Amazon gegen Alibaba: Die Vermessung der verkäuflichen Welt
Während Amazon den Handel in Atem hält, hat ihn ein Englischlehrer aus China bei Geschäftsvolumen und Gewinn längst überholt. Jetzt will Jack Ma seinen Alibaba-Konzern globalisieren. Aber fordert er Jeff Bezos wirklich in dessen westlicher Komfortzone her
Sechs Wochen bis Weihnachten: Der chinesische Internetriese Alibaba setzt am selbst erfundenen Singles Day 22 Milliarden Euro um. Vier Wochen bis Weihnachten: Jeff Bezos kann die Erfindung des Cyber Monday zwar nicht für sich beanspruchen, freut sich aber, dass die Amazon-Kunden an den gehypten Verkaufstagen rund um Thanksgiving brav „Hunderte Millionen Produkte“kaufen.
Weihnachten: Österreichs Händler dürfen sich zum Fest auf einen Zusatzumsatz von zwei Milliarden Euro freuen. Oder von nur 1,7 Milliarden. Oder 1,3 Milliarden. Ganz einig sind sich die Ökonomen nicht – nicht zuletzt, weil ein vager Großteil des Onlinegeschäfts an Händler jenseits der Grenze fließt. Der vorweihnachtliche Vergleich zeigt, wo die Musik spielt. Die Klänge kommen nicht aus Österreich. Sie kommen generell nicht aus Europa.
Alibaba: Den meisten fällt dazu das Märchen aus Tausendundeiner Nacht ein, mit 40 Räubern und einem Berg, der auf den Befehl „Sesam, öffne dich“hin seine Schätze freigibt. Alibaba heißt aber auch das Imperium des ehemali- gen Englischlehrers Jack Ma. Wie Bezos sah er Anfang der Neunziger im Internet das nächste große Ding. Fünf Jahre, nachdem dieser in Seattle einen Buchversand aufsperrte, gründet Ma 1999 in seinem Apartment einen Onlinemarkt- platz für Unternehmen. China hatte gerade zehn Millionen Internetnutzer. Heute sind es 731 Millionen.
Getragen von einer wachsenden Mittelschicht, die neben dem Internet auch ihre Kaufkraft entdeckt hat, setzen Händler heute auf dem halben Dutzend Alibaba-Marktplätzen Ware im Wert von 460 Mrd. Euro um. Laut einer aktuellen PwC-Studie beherrscht allein Alibabas Marktplatz TMall 53 Prozent des Onlinehandels in China. 488 Millionen Kunden – also beinahe die Einwohnerzahl der EU – sind pro Jahr auf allen Seiten aktiv. Daneben schuf der Riese für seine Konsumenten im Paarlauf mit Amazon ein Ökosystem aus Bezahlund Clouddiensten. Mas Ziel scheint erreicht: China trifft sich, arbeitet und lebt in der von ihm geschaffenen Welt. Zumindest der Teil, der sich ein Smartphone leisten kann. Das trifft nur auf die Hälfte der Bevölkerung zu. Zuerst China, dann die Welt. Der Firmengründer macht bei exzentrischen Auftritten vor Journalisten und Anlegern jedoch regelmäßig klar, dass er in nicht einmal zwei Jahrzehnten zwei Milliarden Menschen aus zehn Millionen Geschäften beliefern will. Das kann China bei aller Größe nicht allein stemmen. Bald sollen also nicht zehn Prozent, sondern die Hälfte der Umsätze aus dem Ausland kommen. Alibaba will „den globalen Handel vereinfachen“, heißt es fast bescheiden. Da fühlt man sich an Bezos berühmten Brief an seine Investoren erinnert, in dem er versprochen hat, alles im Internet zu verkaufen, was der Kunde wünscht. Die Ersten,
Bei Alibabas Gründung hatten 10 Millionen Chinesen Internet, heute sind es 731 Millionen.