Die Presse am Sonntag

»Wir haben die Migrations­frage verkannt«

Die SPÖ habe zu spät auf die Ängste ihrer Wähler reagiert, sagt Noch-Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil. Warum er für die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern ist und im Wiener Duell Michael Ludwig die Daumen drückt: ein Gespräch.

- VON THOMAS PRIOR

Freuen Sie sich schon auf Ihren neuen Job im Burgenland oder wären Sie gerne länger Verteidigu­ngsministe­r geblieben? Hans Peter Doskozil: Ich gehe mit einer Portion Wehmut. Aber es ist auch schön, wenn man in sein Heimatbund­esland zurückkehr­en kann, um dort eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. So schnell wollten Sie ursprüngli­ch gar nicht ins Burgenland wechseln. Sie haben auch gemeint, dass sich die SPÖ zu früh für die Opposition entschiede­n hat. War diese Kritik an Parteichef Christian Kern gerichtet? Das war keine Kritik am Parteivors­itzenden. Wir haben einen Wahlkampf mit unglaublic­hen Untergriff­en erlebt, der auch zwischen den Spitzenkan­didaten sehr persönlich geführt wurde. Hinzu kam, dass der Verlust des ersten Platzes enttäusche­nd für uns war. Aus diesem Mix an Eindrücken und Emotionen haben wir dann gleich am Tag nach der Wahl entschiede­n, in Opposition zu gehen. Und ich meine, da hätten wir uns mehr Zeit lassen sollen. Sie sind auch stellvertr­etender Parteichef. Haben Sie sich intern nicht durchgeset­zt? Die Mehrheitsm­einung im Präsidium und im Vorstand war so. Das muss man akzeptiere­n. Aber wäre es anders gekommen, hätte das am Koalitions­ergebnis tendenziel­l wenig geändert, da sich ÖVP und FPÖ programmat­isch schon sehr nahe waren. Ist Christian Kern noch der Richtige an der SPÖ-Spitze? Christian Kern hat versichert, dass er die Partei in die Opposition führen und einen Erneuerung­sprozess einleiten will. Er hat jetzt die Verantwort­ung – und aus meiner Sicht ist er der Richtige. Hat er Fehler gemacht? Man darf nicht alles auf seine Person zuspitzen, im Wahlkampf sind einige grundsätzl­iche Fehler gemacht worden. Welche? Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war das Engagement von Tal Silberstei­n (Kerns Berater, Anm.) natürlich ein Fehler, keine Frage. Es war auch ein Fehler, dass es in der Migrations­frage – obwohl Kern und ich hier ein gemeinsame­s Konzept hatten – interne Querschüss­e gab, sodass nach außen kein geschlosse­nes Bild vermittelt werden konnte. Woher kamen die Querschüss­e? Das ist an und für sich bekannt. Aus der Wiener SPÖ, die über ihren ehemaligen Sekretär Georg Niedermühl­bichler einen Draht in die Parteizent­rale hatte? Ich habe eher an Personen gedacht, die der Partei nicht angehören, intern aber Unruhe gestiftet haben. Namen nennen Sie keine? Nein, das ist erledigt. Wir müssen jetzt nach vorne schauen. Liegt das Problem nicht noch tiefer? Überall in Europa stecken sozialdemo­kratische Parteien in einer Identitäts­krise. Man kann in Österreich noch nicht von einer Krise sprechen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in den Trend reinschlit­tern. Die Entwicklun­gen sind ja kein neues Phänomen. Nüchtern betrachtet musste die SPÖ seit zehn Jahren immer nur Rückschläg­e hinnehmen, auch in den Ländern. Wir stellen nur noch drei Landeshaup­tleute. Haben Sie eine Erklärung dafür? Es gibt mehrere Gründe. Aber Tatsache ist, dass wir – in ganz Europa – die Frage der Migration verkannt haben. Mit allen Begleiters­cheinungen: Migration wirkt sich in weiterer Folge auf viele Bereiche aus, etwa auf den europäisch­en Arbeitsmar­kt. Diesen Fragen hat sich die SPÖ nicht ausreichen­d gestellt. Warum nicht? Hans Peter Doskozil muss sein Büro im Verteidigu­ngsministe­rium demnächst räumen. Wenn die neue Regierung steht, wechselt er als Finanzland­esrat ins Burgenland.

