»Wir haben die Migrationsfrage verkannt«
Die SPÖ habe zu spät auf die Ängste ihrer Wähler reagiert, sagt Noch-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Warum er für die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern ist und im Wiener Duell Michael Ludwig die Daumen drückt: ein Gespräch.
Freuen Sie sich schon auf Ihren neuen Job im Burgenland oder wären Sie gerne länger Verteidigungsminister geblieben? Hans Peter Doskozil: Ich gehe mit einer Portion Wehmut. Aber es ist auch schön, wenn man in sein Heimatbundesland zurückkehren kann, um dort eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. So schnell wollten Sie ursprünglich gar nicht ins Burgenland wechseln. Sie haben auch gemeint, dass sich die SPÖ zu früh für die Opposition entschieden hat. War diese Kritik an Parteichef Christian Kern gerichtet? Das war keine Kritik am Parteivorsitzenden. Wir haben einen Wahlkampf mit unglaublichen Untergriffen erlebt, der auch zwischen den Spitzenkandidaten sehr persönlich geführt wurde. Hinzu kam, dass der Verlust des ersten Platzes enttäuschend für uns war. Aus diesem Mix an Eindrücken und Emotionen haben wir dann gleich am Tag nach der Wahl entschieden, in Opposition zu gehen. Und ich meine, da hätten wir uns mehr Zeit lassen sollen. Sie sind auch stellvertretender Parteichef. Haben Sie sich intern nicht durchgesetzt? Die Mehrheitsmeinung im Präsidium und im Vorstand war so. Das muss man akzeptieren. Aber wäre es anders gekommen, hätte das am Koalitionsergebnis tendenziell wenig geändert, da sich ÖVP und FPÖ programmatisch schon sehr nahe waren. Ist Christian Kern noch der Richtige an der SPÖ-Spitze? Christian Kern hat versichert, dass er die Partei in die Opposition führen und einen Erneuerungsprozess einleiten will. Er hat jetzt die Verantwortung – und aus meiner Sicht ist er der Richtige. Hat er Fehler gemacht? Man darf nicht alles auf seine Person zuspitzen, im Wahlkampf sind einige grundsätzliche Fehler gemacht worden. Welche? Jetzt, im Nachhinein betrachtet, war das Engagement von Tal Silberstein (Kerns Berater, Anm.) natürlich ein Fehler, keine Frage. Es war auch ein Fehler, dass es in der Migrationsfrage – obwohl Kern und ich hier ein gemeinsames Konzept hatten – interne Querschüsse gab, sodass nach außen kein geschlossenes Bild vermittelt werden konnte. Woher kamen die Querschüsse? Das ist an und für sich bekannt. Aus der Wiener SPÖ, die über ihren ehemaligen Sekretär Georg Niedermühlbichler einen Draht in die Parteizentrale hatte? Ich habe eher an Personen gedacht, die der Partei nicht angehören, intern aber Unruhe gestiftet haben. Namen nennen Sie keine? Nein, das ist erledigt. Wir müssen jetzt nach vorne schauen. Liegt das Problem nicht noch tiefer? Überall in Europa stecken sozialdemokratische Parteien in einer Identitätskrise. Man kann in Österreich noch nicht von einer Krise sprechen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in den Trend reinschlittern. Die Entwicklungen sind ja kein neues Phänomen. Nüchtern betrachtet musste die SPÖ seit zehn Jahren immer nur Rückschläge hinnehmen, auch in den Ländern. Wir stellen nur noch drei Landeshauptleute. Haben Sie eine Erklärung dafür? Es gibt mehrere Gründe. Aber Tatsache ist, dass wir – in ganz Europa – die Frage der Migration verkannt haben. Mit allen Begleiterscheinungen: Migration wirkt sich in weiterer Folge auf viele Bereiche aus, etwa auf den europäischen Arbeitsmarkt. Diesen Fragen hat sich die SPÖ nicht ausreichend gestellt. Warum nicht? Hans Peter Doskozil muss sein Büro im Verteidigungsministerium demnächst räumen. Wenn die neue Regierung steht, wechselt er als Finanzlandesrat ins Burgenland.
