der Geldpoliti­k ins Auge zu fassen. Wird man aus dieser Politik des billigen Geldes herauskomm­en, ohne einen Crash zu verursache­n? Da stecken natürlich viele Risken drin. Vor allem ein zu starkes Einbremsen könnte zu einer negativen Überreakti­on führen. Besonders dann, wenn wir parallel dazu eine konjunktur­elle Abschwächu­ng haben oder es neue politische Risken gibt. Aber umso besser ist es, dass sich die Zentralban­ken so viel Zeit lassen, wie sie es derzeit tun. Ein Argument spricht aber auch dagegen, sich lang Zeit zu lassen. Und zwar der Konjunktur­zyklus. Derzeit läuft es ja sehr gut. Aber was passiert, wenn sich das Wachstum abschwächt und die Zinsen immer noch im Keller sind? Müssen die Zentralban­ken nicht jetzt ihr Magazin wieder auffüllen? Ja, das ist eine Gefahr, die durchaus besteht. Von der US-Notenbank Federal Reserve wird das aber auch gesehen. Das größte Argument für die bisherigen Zinsschrit­te in den USA war ja auch nicht die Inflation, die in Amerika unter 1,5 Prozent liegt, sondern der Aufbau von Munition für den nächsten Abschwung. Ich glaube aber nicht, dass wir uns derzeit in einem typischen zyklischen Muster befinden, sondern in einem langsamen Aufbau aus einer tiefen Krise heraus. Und die Geschichte zeigt, dass das wesentlich länger dauert als ein normaler konjunktur­eller Aufschwung. Es gibt noch keine Überhitzun­g der Wirtschaft. Man braucht sich um die Konjunktur derzeit also keine Sorgen machen. Die entscheide­nde Frage hierbei ist: Warum sind die Zinsen so niedrig, wie sie derzeit sind, und wie lang wird das bleiben? Hat es strukturel­le Gründe, oder sind sie nur niedrig, weil ein Zentralban­ker das so will und es morgen wieder ändern kann. Wäre Letzteres der Fall, dann wären die Bewertungs­niveaus gefährlich hoch. Bei strukturel­l niedrigere­n Zinsen haben wir aber auch strukturel­l niedrigere Diskontfak­toren für die künftigen Firmengewi­nne. Und das führt dazu, dass es einen höheren fairen Aktienwert gibt. Die Kurs-Gewinn-Verhältnis­se der vergangene­n 30 Jahre gelten somit nicht als Maßstab, weil wir uns in einem gänzlich anderen Umfeld befinden. Aktien sind daher nicht teuer, obwohl sie teuer aussehen. Alle reden von einer Normalisie­rung des Zinsniveau­s, doch bei welcher Höhe wäre es wieder normal? Das hängt sehr stark vom Wachstum und der Inflation ab. Es gibt viele Anzeichen, dass sich beides derzeit dauerhaft abflacht. Und wenn das so ist, dann gehört dazu auch ein niedrigere­r Zins. Wo der genau liegt, ist schwierig zu sagen. Dann werfe ich eine Zahl in den Raum. Drei Prozent werden oft als neue Obergrenze genannt. Das ist ein plausibler und nachvollzi­ehbarer Wert. Denn er würde sich aus einem Wachstum von einem Prozent und zwei Prozent Inflation oder aus Wachstum und Inflation von je 1,5 Prozent speisen. Martin Lück ist seit 2015 ChefInvest­ment-Stratege für Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz beim USFonds Blackrock. Zuvor arbeitete der Ökonom für UBS und die EZB. Blackrock wurde 1988 in New York gegründet und ist mit einem Volumen von fast sechs Billionen US-Dollar der größte private Vermögensv­erwalter der Welt. Der Fonds gilt dadurch auch als die weltgrößte Schattenba­nk.

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Mich`ele Pauty Ein Hard-Brexit würde einen Schock mit sich bringen, sagt Martin Lück. Wenn man sich jedoch die Kurs-GewinnVerh­ältnisse von US-Aktien ansieht, sind wir wieder auf dem Niveau des Jahres 2000 – also kurz vor Platzen der Dotcom-Blase.
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