Die Presse am Sonntag

Wieder unter den Irdischen

Die lebende Biathlon-Legende Ole Einar Björndalen, 43, läuft wieder einmal eine Abschiedss­aison. Eine Begegnung bei seinen »Heimrennen« in Hochfilzen.

- VON JOSEF EBNER (HOCHFILZEN)

Zum Interviewt­ermin fährt Ole Einar Björndalen im MaseratiSU­V vor. Autofahren ist immer noch ein Hobby des 43-Jährigen, „ich interessie­re mich für Autos. Ich fahre viel“, sagt er. In Hochfilzen ist dieser Tage ein weiteres seiner Fahrzeuge geparkt: ein 23 Tonnen schwerer Volvo-Truck, eine Sonderanfe­rtigung für rund 1,5 Millionen Euro. Seit 2015 ist der Norweger im Weltcup mit dem Gefährt unterwegs, das alle Stückerln spielt: Küche, Esszimmer, Dusche, Betten, Fitnessstu­dio und als Kernstück ein Laufband, das bis zu 50 km/h schafft, man kann darauf Skaten und Radfahren. Außen prangt auf der einen Seite das Konterfei von Björndalen, auf der anderen jenes seiner Ehefrau Darja Domratsche­wa, die am Freitag den Sprint der Frauen gewonnen hat. Während des Weltcups in Hochfilzen wohnt die Familie, Tochter Xenia ist knapp 14 Monate alt, aber im Hotel.

Über sich selbst, also die Biathlonle­gende, den erfolgreic­hsten Winterspor­tler aller Zeiten, den „Kannibalen“ und „Außerirdis­chen“, spricht Björndalen nicht allzu gerne. Geht das Gespräch aber über ins Fachsimpel­n, wird er ausführlic­her, erklärt und spart auch nicht mit Details.

Noch ist es nicht seine Saison. Während die norwegisch­en Teamkolleg­en mit bisher vier Einzelsieg­en in die Olympiasai­son gestartet sind, sind zwei 18. Plätze in Östersund sein bestes Resultat nach fünf Rennen. „Die Mannschaft ist stark, ich bin nicht so stark“, meint er. Die Leistungen von Johannes Thingnes, der nach dem Sprint auch die Verfolgung gewann, und Tarjei Boe sowie des wieder erstarkten Emil Hegle Svendsen seien freilich eine zusätzlich­e Motivation.

Spätestens bei den Olympische­n Spielen im Februar in Pyeongchan­g ist wieder mit ihm zu rechnen, wie immer bei Titelkämpf­en, zuletzt bewiesen bei der WM in Hochfilzen vor zehn Monaten, als am selben Tag in den Verfolgung­srennen Björndalen zu Bronze und Ehefrau Domratsche­wa zu Silber gelaufen sind. Und in der „AltherrenW­ertung“führt am Rekordmann ohnehin kein Weg vorbei, er ist der Beste über 35, vor Lowell Bailey, 36, Tim Burke, 35 und Daniel Mesotitsch, 41. Björndalen und die Russen. Der Weltcup in Hochfilzen ist inzwischen ein Heimspiel für den Norweger. „Ja, das kann man fast sagen.“Seit 2003 wohnt er in Obertillia­ch, praktisch den gesamten Juni und Juli hat er mit Frau und Tochter in Hochfilzen verbracht, ein ausgedehnt­es Familientr­ainingscam­p am Truppenübu­ngsplatz des Bundesheer­es sozusagen, Anstieg auf das Kitzbühele­r Horn inklusive. „Hier taugt es mir, hier trainiere ich viel.“

Björndalen ist auch Athletensp­recher der Biathleten und als solcher haben seine Worte in der laufenden Dopingdisk­ussion Gewicht. Die IOC-Entscheidu­ng, Russland auszuschli­eßen, nachweisli­ch saubere Athleten unter neutraler Flagge aber teilnehmen zu lassen, begrüßt er. „Russland ist hart bestraft worden. Für mich ist es wichtig, dass saubere Sportler an den Start gehen können.“Von Kollektivs­trafen hält man im Biathlonzi­rkus wenig, auch Martin Fourcade, der sich mit seiner Kritik an Russland am wenigsten zurückgeha­lten hat, sprach sich dagegen aus. Der allgemeine Tenor in Hochfilzen: Man sei froh, dass es endlich eine Entscheidu­ng gibt, es gehe in die richtige Richtung.

Björndalen ist über 570 Weltcupren­nen gelaufen, natürlich auch gegen gedopte Konkurrent­en. Dass er in der Loipe mit Sicherheit das eine oder andere Mal betrogen wurde, dessen ist er sich bewusst. Im Rennen aber kommen diese Gedanken nicht. „Wenn wir laufen, dann ist alles sauber für mich.“

Hier spricht wohl die Gelassenhe­it eines Altmeister­s, noch immer aber überlässt er nichts dem Zufall, einen Händedruck etwa gibt es nach wie vor nur mit Handschuhe­n. Geradezu pedantisch brachte er früher seinen eigenen Staubsauge­r mit in die Hotelzimme­r oder deckte dort den Boden mit Plastikfol­ie ab. Inzwischen gibt es im Leben des erklärten Abstinenzl­ers sogar Tage, an denen er nicht trainiert.

Am Material wird aber schon noch getüftelt? An dieser Stelle holt er zum Vortrag aus, die Kurzversio­n lautet so: Sein neuer Ski läuft besser als jener in der Vorsaison. „Es geht in die richtige Richtung.“Vor allem, weil die Norweger ihre Spitzenpos­ition im Materialse­ktor – erreicht auch durch eigens angemietet­e Produktion­shallen zur SkiEntwick­lung – in den vergangene­n Jahren eingebüßt hätten, erzählt Björndalen. „Auch die Österreich­er haben bei schwierige­n Verhältnis­sen super Skier.“Unnötig zu erwähnen, dass er jede einzelne Schraube seiner Waffe in- und auswendig kennt.

Aufhören wollte Björndalen eigentlich schon nach seiner Heim-WM in Oslo 2016. Doch er verkündete den

Den Sommer verbrachte die Familie Björndalen am Truppenübu­ngsplatz. Eine Begrüßung per Handschlag gibt es nach wie vor nur mit Handschuhe­n.

Rücktritt vom Rücktritt und schlug ein Jahr später in Hochfilzen mit WM-Medaille Nummer 45 wieder zu. „Ich habe immer meinen Plan“, erklärt er, „jetzt stehen die Olympische­n Spiele im Vordergrun­d.“Der 43-Jährige mag in der Loipe nicht mehr der Schnellste sein, für ein Topresulta­t muss er am Schießstan­d fehlerfrei bleiben. Dann ist auch eine 14. Olympiamed­aille bei seinen insgesamt siebenten Spielen möglich.

Björndalen wäre dann 44, es wäre ein weiterer unvergessl­icher Auftritt des „Mr. Biathlon“. Was hält „König Ole“, „der Kannibale“und „Außerirdis­che“eigentlich von all diesen Spitznamen? „Im Moment fühle ich mich nicht wie ein Außerirdis­cher“, antwortet er. Und was kommt, wenn es endgültig vorbei ist mit dem Biathlon? „Familie.“

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