Hans Peter Doskozil
ist seit Jänner 2016 Minister für Landesverteidigung und Sport. Davor war er unter anderem Landespolizeidirektor im Burgenland (seit 2012) und Büroleiter von Landeshauptmann Hans Niessl (2010 bis 2012).
Im Burgenland
ist der 47-jährige Jurist als nächster Landeshauptmann vorgesehen. Zunächst wechselt Doskozil aber als Finanzlandesrat in die Landesregierung – sobald die neue Bundesregierung steht. Im Herbst 2018 soll er Niessl zunächst als Vorsitzender der burgenländischen SPÖ nachfolgen. Landeshauptmann dürfte er dann spätestens im Frühjahr 2019 werden, ein Jahr vor der Landtagswahl. Weil sie der Meinung war, dass ihr das Thema nichts bringt. Die SPÖ hat zu spät erkannt, wie intensiv das die Menschen beschäftigt. Welche Ängste damit verbunden sind. Aber eine Partei, die den Anspruch hat, den Kanzler zu stellen, kann sich nicht nur Themen aussuchen, von denen sie sagt: Da sind wir gut. Sie muss auch auf die Probleme der Menschen eingehen und Themen angehen, die vielleicht unangenehm sind. Was bedeutet das für die neue Rolle in der Opposition? Ich wünsche mir einen sachlichen Zugang. Im Sozialbereich müssen wir ein harter Gegner sein und mit Argusaugen darauf schauen, dass die sozialdemokratischen Errungenschaften erhalten bleiben. Aber wenn die künftige Regierung im Migrations- und im Sicherheitsbereich vernünftige Lösungen auf den Tisch legt, sollten wir nicht aus Prinzip sagen: Das ist alles schlecht. Wie gefällt Ihnen das vorläufige schwarzblaue Programm zum Thema Migration? Bis jetzt sind ja nur Überschriften bekannt. Wenn Asylberechtigte künftig erst nach zehn und nicht schon nach sechs Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen können, ist das aus meiner Sicht vernünftig. Ein paar andere Dinge gefallen mir aber ganz und gar nicht. Nämlich welche? Dass eine Zentralisierung im Raum steht. Bei den Sozialversicherungen macht eine regionale Verantwortung schon Sinn. Wenn die Verantwortungsträger in Wien sitzen, wird alles über einen Kamm geschoren, vom Bodensee bis zum Neusiedler See. Und dann wird die hohe Versorgungsdichte sicher nicht aufrechterhalten. Das wäre eine Schwächung des ländlichen Raums. Ist das ein Plädoyer gegen Kassenfusionen? Das ist ein Plädoyer für den Föderalismus. Spricht da schon der nächste burgenländische Landeshauptmann? Ich war auch als Bundespolitiker immer ein überzeugter Föderalist. Wir brauchen nicht neun verschiedene Jugendschutzgesetze. Aber in vielen Bereichen – und dazu gehören auch die Schulen – ist es essenziell, dass die Entscheidungen vor Ort getroffen werden. Sind Sie für eine Steuerhoheit der Länder? Es macht schon Sinn, dass die Steuerbelastung im gesamten Bundesgebiet die gleiche ist. Es geht nicht darum, wer das Geld einhebt, sondern darum, wer es vernünftig ausgibt. Es gibt Kritiker, die die Vernunft der Länder beim Geldausgeben sehr in Zweifel ziehen. Aber das sind Zentralisten, die die Kompetenzen der Länder beschneiden wollen. Dabei ist auch der Bund gefordert, sich kritisch zu hinterfragen. Was schlagen Sie vor? Braucht wirklich jedes Ministerium eine Präsidialsektion, die sich mit Administrativtätigkeiten und Personalangelegenheiten beschäftigt? Ich finde, man könnte das zusammenführen. Das wäre ein ordentlicher Spareffekt. Und warum hat das die aktuelle Regierung nicht längst gemacht? Weil jeder Politiker seine eigene Personalpolitik machen möchte. Das war dann wichtiger als der Spargedanke. Wir sind jetzt weit von der SPÖ abgeschweift, über die Sie einen interessanten Satz gesagt haben: „Wir dürfen nicht die Ersatzgrünen werden, sonst verlieren wir traditionelle Rotwähler.