»A Sakkal ah« ist nicht arabisch
Identität besteht aus vielen Bausteinen, doch bei muslimischen Frauen wird sie oft auf das Kopftuch reduziert. Amani Abuzahra lässt Musliminnen sagen, was ihnen wichtig ist.
Man kann es auch mit Humor sehen. Jene Episode, in der ein junger Mann an der Kassa steht und versucht, kultursensibel auf eine Frage der Kassierin zu reagieren. Dafür wippt er wie in einem Bollywoodfilm mit dem Körper vor und zurück und wiederholt ihre Worte in einem Singsang: „Asakkallah, asakkallah!“Erst beim Verlassen des Geschäfts dämmert ihm, dass die Frau mit Kopftuch ihn schlicht gefragt hat, ob er zum Einkauf ein Sackerl haben möchte. „A Sakkal ah?“Das äußere Erscheinungsbild hat derart dominiert, dass er gar nicht auf die Idee gekommen ist, dass die Kassierin einfach im Wiener Dialekt sprechen könnte.
Es ist ein symptomatisches Beispiel, das Amani Abuzahra im Vorwort zu ihrem aktuellen Buch bringt. Dass beim Blick auf muslimische Frauen alles auf ein äußerliches Merkmal fokussiert wird – auf das Kopftuch. Damit setzt ein Mechanismus ein, der viele Aspekte der Identität ausblendet – und letztlich beim Themenkomplex Religion, fremde Herkunft und womöglich Unterdrückung der Frau landet. Genau dagegen tritt die 34-Jährige auf. „Mehr Kopf als Tuch“, so der Titel des Sammelbands, soll den Blick darauf lenken, was Musliminnen denken, fühlen, träumen und hoffen – ganz abseits der Diskussion um ihre Kopfbedeckung.
„Es ist natürlich ein griffiger Titel“, sagt Abuzahra, „aber es geht um Menschen, nicht um ein Stück Stoff.“Allerdings spielt das Kopftuch in einigen der elf Beiträge, die Musliminnen aus Österreich und Deutschland verfasst haben, natürlich eine Rolle. Meist als etwas, um das es eigentlich nicht gehen sollte, aber doch als etwas, weswegen man sich verteidigen müsse. Doch es geht auch um andere Dinge, etwa um den Alltag einer muslimischen Fa- milie, der gar nicht so viel anders ist als bei Nichtmuslimen. Oder um Feminismus und darum, wie dieser Begriff mit dem Islam vereinbar sein kann. Und nicht zuletzt auch immer wieder darum, nicht auf die Religion – oder die vermeintliche Herkunft aus dem Ausland – reduziert werden zu wollen.
Abuzahra kennt das aus eigener Erfahrung. „Quasi verbunden mit dem Kopftuch ist auch immer die Frage: Woher kommst du?“Was sagt man da? Aus Amstetten, wo sie geboren wurde? Aus Gmunden, wo sie im Internat war? Aus Wien, wo sie jetzt lebt? „Es ist da bei meinem Gegenüber immer ein richtiggehendes Aufatmen zu spüren, wenn man dann ein Land außerhalb der Grenzen nennt.“In ihrem Fall kamen die Eltern aus Palästina nach Österreich. Und ja, natürlich spielt das eine Rolle in ihrem Leben. Auch, möchte man ergänzen. Darauf reduzieren lassen möchte sie sich auf keinen Fall. So wie auch nicht auf ein anderes einzelnes Merkmal. Salzkammergut und Palästina. Identität, das ist sowieso so ein Begriff, den Abuzahra nicht als etwas Statisches sieht. „Die Prioritäten verschieben sich.“Durch ihr Studium habe etwa die Philosophie einen wichtigen Anteil ihrer Identität übernommen. So wie auch das Lehren und Forschen. Natürlich, auch Orte spielen eine Rolle. Dazu gehört das Salzkammergut, wo sie als Schülerin einige Jahre verbracht hat, genauso wie manche Orte in Palästina. Und auch zu Frankreich habe sie eine besondere Beziehung, weil Französisch ihre erste Fremdsprache war. Und ja, es gebe auch eine spirituelle Heimat. „Und das ist der Islam.“
So kam es auch zu ihrem Engagement bei der Muslimischen Jugend – „Ich habe mich als Österreicherin und als Muslimin verstanden. Und es hat mich angesprochen, dass es junge Muslime gibt, die im österreichischen Dialekt sprechen.“Dialekt, meint sie, sei authentisch, so etwas wie die Sprache des Herzens. In Kombination mit dem Kopftuch aber immer noch allzu
Amani Abuzahra
(geb. 1983 in Amstetten) unterrichtet an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems und in der Erwachsenenbildung. 2012 brachte sie ihr Buch „Kulturelle Identität in einer multikulturellen Gesellschaft“im Passagen-Verlag heraus.
„Mehr Kopf als Tuch“.
Von Amani Abuzahra (Hg.), Tyrolia-Verlag; 14,95 Euro. oft etwas, das Menschen irritiert. So wie auch ihr Outfit, wenn sie in Kombination mit ihrer Kopfbedeckung eine österreichische Tracht trägt. „Ich mache das nicht bewusst, das gefällt mir einfach wirklich gut.“Und, so hofft sie, „es löst bei den Menschen ein Innehalten aus, öffnet neue Schubladen“.
Wobei der Begriff Schubladen auch in die andere Richtung gehen kann. So wird im Buch etwa im Beitrag von Leyla Derman ein Bild von Österreich gezeichnet, das als klischeebeladen verstanden werden kann. Von den „chronisch kranken Vordränglern“in der Bäckerei über das Bild der „traditionell turkophoben“Wiener bis dahin, wie unfreundlich und unhöflich die Menschen hier seien – ganz im Gegensatz zur Türkei. Ein, wenn vielleicht auch satirisch überzeichnetes, ÖsterreicherBashing. Der Herausgeberin ist bewusst, dass manche Beiträge im Buch
Mit dem Kopftuch verbunden ist auch immer die Frage: Woher kommst du? Muslime sollten in Anspruch nehmen, in mehreren Facetten gesehen zu werden.
auch polarisieren können. So viel Freiheit habe sie den Autorinnen gelassen, wollte sie nicht einschränken, wenn sie auch sagt: „Das ist halt nicht mein Stil, ich bin dafür, zu differenzieren.“Und mit Pauschalurteilen könne sie in beide Richtungen nichts anfangen.
Aber sie könne den Frust verstehen, der sich bei manchen angestaut habe. „Und da übertreibt man dann oft.“Ihr ist wichtig, dass man in einen Dialog tritt – nicht einen Dialog der Kulturen, sondern einen der Menschen, die einander begegnen. Und dabei darauf achtet, dass man das Gegenüber nicht einfach auf ein Merkmal reduziert – und sich im Gegenzug auch nicht darauf reduzieren lässt. „Muslime“, sagt Abuzahra, „sollten sich in ihrer Vielfalt zeigen – und für sich in Anspruch nehmen, in mehreren Facetten gesehen zu werden.“Damit am Ende auch andere erkennen: „Muslime sind eigentlich voll normal.“