»Die Menschheit wird insgesamt weiser«
Ken Follett zählt zu den erfolgreichsten lebenden Autoren, mit weltweit 160 Millionen verkauften Büchern. Berühmt wurde er mit Thrillern wie »Die Nadel«, mittlerweile hängt sein Herz eher an historischen Romanen. Dass diese immer einen aktuellen Bezug hab
Ihr jüngstes Buch „Fundament der Ewigkeit“spielt zwar im 16. Jahrhundert, weist aber Bezüge zu aktuellen Fragen auf, etwa, wie tolerant man in religiösen Konflikten sein sollte. Ist Ihnen Religion wichtig? Ken Follett: Religion hat früher eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Heute bin ich Atheist, aber ich wuchs in einer sehr gläubigen protestantischen Familie auf. Wir gehörten einer kleinen Sekte namens Plymouth Brethren an. Diese glaubte an die wörtliche Auslegung der Bibel, etwa, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Wir waren sehr puritanisch. Kino, Fernsehen, Radio galten als verderbt. Es war sogar eine Sünde, am Sonntag ein Eis zu kaufen. Das alles habe ich längst hinter mir gelassen. Heute bin ich ein Genießer. Was mir geblieben ist, ist eine Art spirituelle Attraktion zu großen Gotteshäusern. Das sieht man ja auch in „Die Säulen der Erde“. Aber damit ist kein Glaube verbunden. Insgesamt kommen die Protestanten bei Ihnen aber besser weg als die Katholiken. Das glaube ich nicht. Im 16. Jahrhundert haben die Katholiken natürlich mehr Menschen getötet als die Protestanten, aber das taten sie, weil sie die Macht hatten. Die Protestanten haben das später genauso eifrig gemacht. Moralisch sind beide Lager für mich gleichwertig. Der echte Konflikt ist zwischen Toleranz und Intoleranz. Die wahren Bösewichte in meiner Geschichte sind die, die alle ausrotten wollen, die nicht so denken wie sie. Wir leben da ja heute in seltsamen Zeiten: Einerseits sind wir gesellschaftspolitisch so tolerant wie noch nie, andererseits hat zum Beispiel Österreich ein Verhüllungsverbot erlassen. Ist das nicht recht zwiespältig? Ich war ein Teenager in den 1960erJahren und möchte daher niemandem sagen, was er anziehen darf und was nicht. Uns wollten Leute in den 60ern ins Gefängnis stecken, weil wir lange Haare hatten. Andererseits gibt es Kleidung, die die Unterdrückung von Frauen symbolisiert. Ich schaudere, wenn ich Frauen in Vollverschleierung sehe. Und was würde passieren, wenn eine dieser Frauen zu ihrem Mann sagte: Ich habe darüber nachgedacht und beschlossen, den Schleier nicht mehr zu tragen. Würde ihr Mann sagen: Natürlich, du bist eine freie Frau, du entscheidest. Oder würde er sagen: Halt den Mund und tu, was man dir sagt? Und wieder sprechen wir nicht so sehr über Religion als über Macht. Und über die Globalisierung: Diese testet die Grenzen unserer Toleranz Leuten gegenüber, die anders sind. Man kann sehr leicht in einem Dorf tolerant sein, wo alle so ticken wie man selbst. Ich persönlich könnte aber zum Beispiel niemals mit jemandem befreundet sein, der für Donald Trump gestimmt hat. Denn wenn man für einen Rassisten stimmt, ist man in meinen Augen auch ein Rassist. Könnten Sie mit jemandem befreundet sein, der für den Brexit gestimmt hat? Ich fürchte, einige meiner Freunde haben für den Brexit gestimmt. Das war ein furchtbarer Fehler. Aber das ist für mich keine moralische Verfehlung. Hingegen jemandem die Stimme zu geben, der alle Mexikaner als Vergewaltiger bezeichnet, ist unverzeihlich. Man sieht ja schon an seiner Frisur, dass Trump ein Betrüger ist, noch bevor er den Mund aufmacht. Warum glauben ihm so viele Menschen? Das hat viel mit der Stellung weißer
1949
Geboren in Cardiff (Wales).
1978
Literarischer Durchbruch mit dem Thriller „Die Nadel“.
1990
erscheint der erste historische Roman um die Kathedrale Kingsbridge, „Die Säulen der Erde“, gefolgt von „Die Tore der Welt“und dem heuer erschienenen dritten Teil, „Das Fundament der Ewigkeit“.
Politisch aktiv
ist Ken Follett in der Labour-Partei. Seine zweite Frau Barbara war Unterhausabgeordnete.
