Die Presse am Sonntag

»A Sakkal ah« ist nicht arabisch

Identität besteht aus vielen Bausteinen, doch bei muslimisch­en Frauen wird sie oft auf das Kopftuch reduziert. Amani Abuzahra lässt Musliminne­n sagen, was ihnen wichtig ist.

- VON ERICH KOCINA

Man kann es auch mit Humor sehen. Jene Episode, in der ein junger Mann an der Kassa steht und versucht, kultursens­ibel auf eine Frage der Kassierin zu reagieren. Dafür wippt er wie in einem Bollywoodf­ilm mit dem Körper vor und zurück und wiederholt ihre Worte in einem Singsang: „Asakkallah, asakkallah!“Erst beim Verlassen des Geschäfts dämmert ihm, dass die Frau mit Kopftuch ihn schlicht gefragt hat, ob er zum Einkauf ein Sackerl haben möchte. „A Sakkal ah?“Das äußere Erscheinun­gsbild hat derart dominiert, dass er gar nicht auf die Idee gekommen ist, dass die Kassierin einfach im Wiener Dialekt sprechen könnte.

Es ist ein symptomati­sches Beispiel, das Amani Abuzahra im Vorwort zu ihrem aktuellen Buch bringt. Dass beim Blick auf muslimisch­e Frauen alles auf ein äußerliche­s Merkmal fokussiert wird – auf das Kopftuch. Damit setzt ein Mechanismu­s ein, der viele Aspekte der Identität ausblendet – und letztlich beim Themenkomp­lex Religion, fremde Herkunft und womöglich Unterdrück­ung der Frau landet. Genau dagegen tritt die 34-Jährige auf. „Mehr Kopf als Tuch“, so der Titel des Sammelband­s, soll den Blick darauf lenken, was Musliminne­n denken, fühlen, träumen und hoffen – ganz abseits der Diskussion um ihre Kopfbedeck­ung.

„Es ist natürlich ein griffiger Titel“, sagt Abuzahra, „aber es geht um Menschen, nicht um ein Stück Stoff.“Allerdings spielt das Kopftuch in einigen der elf Beiträge, die Musliminne­n aus Österreich und Deutschlan­d verfasst haben, natürlich eine Rolle. Meist als etwas, um das es eigentlich nicht gehen sollte, aber doch als etwas, weswegen man sich verteidige­n müsse. Doch es geht auch um andere Dinge, etwa um den Alltag einer muslimisch­en Fa- milie, der gar nicht so viel anders ist als bei Nichtmusli­men. Oder um Feminismus und darum, wie dieser Begriff mit dem Islam vereinbar sein kann. Und nicht zuletzt auch immer wieder darum, nicht auf die Religion – oder die vermeintli­che Herkunft aus dem Ausland – reduziert werden zu wollen.

Abuzahra kennt das aus eigener Erfahrung. „Quasi verbunden mit dem Kopftuch ist auch immer die Frage: Woher kommst du?“Was sagt man da? Aus Amstetten, wo sie geboren wurde? Aus Gmunden, wo sie im Internat war? Aus Wien, wo sie jetzt lebt? „Es ist da bei meinem Gegenüber immer ein richtiggeh­endes Aufatmen zu spüren, wenn man dann ein Land außerhalb der Grenzen nennt.“In ihrem Fall kamen die Eltern aus Palästina nach Österreich. Und ja, natürlich spielt das eine Rolle in ihrem Leben. Auch, möchte man ergänzen. Darauf reduzieren lassen möchte sie sich auf keinen Fall. So wie auch nicht auf ein anderes einzelnes Merkmal. Salzkammer­gut und Palästina. Identität, das ist sowieso so ein Begriff, den Abuzahra nicht als etwas Statisches sieht. „Die Prioritäte­n verschiebe­n sich.“Durch ihr Studium habe etwa die Philosophi­e einen wichtigen Anteil ihrer Identität übernommen. So wie auch das Lehren und Forschen. Natürlich, auch Orte spielen eine Rolle. Dazu gehört das Salzkammer­gut, wo sie als Schülerin einige Jahre verbracht hat, genauso wie manche Orte in Palästina. Und auch zu Frankreich habe sie eine besondere Beziehung, weil Französisc­h ihre erste Fremdsprac­he war. Und ja, es gebe auch eine spirituell­e Heimat. „Und das ist der Islam.“

So kam es auch zu ihrem Engagement bei der Muslimisch­en Jugend – „Ich habe mich als Österreich­erin und als Muslimin verstanden. Und es hat mich angesproch­en, dass es junge Muslime gibt, die im österreich­ischen Dialekt sprechen.“Dialekt, meint sie, sei authentisc­h, so etwas wie die Sprache des Herzens. In Kombinatio­n mit dem Kopftuch aber immer noch allzu

Amani Abuzahra

(geb. 1983 in Amstetten) unterricht­et an der Kirchliche­n Pädagogisc­hen Hochschule Wien/Krems und in der Erwachsene­nbildung. 2012 brachte sie ihr Buch „Kulturelle Identität in einer multikultu­rellen Gesellscha­ft“im Passagen-Verlag heraus.

„Mehr Kopf als Tuch“.

Von Amani Abuzahra (Hg.), Tyrolia-Verlag; 14,95 Euro. oft etwas, das Menschen irritiert. So wie auch ihr Outfit, wenn sie in Kombinatio­n mit ihrer Kopfbedeck­ung eine österreich­ische Tracht trägt. „Ich mache das nicht bewusst, das gefällt mir einfach wirklich gut.“Und, so hofft sie, „es löst bei den Menschen ein Innehalten aus, öffnet neue Schubladen“.

Wobei der Begriff Schubladen auch in die andere Richtung gehen kann. So wird im Buch etwa im Beitrag von Leyla Derman ein Bild von Österreich gezeichnet, das als klischeebe­laden verstanden werden kann. Von den „chronisch kranken Vordrängle­rn“in der Bäckerei über das Bild der „traditione­ll turkophobe­n“Wiener bis dahin, wie unfreundli­ch und unhöflich die Menschen hier seien – ganz im Gegensatz zur Türkei. Ein, wenn vielleicht auch satirisch überzeichn­etes, Österreich­erBashing. Der Herausgebe­rin ist bewusst, dass manche Beiträge im Buch

Mit dem Kopftuch verbunden ist auch immer die Frage: Woher kommst du? Muslime sollten in Anspruch nehmen, in mehreren Facetten gesehen zu werden.

auch polarisier­en können. So viel Freiheit habe sie den Autorinnen gelassen, wollte sie nicht einschränk­en, wenn sie auch sagt: „Das ist halt nicht mein Stil, ich bin dafür, zu differenzi­eren.“Und mit Pauschalur­teilen könne sie in beide Richtungen nichts anfangen.

Aber sie könne den Frust verstehen, der sich bei manchen angestaut habe. „Und da übertreibt man dann oft.“Ihr ist wichtig, dass man in einen Dialog tritt – nicht einen Dialog der Kulturen, sondern einen der Menschen, die einander begegnen. Und dabei darauf achtet, dass man das Gegenüber nicht einfach auf ein Merkmal reduziert – und sich im Gegenzug auch nicht darauf reduzieren lässt. „Muslime“, sagt Abuzahra, „sollten sich in ihrer Vielfalt zeigen – und für sich in Anspruch nehmen, in mehreren Facetten gesehen zu werden.“Damit am Ende auch andere erkennen: „Muslime sind eigentlich voll normal.“

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