“Wen meinen Sie? Wir müssen uns unserer Tradition besinnen und uns fragen, für wen wir Politik machen wollen. Klassische Arbeiter gibt es immer weniger, aber sehr viele Menschen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Für deren Rechte sind wir immer eingestanden, gemeinsam mit der Sozialpartnerschaft, deren Modell ich für zukunftsträchtiger denn je halte. Lassen Sie mich raten: Sie sind für die Pflichtmitgliedschaft. So ist es. Die Arbeiterkammer vertritt viele Menschen, die sich privat keinen Rechtsanwalt leisten könnten. Dafür braucht es die Pflichtmitgliedschaft. Im Übrigen haben sozialdemokratische Gewerkschafter hervorragende Ergebnisse bei Betriebsratswahlen erzielt. Viele von denen, die FSG wählen, wählen bei der Nationalratswahl dann aber nicht die SPÖ. Das ist unser Problem. Und warum ist das so? Weil sie die SPÖ nicht mehr als Partei wahrnehmen, die ihre Interessen vertritt. In der Vranitzky-Ära haben wir bei Nationalratswahlen in Wien noch rund 44 Prozent gehabt. Die Ergebnisse in den Innenstadtbezirken waren wie heute. Da hat sich nicht viel verändert. Aber damals hatten wir durch die Flächenbezirke insgesamt um zehn Prozent mehr. Dort haben wir die Wähler verloren. Wenn wir glauben, dass wir ausschließlich Politik für den innerstädtischen Bereich machen können, dann ist das der falsche Weg. Wenn die SPÖ die von Ihnen geforderte Konsequenz in Sicherheitsfragen ignoriert, wird es dann im Burgenland ein eigenes Parteiprogramm geben? Sie leiten ab Jänner eine entsprechende Reformgruppe. Da wird zu viel hineininterpretiert. In dieser Reformgruppe geht es vor allem um Parteistrukturen. Inhaltlich werden wir unseren konsequenten Weg fortführen. In Sicherheitsfragen gibt es kein Abweichen, das steht nicht zur Debatte. Wird das möglicherweise auch in einem eigenen Parteiprogramm verschriftlicht? Es gibt nur eine SPÖ. Aber im Burgenland sind die Anforderungen andere als in Wien. Uns geht es nicht um ein eigenes Programm, sondern um bestimmte Schwerpunkte für das Burgenland. Kann man davon ausgehen, dass Sie im Wiener Bürgermeisterduell Michael Ludwig die Daumen drücken, nicht Andreas Schieder? Die Wiener werden die richtige Entscheidung treffen. Aber ich glaube schon, dass Michael Ludwig einen ausgezeichneten Bürgermeister abgeben würde. Der auch gut für die Stadt wäre. Wann wird die Amtsübergabe im Burgenland stattfinden – schon 2018 oder erst im Frühjahr 2019, ein Jahr vor der Wahl? Hans Niessl wird mich beim Landesparteitag im September 2018 als neuen Landesparteichef vorschlagen. Danach muss ich erst einmal gewählt werden. Aber spätestens ein Jahr vor der Landtagswahl, im Frühjahr 2019, wird es so weit sein. Jetzt sind einmal zwei Schritte definiert. Danach schauen wir weiter. Wen wünschen Sie sich als Nachfolger im Verteidigungsministerium – lieber einen ÖVP-Politiker oder einen Freiheitlichen? Das ist unerheblich. Es sollte jemand sein, dem das Bundesheer ein Anliegen ist und der zum Heer steht.