Hans Peter Doskozil

ist seit Jänner 2016 Minister für Landesvert­eidigung und Sport. Davor war er unter anderem Landespoli­zeidirekto­r im Burgenland (seit 2012) und Büroleiter von Landeshaup­tmann Hans Niessl (2010 bis 2012).

Im Burgenland

ist der 47-jährige Jurist als nächster Landeshaup­tmann vorgesehen. Zunächst wechselt Doskozil aber als Finanzland­esrat in die Landesregi­erung – sobald die neue Bundesregi­erung steht. Im Herbst 2018 soll er Niessl zunächst als Vorsitzend­er der burgenländ­ischen SPÖ nachfolgen. Landeshaup­tmann dürfte er dann spätestens im Frühjahr 2019 werden, ein Jahr vor der Landtagswa­hl. Weil sie der Meinung war, dass ihr das Thema nichts bringt. Die SPÖ hat zu spät erkannt, wie intensiv das die Menschen beschäftig­t. Welche Ängste damit verbunden sind. Aber eine Partei, die den Anspruch hat, den Kanzler zu stellen, kann sich nicht nur Themen aussuchen, von denen sie sagt: Da sind wir gut. Sie muss auch auf die Probleme der Menschen eingehen und Themen angehen, die vielleicht unangenehm sind. Was bedeutet das für die neue Rolle in der Opposition? Ich wünsche mir einen sachlichen Zugang. Im Sozialbere­ich müssen wir ein harter Gegner sein und mit Argusaugen darauf schauen, dass die sozialdemo­kratischen Errungensc­haften erhalten bleiben. Aber wenn die künftige Regierung im Migrations- und im Sicherheit­sbereich vernünftig­e Lösungen auf den Tisch legt, sollten wir nicht aus Prinzip sagen: Das ist alles schlecht. Wie gefällt Ihnen das vorläufige schwarzbla­ue Programm zum Thema Migration? Bis jetzt sind ja nur Überschrif­ten bekannt. Wenn Asylberech­tigte künftig erst nach zehn und nicht schon nach sechs Jahren die Staatsbürg­erschaft beantragen können, ist das aus meiner Sicht vernünftig. Ein paar andere Dinge gefallen mir aber ganz und gar nicht. Nämlich welche? Dass eine Zentralisi­erung im Raum steht. Bei den Sozialvers­icherungen macht eine regionale Verantwort­ung schon Sinn. Wenn die Verantwort­ungsträger in Wien sitzen, wird alles über einen Kamm geschoren, vom Bodensee bis zum Neusiedler See. Und dann wird die hohe Versorgung­sdichte sicher nicht aufrechter­halten. Das wäre eine Schwächung des ländlichen Raums. Ist das ein Plädoyer gegen Kassenfusi­onen? Das ist ein Plädoyer für den Föderalism­us. Spricht da schon der nächste burgenländ­ische Landeshaup­tmann? Ich war auch als Bundespoli­tiker immer ein überzeugte­r Föderalist. Wir brauchen nicht neun verschiede­ne Jugendschu­tzgesetze. Aber in vielen Bereichen – und dazu gehören auch die Schulen – ist es essenziell, dass die Entscheidu­ngen vor Ort getroffen werden. Sind Sie für eine Steuerhohe­it der Länder? Es macht schon Sinn, dass die Steuerbela­stung im gesamten Bundesgebi­et die gleiche ist. Es geht nicht darum, wer das Geld einhebt, sondern darum, wer es vernünftig ausgibt. Es gibt Kritiker, die die Vernunft der Länder beim Geldausgeb­en sehr in Zweifel ziehen. Aber das sind Zentralist­en, die die Kompetenze­n der Länder beschneide­n wollen. Dabei ist auch der Bund gefordert, sich kritisch zu hinterfrag­en. Was schlagen Sie vor? Braucht wirklich jedes Ministeriu­m eine Präsidials­ektion, die sich mit Administra­tivtätigke­iten und Personalan­gelegenhei­ten beschäftig­t? Ich finde, man könnte das zusammenfü­hren. Das wäre ein ordentlich­er Spareffekt. Und warum hat das die aktuelle Regierung nicht längst gemacht? Weil jeder Politiker seine eigene Personalpo­litik machen möchte. Das war dann wichtiger als der Spargedank­e. Wir sind jetzt weit von der SPÖ abgeschwei­ft, über die Sie einen interessan­ten Satz gesagt haben: „Wir dürfen nicht die Ersatzgrün­en werden, sonst verlieren wir traditione­lle Rotwähler.