Kuckuckskinder: Das Schweigen nach dem Seitensprung
Was hält Familien zusammen? Ehrlichkeit? Lüge? Oder Schweigen? Und was passiert, wenn das Gefüge ins Wanken gerät? Die Geschichte von einem Seitensprung und dem Hass eines Kuckuckskinds auf seine Mutter.
Marlene war 28 Jahre alt, als eines Tages ihr Handy klingelte. Am anderen Ende der Leitung war ihr Vater. Das war verdächtig, er meldet sich sonst fast nie. Er habe herausgefunden, erklärte er ohne weitere Einleitung, sie sei „nicht von ihm“. Seine Beziehung zu ihr werde das nicht beeinträchtigen, aber von ihrer Mutter werde er sich trennen. „Ja, es stimmt“, weinte diese wenig später ins Telefon. „Ich habe alles kaputt gemacht.“
Marlene lebt in Wien und heißt eigentlich nicht Marlene. Aber ihren richtigen Namen bittet sie nicht zu verwenden. Dass sie ein Kuckuckskind ist, das ist in ihrer Familie bis heute ein großes Geheimnis. Niemand aus dem Umkreis ihrer Eltern weiß davon. Und selbst ihre Eltern hüllen sich seit jenem Sommertag vor mehr als fünf Jahren wieder in Schweigen.
Bis zu jenem Telefonanruf hatte Marlene eine ganz normale Kindheit gehabt. Als einzige Tochter einer „totalen Mittelschichtfamilie“wuchs sie am Rande einer Großstadt in einem Rei- henhaus auf, der Vater war Lehrer, beide Eltern versorgten sie liebevoll, im Sommer fuhr man auf Urlaub, „alles ganz normal“. Ihre Eltern hatten sie spät bekommen, waren schon zehn Jahre verheiratet gewesen, als ihre Mutter schwanger wurde. „Dementsprechend geliebt bin ich aufgewachsen“, sagt Marlene. „Sie haben sich sehr gefreut.“
Dann kam der Anruf, und die Geschichte ihrer Kindheit zerbröselte. Kaum Zahlen. Wie viele Kinder jährlich als Ergebnis von Seitensprüngen zur Welt kommen, darüber gibt es keine genauen Zahlen. Betreiber von DNALabors gehen davon aus, dass sieben Prozent der Kinder in Österreich Ursprung einer Affäre sind. Seit den Fünfzigerjahren gab es zwar mehr als 150 Studien, diese seien allerdings oft nicht repräsentativ und reichen von einer Rate von 0,7 Prozent bis hinauf zu 35 – bei englischen Minenarbeitern –, erzählt der Deutsche Ludger Pütz. Er musste selbst feststellen, dass er ein Scheinvater ist, und betreibt heute den Blog kuckucksvater.de, an den in Deutschland verweisen.
Wie genau Marlenes Vater herausfand, dass er nicht ihr Vater ist, kann sie nur grob rekonstruieren. In der Geschichte kommt eine Visitenkarte vor, die er in der Jackentasche ihrer Mutter gefunden hatte, und die einem alten Verdacht neue Nahrung gab, worauf- viele Beratungsstellen hin sich ihre Mutter nach 28 Jahren zu einer Lebensbeichte entschied.
Seither hat Marlene mehrmals versucht, auch ihre eigene Vergangenheit zu recherchieren. Wie war es wirklich? Wer ist ihr biologischer Vater? Wo ist er jetzt? Dazu kommen aber noch ganz andere Fragen. Was macht eine