160 Millionen Bücher
hat Ken Follett bisher verkauft. Sein Mitarbeiterstab besteht aus 30 Personen. Für seine „Jahrhundertsaga“(„Sturz der Titanen“, „Winter der Welt“, „Kinder der Freiheit“) erhielt Follett angeblich einen Vorschuss von 50 Millionen Dollar. Männer zu tun. Sie waren die Könige, die Bosse, die ihren Frauen, ihren Kindern sagten, was sie zu tun hatten. Wenn diese nicht gehorchten, wurden sie bestraft. Es gab starke Gewerkschaften. Von schwarzen Personen wurde vor gar nicht so langer Zeit noch erwartet, dass sie einem Weißen ausweichen würden. All das ist verschwunden. Der Mann ist daheim nicht mehr der Boss, die Macht der Gewerkschaften wurde eingedämmt, und es gab einen afroamerikanischen Präsidenten im Weißen Haus. Diese weißen Männer sind sehr, sehr zornig. Es gibt eine Szene in „Das Fundament der Ewigkeit“, da starren die Engländer voller Schrecken auf die Armada. Offenbar mit demselben Misstrauen gegenüber Europa wie heute. Hat der Brexit seine Wurzeln im 16. Jahrhundert? (Lacht) Das habe ich so noch nicht gesehen. Allerdings hat der spanische König nicht nur England attackiert, sondern praktisch jedes Land in Europa. Hätte das unter Labour anders ausgeschaut? Kein Brexit unter Labour? Nicht wirklich. Die Labour-Partei ist in der Europafrage genauso gespalten wie die Konservativen. Ich wünschte, meine Partei hätte klar Stellung gegen den Brexit bezogen. Wir wären da jetzt in einer starken Position. Aber Jeremy (Labour-Chef Corbyn, Anm.) ist im besten Fall ambivalent. Eigentlich war er immer gegen die EU. Sie sagen „meine Partei“, weil Sie aktives Labour-Mitglied sind. Jawohl, und meine Frau Barbara war Abgeordnete im britischen Unterhaus. Ned Willard, der Held in Ihrem Buch, ist ein toleranter, aufrechter Mann. Aber er ist ein Spion. Das stellt auch die Frage, wie viel Sicherheit unsere Freiheit verträgt. Das war ein sehr schwieriger Drahtseilakt. Denn natürlich hat man Gefangene damals gefoltert. Dem heutigen Leser ist aber ein Held, der foltert, eher schwer zu vermitteln. Ich habe einen Kompromiss gefunden: Der Held macht sich zu Einschüchterungszwecken eine Folter zunutze, die im Raum nebenan stattfindet. Dafür kann man ihn natürlich der Feigheit beschuldigen. Oder mich. Sie schreiben immer mehr historische Bücher und immer weniger Thriller. Das war keine strategische Entscheidung. Ich möchte Geschichten erzählen, die längere Bücher tragen können. Das dauert zwar, macht aber nichts. Ich habe es ja nicht eilig. Sie arbeiten mit einem großen Mitarbeiterstab von 30 Personen, dem „Follett-Office“. Wie muss man sich das vorstellen? Diese Leute helfen mir nicht mit dem Schreiben der Bücher. Sie kümmern sich um alles andere, die Finanzen, Verträge, Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe mittlerweile mehr als 1000 Verträge mit Verlagen weltweit. Aber die Recherche erledige ich selbst. Manchmal hilft mir allerdings jemand dabei, alte Bücher und Karten zu finden oder Leute, die ich interviewen kann. Den ersten Entwurf zeige ich Historikern, um Fehler zu vermeiden. Was ist Ihnen lieber: Recherche oder Schreiben? Die Recherche ist einfacher. Gebäude anzuschauen oder Leute zu interviewen ist simpler als ein Buch zu schreiben. Aber ich mag beides. Natürlich fliege ich gern nach Sevilla und schaue mir all die alten Gebäude an. Aber mein Herz gehört dem Schreiben. Die „Washington Post“hat Ihre Bücher als „mühelose Bildung“bezeichnet. . . . in welcher Zeit außer der heutigen Sie gern gelebt hätten oder leben würden? In keiner. Diese Zeit ist die beste. Im 16. Jahrhundert wusste zum Beispiel niemand irgendetwas über den menschlichen Körper. Man wurde krank, und man starb. Sogar Königin Elizabeth I. hatte im Alter von 40 bereits braune, abgefaulte Zähne. . . . welche Schriftsteller Sie besonders bewundern? Da gibt es die, von denen ich weiß, dass ich sie nie erreichen kann: Dickens, Balzac, Tolstoi, Proust. Von denen in meiner eigenen Liga mag ich Lee Child und John Grisham. . . . welchen Beruf Sie gern hätten, wenn Sie nicht Schriftsteller geworden wären? Im wirklichen Leben hätte ich wahrscheinlich irgendetwas mit Büchern gemacht. Würden meine Träume wahr, wäre ich ein Rock’n’RollStar: ein Sänger wie Mick Jagger, das wäre ein Spaß. Das ist gut, das gefällt mir. Sind Sie Optimist? Sie beschäftigen sich ja intensiv mit der Geschichte. Glauben Sie, dass wir von ihr lernen können? Absolut. Ich verzweifle zwar angesichts von Entwicklungen wie Trump, aber insgesamt wird die Menschheit weiser und mitfühlender. Das Leben wird leichter, wir werden wohlhabender, trainieren, schlucken unsere Vitamine. Wie entscheiden Sie sich denn für eine Periode? Es geht immer um die Erzählung. Ich habe Antennen, die zu vibrieren beginnen, wenn ich etwas lese, höre oder sehe, das passen könnte. Im Fall von „Fundament der Ewigkeit“war es der Geheimdienst, den Königin Elizabeth aufbaute. Ich beginne dann im Geist sofort fiktive Personen zu formen. Aber es schlummert sicher in jeder Dekade der letzten tausend Jahre eine gute Geschichte. Haben Sie viele literarische Fehlstarts gehabt? Nicht wirklich. Meistens weiß ich innerhalb von 24 Stunden, ob das ein Erfolg wird. Ich habe aber auch schon einige Monate an einem Konzept gearbeitet und es dann wieder verworfen, einmal sogar ein Jahr. Aber das sind Ausnahmen. Ein guter Roman braucht 50 bis 100 packende Szenen. Ich habe genug Erfahrung, um zu erkennen, ob ein Konzept das tragen könnte. Und der erste Satz? Der kommt manchmal sehr schnell, manchmal nicht. Einige meiner Bücher haben recht langweilige erste Sätze. Mein bester erster Satz ist aber bestimmt der aus „Säulen der Erde“: „The small boys came early to the hanging.“(Die kleinen Jungen waren die Ersten, die zum Richtplatz kamen.)