Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
In der Rinderzucht wenden sich viele Bauern von der einseitigen Leistungssteigerung ab – sie wollen gesündere, multifunktionale Tiere. »Big Data« hilft ihnen dabei.
Big Data“mag für viele Bereiche etwas Neues sein – in der Rinderzucht ist es längst gang und gäbe: Aus unzähligen Daten über Leistung und Gesundheit eines Rindes und seiner Nachkommen wird regelmäßig ein „Zuchtwert“berechnet. Und damit Kälber mit erwünschten Eigenschaften gezeugt werden, gibt es sogenannte Anpaarungsprogramme – quasi Parship für Stier und Kuh.
Der Urahn aller 1,3 Mrd. Hausrinder, der ausgestorbene Auerochs, war einst neben dem Wisent der größte Pflanzenfresser Eurasiens. Vor 8000 bis 10.000 Jahren begannen Menschen im Nahen Osten, diese wilden Kolosse zu domestizieren. Das war sicher nicht einfach, aber lohnend: Rinder sind multifunktionale Wesen par excellence. So viel Fleisch, Milch, Blut, Horn, Fell, Leder, Mist (Dünger) und Muskelkraft (Zugtier) konnte auf keine andere Weise gewonnen werden. Mit der Ausbreitung der ersten Bauern gelangten die Rinder auch nach Europa. Laut Genanalysen kam es immer wieder vor, dass sich Auerochsen einkreuzten. Diese Blutauffrischung war auch dringend nötig, denn wie man heute weiß, stammen alle Rinder von nur 80 Elterntieren ab. Die genetische Variation war also denkbar gering.
Durch gezielte Zuchtwahl wurden erwünschte Eigenschaften (wie Gutmütigkeit oder Schnellwüchsigkeit) verstärkt, es entstanden regional angepasste Rinderrassen. Der Ertragsdruck in der Landwirtschaft führte indes im vorigen Jahrhundert dazu, dass sich das Spektrum auf wenige Hochleistungsrassen verengte und diese einseitig zu immer größeren Fleisch- und/oder Milchleistungen hochgezüchtet wurden. Solche mit Kraftfutter versorgte „Turbokühe“geben jährlich 10.000 und mehr Kilo Milch. Zum Vergleich: Zur Aufzucht eines Kalbes benötigt eine Kuh rund 3500 Kilo Milch.
Gegen solche Pervertierungen regte sich Widerstand: Parallel zur Leistungszucht wurden daher auch andere Zuchtziele definiert, etwa Fitness, Lebensdauer, Fruchtbarkeit oder Eutergesundheit. Österreich (mit einer vergleichsweise moderaten Milchleistung von 7300 Kilo pro Kuh und Jahr) ist dabei ein Vorreiter. Diese Woche wurde nun sogar ein spezieller „Ökologischer Zuchtwert“eingeführt, in dem die Fitness der Tiere einen noch höheren Stellenwert einnimmt. Die Initiatoren wollen dadurch insbesondere Biobauern und extensive Weidebetriebe (die weitgehend auf Kraftfutter verzichten) bei der Zucht unterstützen. Damit die Tiere, wie ihre Urahnen, multifunktional bleiben. Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.