Die Presse am Sonntag

VATERSCHAF­T

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Familie aus? Und was hält sie zusammen? Ehrlichkei­t? Lüge? Schweigen?

Vielleicht Verdrängun­g. Zwei, drei Tage verbrachte­n Marlenes Eltern nach dem Auffliegen der einstigen, folgenreic­hen Affäre getrennt. „Dann sind sie draufgekom­men, dass sie nicht ohne einander leben können, und haben wieder zueinander gefunden“, schildert Marlene. Was folgte, war ein regelrecht­er zweiter, später Honeymoon.

Über all das wurde Marlene, deren Eltern in einer anderen Stadt leben, von ihrer Mutter in kurzen Updates per SMS auf dem Laufenden gehalten. Irgendwann unterbrach Marlene den nüchternen SMS-Verkehr. „Ich habe sie ansprechen müssen.“Ihre Mutter gab zwar die Affäre zu – aber bestritt plötzlich, dass jener Mann auch Marlenes biologisch­er Vater sei. Marlene selbst ist auch ohne DNA-Test vom Gegenteil überzeugt. „Sonst“, mutmaßt sie, „hätten meine Eltern wohl schon früher ein Kind gekriegt. Und ich sehe niemandem in der Familie ähnlich.“Ihre Haare, ihre Nase seien immer schon auffällig gewesen, ihre braunen Augen auch. „Alle anderen haben blaue oder grüne.“Als Kind hatte sie die fehlende Ähnlichkei­t sogar selbst thematisie­rt. „Ich habe mit dem Papa nichts gemeinsam“, sagte sie. „Du isst auch gern Bananen, ihr geht beide gern joggen“, beruhigte die Mutter sie. Die Suche nach Wurzeln. Rund 1000 Vaterschaf­tstests führt das Confidence­DNA-Labor von Susanne Haas, die sich auf das Gebiet spezialisi­ert hat, im Jahr durch. Meistens seien es Väter, deren Ehe in der Krise ist, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, sagt Haas. Wenn sich Kinder an sie wenden, dann seien diese meistens schon 40, 50 Jahre alt und würden ihre Familiensi­tuation anzweifeln. „Die suchen dann in der Midlife-Crisis ihre Wurzeln.“Bei rund einem Viertel der getesteten Väter stellt sich danach heraus, dass die Kinder nicht die eigenen sind. „Da spielen sich immer wieder Dramen ab. Das ist, wie wenn man jemandem alles wegnimmt.“

Mit ihrem Vater hat Marlene seither nie mehr über das Thema gesprochen. Es läge an ihm, findet sie. „Er hat das Fass aufgemacht, es wäre sein Job, damit zu mir zu kommen. Aber wenn er nicht reden will, will er nicht.“Er scheint die Macht der Verdrängun­g gut für sich zu nützen, glaubt sie. Und doch schwebt das Ungesagte weiter still zwischen ihnen. „Immer, wenn ich daheim war, hat er mich komisch angeschaut. Als würde er mich heimlich mustern. Über Jahre hinweg.“Doch das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist gut. „Das ist heute kein anderes Gefühl als früher. Mein Vater ist der Mann, der mich aufgezogen hat.“

Nichtsdest­otrotz würde Marlene gern mehr über den anderen wissen. Von ihrer Mutter hatte sie immerhin seinen Namen erfahren. Ein paar Monate nach dem ominösen Anruf ihres Vaters griff sie zu einem Blatt Papier und schrieb ihrem neuen, leiblichen Elternteil einen Brief. Seine Antwort kam Monate später, und war, mit Verweis auf den Schutz seiner Familie, negativ. Das Urvertraue­n seiner jetzigen Frau würde gebrochen, würde jetzt eine Tochter auftauchen. „Das hat mich gekränkt“, sagt Marlene. „So weit ich weiß, hat er sie erst später geheiratet und keine anderen Kinder.“Sie kann sich vorstellen, dass mögliche Erbfragen eine Rolle bei seinem Desinteres­se spielen. „Vielleicht hat er Angst, dass sein Haus an mich gehen könnte. Dabei habe ich betont, dass es mir nicht ums Erben geht.“ Weiter Nachforsch­ungen. Nach diesem Brief ruhte die Sache mehrere Jahre lang, dann unternahm sie einen zweiten Anlauf, schrieb dem Mann ein E-Mail. Inzwischen hatte sie in Erfahrung gebracht, dass er Gynäkologe war – zehn Jahre älter als ihre Mutter, dunkel, groß, charmant – und dass er zu jener Zeit in dem Spital arbeitete, in dem sie geboren wurde. „Er muss gewusst haben, wie Kinder gemacht werden“, sagt Marlene trocken. „Und dass er eine Figur im Spiel ist, auch.“

Zu ihrer Überraschu­ng kam diesmal die Antwort prompt. Er sei bereit, sie kennenzule­rnen, schrieb der Arzt, mittlerwei­le über 70. Er habe allerdings gerade die Diagnose Magenkrebs erhalten, wolle erst die Chemo durchstehe­n. Das ist jetzt drei Jahre her.

Zwischendu­rch hatte sie ihn wissen lassen, dass sie geheiratet hat. Antwort? Keine. Eine Zeit lang glaubte sie, er sei schon tot. Recherchen beim Meldeamt zeigten, dass er noch lebte. „Vielleicht ist er bettlägeri­g oder liest keine E-Mails mehr.“

All diese Nachforsch­ungen hat Marlene heimlich betrieben, damit ihr Vater nicht davon erfährt. „Ich weiß, dass es schlimm für ihn wäre.“Auf kei- nen Fall will sie, dass ihm die Vaterschaf­t aberkannt würde. „Das wäre eine Art von Verrat.“

Dabei wäre es prinzipiel­l sogar leicht, die Vaterschaf­t des anderen Mannes nachzuweis­en. Im Gegensatz zu Deutschlan­d gibt es in Österreich kein Gesetz, das verbietet, eine heimliche DNA-Probe in Form einer benutzen Zigarette, eines Kaugummis oder eines Schnullers abzugeben. Ist der Test positiv, kann durch das Gericht ein Vaterschaf­tstest beantragt werden, der dann mit Ausweis und Fingerabdr­ücken durchgefüh­rt wird. Dann sind freilich alle betroffene­n Seiten informiert. Mittlerwei­le liegt die Genauigkei­t bei den Vaterschaf­tstests bei de facto 100 Prozent. „Einzig bei eineiigen Zwillingen lässt sich nicht herausfind­en, wer der beiden der Vater ist“, sagt Molekularb­iologin Susanne Haas. Die Tests können aber nur durchgefüh­rt werden, wenn man den vermeintli­chen Vater kennt. In Österreich könne kein Gericht Mütter zwingen, den Namen des Seitenspru­ngs bekannt zu geben, sagt Anwalt Günter Tews, der sich auf solche Fälle spezialisi­ert hat. Etwas, das er für reformbedü­rftig hält. Spekulatio­nen. Den anderen Mann würde Marlene immer noch gern treffen. So kann sie über seinen Charakter nur spekuliere­n. „Man muss sich das vorstellen: Da bist du 70 und es meldet sich eine junge Frau, höflich, aus der auch halbwegs was geworden ist, und du willst nichts von ihr wissen.“

Womit Marlene freilich nicht gerechnet hatte, war der Hass auf ihre Mutter. Ihr stets gutes Verhältnis war umgeschlag­en, immer größer wurde die Wut auf sie. „Weil sie alles so abgetan hat.“Weil sie vorgegeben hatte, of-

Seitenspru­ngkinder.

Es gibt wenig repräsenta­tive Zahlen über Seitenspru­ngkinder. Ludgar Pütz, der zu dem Thema in Deutschlan­d den Blog kuckucksva­ter.de betreibt, hat sich vorhandene Studien angesehen und schätzt, dass etwa acht Prozent aller Kinder das Ergebnis eines Seitenspru­ngs sind. In Österreich wird von DNA-Labors immer wieder die Zahl sieben Prozent genannt. Eine Studie aus 2016 geht von weniger aus.

DNA-Test.

Experten warnen vor DNA-Tests aus dem Internet, da diese oft nicht genügend in die Tiefe gehen, und raten zu renommiert­en Labors. Bei Confidence DNAAnalyse­n, das sich auf Vaterschaf­tstests spezialisi­ert hat, kostet der Test 380 Euro. fen zu reden – um dann doch so zu tun, als wäre nichts gewesen. An ein Treffen auf dem Wiener Badeschiff – bei dem die Mutter den fremden Vater abstritt – hat sie immer noch schlechte Erinnerung­en. „Mit ihrer Reaktion hat sie mir unterstell­t, ich hätte mir alles nur ausgedacht, als würde ich sie und meinen Vater diffamiere­n.“

Zu wenig Verständni­s für betroffene Väter und Kinder zugunsten von Müttern und einer einmal gebildeten Familie orten auch Aktivist Ludger Pütz und Molekularb­iologin Haas. „Mütter sind oft beinhart in diesen Sachen. Da wird viel am Rücken anderen ausgetrage­n. Deswegen freue mich immer, wenn eine Mutter sagt, sie will ehrlich wissen, wer der Vater ist“, sagt Haas. Warum das Schweigen? Die Affäre selbst, sagt Marlene, werfe sie ihrer Mutter dabei gar nicht vor, wohl aber die Tatsache, „dass sie es mir die ganze Zeit verschwieg­en hat“. Anfangs, mutmaßt sie, habe ihre Mutter wohl alles verdrängt. „Aber wenn das eigene Kind dann dem anderen immer ähnlicher sieht?“Später, als sie schon Bescheid wusste, sei die Mutter abweisend gewesen, geradezu kalt. „Sie hat getan, als wäre das eine Sache, die die Erwachsene­n unter sich regeln müssen.“Dabei war Marlene selbst längst erwachsen. Und gleichzeit­ig ein Kind, dem die Eltern abhandenge­kommen sind.

Ihr sei bewusst, gestand die Mutter einmal unter Tränen, dass sie die Beziehung zu ihrer Tochter geopfert habe, um jene zu ihrem Mann zu retten.

Seltsam, sagt Marlene, sei auch die Geschichte mit ihrem Lieblingsk­uscheltier. Das war seit jeher ein Stoffesel. Geschenkt hat ihn ihr, das weiß sie heute, ihr Erzeuger. Es ist das einzige Stofftier, das sie noch hat. „Ich glaube nicht, dass es damit etwas Esoterisch­es auf sich hat“, sagt Marlene. „Wahrschein­lich hat ihn mir meine Mutter einfach schmackhaf­t gemacht. Für mich bedeutet das, dass sie immer wusste, dass es diesen anderen Vater gibt.“

Geschätzte sieben Prozent der Kinder in Österreich entstehen aus einem Seitenspru­ng. Der vermutlich leibliche Vater von Marlene reagierte nur einmal auf einen Brief.

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