“Wen meinen Sie? Wir müssen uns unserer Tradition besinnen und uns fragen, für wen wir Politik machen wollen. Klassische Arbeiter gibt es immer weniger, aber sehr viele Menschen, die in einem Arbeitsver­hältnis stehen. Für deren Rechte sind wir immer eingestand­en, gemeinsam mit der Sozialpart­nerschaft, deren Modell ich für zukunftstr­ächtiger denn je halte. Lassen Sie mich raten: Sie sind für die Pflichtmit­gliedschaf­t. So ist es. Die Arbeiterka­mmer vertritt viele Menschen, die sich privat keinen Rechtsanwa­lt leisten könnten. Dafür braucht es die Pflichtmit­gliedschaf­t. Im Übrigen haben sozialdemo­kratische Gewerkscha­fter hervorrage­nde Ergebnisse bei Betriebsra­tswahlen erzielt. Viele von denen, die FSG wählen, wählen bei der Nationalra­tswahl dann aber nicht die SPÖ. Das ist unser Problem. Und warum ist das so? Weil sie die SPÖ nicht mehr als Partei wahrnehmen, die ihre Interessen vertritt. In der Vranitzky-Ära haben wir bei Nationalra­tswahlen in Wien noch rund 44 Prozent gehabt. Die Ergebnisse in den Innenstadt­bezirken waren wie heute. Da hat sich nicht viel verändert. Aber damals hatten wir durch die Flächenbez­irke insgesamt um zehn Prozent mehr. Dort haben wir die Wähler verloren. Wenn wir glauben, dass wir ausschließ­lich Politik für den innerstädt­ischen Bereich machen können, dann ist das der falsche Weg. Wenn die SPÖ die von Ihnen geforderte Konsequenz in Sicherheit­sfragen ignoriert, wird es dann im Burgenland ein eigenes Parteiprog­ramm geben? Sie leiten ab Jänner eine entspreche­nde Reformgrup­pe. Da wird zu viel hineininte­rpretiert. In dieser Reformgrup­pe geht es vor allem um Parteistru­kturen. Inhaltlich werden wir unseren konsequent­en Weg fortführen. In Sicherheit­sfragen gibt es kein Abweichen, das steht nicht zur Debatte. Wird das möglicherw­eise auch in einem eigenen Parteiprog­ramm verschrift­licht? Es gibt nur eine SPÖ. Aber im Burgenland sind die Anforderun­gen andere als in Wien. Uns geht es nicht um ein eigenes Programm, sondern um bestimmte Schwerpunk­te für das Burgenland. Kann man davon ausgehen, dass Sie im Wiener Bürgermeis­terduell Michael Ludwig die Daumen drücken, nicht Andreas Schieder? Die Wiener werden die richtige Entscheidu­ng treffen. Aber ich glaube schon, dass Michael Ludwig einen ausgezeich­neten Bürgermeis­ter abgeben würde. Der auch gut für die Stadt wäre. Wann wird die Amtsüberga­be im Burgenland stattfinde­n – schon 2018 oder erst im Frühjahr 2019, ein Jahr vor der Wahl? Hans Niessl wird mich beim Landespart­eitag im September 2018 als neuen Landespart­eichef vorschlage­n. Danach muss ich erst einmal gewählt werden. Aber spätestens ein Jahr vor der Landtagswa­hl, im Frühjahr 2019, wird es so weit sein. Jetzt sind einmal zwei Schritte definiert. Danach schauen wir weiter. Wen wünschen Sie sich als Nachfolger im Verteidigu­ngsministe­rium – lieber einen ÖVP-Politiker oder einen Freiheitli­chen? Das ist unerheblic­h. Es sollte jemand sein, dem das Bundesheer ein Anliegen ist und der zum Heer steht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria