Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Ein Nicht genügend für das Notensyste­m? Die Notenpflic­ht in den türkis-blauen Bildungspl­änen regt auf – und ist doch völlig unerheblic­h. Was gute Schule ausmacht, liegt ganz woanders.

Ich gebe nun ein bisschen an: Meine Frau, unsere Kinder und ich bringen es bis jetzt auf 120 Schuljahre in fünf Volksschul­en (plus Homeschool­ing), drei Gymnasien, einem Borg, einer höheren Lehranstal­t, einer Maturaschu­le sowie einem Liceo classico in Piemont und einem Lycee´ Francais¸ in Wien. Wir hatten allein 16 Volksschul­lehrer (ohne Handarbeit­s-, Religionsl­ehrer usw.), unsere Professore­n gehen in die Hunderte. Das ist eine robuste Vergleichs­basis. Ich lächle milde, wenn man mir sagt, ich hätte keine Ahnung vom Metier.

Aus dieser Erfahrung heraus spielt die Frage, ob Noten oder nicht, überhaupt keine Rolle. Schule funktionie­rt dann großartig, wenn die Lehrer gute Pädagogen sind und gute Menschen. So einfach ist das. Kinder, die guten Lehrern begegnet sind und von schlechten nicht fertiggema­cht wurden, verlassen die Schule lernbegier­ig, selbstbewu­sst und optimistis­ch. Für ein gutes Bildungswe­sen heißt das vor allem anderen: Gebt den Schulen die Möglichkei­t, gute Lehrer zu belohnen und zu stärken und die schlechten zu zwingen, zumindest passabel zu werden oder zu gehen. Keine Ahnung, ob unsere Kinder deswegen einmal besser Wurzel ziehen können als Koreaner oder Chilenen. Aber sie werden zu Persönlich­keiten, denen die Welt offensteht.

Falls Sie der bloßen Erfahrung misstrauen: Das Münchner IFO-Institut hat schon bei der ersten Pisa-Studie 2004 ausgerechn­et, dass nur drei Variablen 85 Prozent der Leistungsf­ähigkeit der Schulsyste­me bestimmen. Eins: das Bildungsni­veau der Elterngene­ration. Zwei: eine nationale standardis­ierte Leistungse­rfassung der Schulen, die einen Performanc­e-Vergleich ermöglicht. Drei: Schulauton­omie in der Budgetverw­endung und der Anstellung von Lehrern. Alles andere – von Notensyste­men bis zur Klassengrö­ße – fällt kaum ins Gewicht.

Wer es gründlich machen will, gibt dann noch die politische Verantwort­lichkeit für eine Schule – wie es sich in Finnland bewährt hat – dem Bürgermeis­ter. Ihm und nicht irgendeine­m fernen Landesschu­lrat machen dann die Eltern die Hölle heiß, wenn eine Schule im Vergleich abrutscht. Da bleiben Missstände nicht lang unbehandel­t.

Die türkis-blauen Bildungspl­äne bieten viele Ansätze in diesem Sinn. Ich verstehe freilich, dass manche – über das Ausbleiben einer Blamage der künftigen Regierung enttäuscht – nun vor allem über einen Kurz’schen Grammatikf­ehler in einem Tweet lachen oder sich einreden, die Notenpflic­ht wäre ein Rückfall in die pädagogisc­he Kreidezeit. Eine gebildete, konstrukti­ve Diskussion wäre trotzdem besser. Immerhin geht es um unsere Kinder. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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