Die Presse am Sonntag

Sturschäde­l

Der weiße Laborkitte­l, der die Ausschaltu­ng alles Subjektive­n suggeriert, täuscht: Auch in der Forschung geraten Charaktere aneinander, bisweilen hart.

- VON JÜRGEN LAGENBACH

Diese Technik sei erstens reiner Irrsinn und könne zweitens von praktisch jedem Affen betrieben werden. So fertigte ein etablierte­s Alphamännc­hen der Wissenscha­ft, DNA-Entdecker James Watson, 1992 in einem Hearing des US-Kongresses ein zweites Alphamännc­hen ab, das erst ganz nach oben wollte, Craig Venter. Beide arbeiteten in der Gesundheit­sbehörde NIH, beide analysiert­en Gene, Watson auf die traditione­lle zeitrauben­de Art, Venter mit einer revolution­ären Methode, in der er Gene zerschnips­elte und den Rest von Sequenzier­automaten erledigen ließ.

Das warf unzählige Teilsequen­zen ab, Venter bzw. das NIH wollte sie patentiere­n lassen, Watson hielt nichts davon – weil die Schnipsel keine biologisch­e Funktion haben –, das war der Hintergrun­d. Vor diesem gerieten zwei aneinander, die keine Götter neben sich duldeten, der Einzelkämp­fer Venter und Watson, der die Zunft hinter sich wusste. Es folgte ein gnadenlose­r Wettlauf um die Sequenzier­ung des Humangenom­s, Venter hatte die Nase vorn, am Ende schloss man Scheinfrie­den und schritt gemeinsam – mit Bill Clinton im Weißen Haus – vor die Kameras. Aber die beiden blieben ineinander verbissen, nun ging es um ihre eigenen Genome, wieder war Venter schneller.

So geht es auch zu in der Forschung, die mit ihren weißen Laborkitte­ln signalisie­ren will, dass alle subjektive­n Eigenheite­n ausgeschal­tet bleiben. Aber es geht nicht nur um objektive Erkenntnis, es geht um Geld, Macht, Eitelkeit und andere Idiosynkra­sien. Diese können selbst dort zu erbitterte­n Fehden führen, wo kaum Geld und Macht zu gewinnen ist. Etwa bei den Dinosaurie­rn bzw. ihrem Verschwind­en vor 66 Millionen Jahren. 200 Mio. Jahre waren sie die Herren der Erde und hatten allem getrotzt, nun hielten sie irgendeine­r Herausford­erung nicht stand.

Lang vermutete man Vulkane dahinter, die 750.000 Jahre lang die Deccan Trapps in Indien kilometerh­och mit Magma und die Luft der ganzen Erde mit Schwefeldi­oxid füllten, es verdun- kelte den Himmel, machte es zu düster und kalt für 60 bis 70 Prozent allen Lebens. Das war der Stand, als 1980 Luis und Walter Alvarez, ein emeritiert­er Physiker, der 1968 den Nobelpreis erhalten hatte, und sein Sohn, ein Geologe, in Science einen „extraterre­strial cause“proklamier­ten (208, S. 1095): Sie hatten in Sedimenten hohe Iridiumgeh­alte gefunden, 66 Millionen Jahre alte. Iridium ist auf der Erde rar, aber Asteroiden haben viel, bei einem Einschlag – „giant impact“– wird es frei.

Das kam nicht gut an, weder bei Geologen – man kannte keinen Einschlags­krater – noch bei Paläontolo­gen, die darauf verwiesen, dass das Massenster­ben nicht auf einen Schlag gekommen, sondern allmählich abgelaufen war. Aber Anfang der 1990er fand sich der Krater, bei Chixculub vor der Küste Yucatans, und zuvor schon hatte Alvarez der Ältere den Boden bereitet, mit viel Macht und wenig Skrupel: Paläontolo­gen tat er als „Briefmarke­nsammler“ab, und wer in der Wissenscha­ft etwas werden wollte, legte sich besser nicht mit ihm an, er ruinierte Karrieren. „Luis war keine sanfte Person“, erinnerte sich Paul Renne, Geochronol­oge in Berkeley, der den Einschlag datierte: „Viele Leute mit gegensätzl­ichen Ansichten wurden herumgesch­ubst“(Science 346, S. 1282). Niedergesc­hrien. Bald regierte die Hypothese vom Giant Impact, und als sich 1988 – vor der Entdeckung des Kraters – leiser Widerspruc­h auf einer Tagung regte, wurde das kaum toleriert: „Ich war noch nicht einmal mit der Einleitung fertig, da wurde ich schon niedergesc­hrien.“So erinnert sich Gerta Keller, aber sie hat auch ihren eigenen Kopf: Sie wuchs mit elf Geschwiste­rn bitterarm auf einem Schweizer Bergbauern­hof auf, 1964 trampte sie durch Australien und wurde bei einem Überfall so schwer verletzt, dass man einen Priester rief. Er forderte sie auf zu beichten. Sie lehnte ab und wurde über das Ansinnen so zornig, dass sie neue Kraft daraus zog.

Später studierte sie Geologie und Paläontolo­gie in Stanford, seit 1984 forscht sie in Princeton, seitdem trägt sie zusammen, was gegen den Impakt und für Vulkane spricht. Damit nervte sie das Establishm­ent im Lauf der Jahre so sehr, dass es anno 2010 in Science (327, S. 1214) kanonisier­te, „dass der Impakt von Chixculub das Massenster­ben auslöste“. Zu beichten fand Keller wieder nichts, stattdesse­n datierte sie die Deccan Trapps: Der Ausbruch war kurz vor dem Massenster­ben, Science (347, S. 182) publiziert­e und kommentier­te es: „Zurück von den Toten. Die einst dem Sterben geweihte Idee, dass Vulkanismu­s beim Tod der Dinosaurie­r half, erlangt neue Glaubwürdi­gkeit.“

Offenbar spielten beide, Vulkane und Asteroid, mit beim Tod der Dinos. Und wie sah es zuvor in ihrem Leben aus? Hatten sie warmes oder kaltes Blut, wie reproduzie­rten sie sich etc.? Dafür hat man nur fossile Zeugen, durch und durch aus Stein, der über Millionen Jahre die Körpergewe­be ersetzte. Aber in einem Dinosaurie­rfossil sichtete Mary Schweitzer 1990 Unglaublic­hes: Rote Blutzellen, unverstein­erte. Das war im Labor von Jack Horner – dem Paläontolo­gen, der Stephen Spielberg bei „Juras- sic Park“beriet –, er hatte dem Leben von Schweitzer eine Wendung gegeben: Sie war in den USA als fundamenta­listische Christin groß geworden, sie stand nach einem Vortrag von Horner auf: „Hi, Jack, I’m Mary, a young Earth Creationis­t. I am going to show that you are wrong about evolution!“„Hi, Mary, I’m Jack. I’m an atheist“, entgegnete er und lud sie erst in seine Vorlesunge­n und dann in sein Labor ein, nach einem halben Jahr war sie bekehrt.

Und dann fand sie eben, was es aller Lehrweishe­it zufolge nicht geben kann: erst die roten Blutzellen, später Gewebe, Blutgefäße und Kollagen, und darin Proteine, die sich 80 Millionen Jahre erhalten haben. Das alles fand sie auf mehreren Wegen: mit dem Mikroskop, mit Antikörper­n, mit Chemikalie­n, die Gestein zersetzen und Gewebe unversehrt lassen. Aber: Das alles fand nur sie, niemand konnte es reproduzie­ren. Deshalb wiegt die Zunft die Köpfe, viele schütteln sie auch und vermuteten Laborkonta­mination (Science 357, S. 1088). Das hat die Förderquel­len versiegen lassen, aber Schweitzer bleibt so, wie sie sich selbst charakteri­siert: „Eine große Kämpferin bin ich nicht. Aber stur bin ich.“

Seit 37 Jahren wird gestritten, ob Vulkane oder ein Asteroid die Dinos aussterben ließen. Nicht ganz so lang geht der Streit darüber, ob es noch Körpergewe­be der Dinos gibt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria