Eine italienische Radsportwallfahrt
Radfahren ist ein grandioser Sport, in Italien eint er Kult, Kultur, Erlebnis und Emotion wie in keinem anderen Land. Giro, Coppi, Pantani, Moser, Basso: Pellegrina ist eine Rundfahrt zu Helden, ihrer Heimat, ihren Geschichten – eine Spurensuche mit Leide
Italien hat viel mehr zu bieten als bloß Rom, Venedig, Mailand oder das faszinierende Sardinien. Doch all die schönen Flecken Erde aufzuzählen wäre unmöglich. Zudem wäre ein Affront unumgänglich, irgendein Ort geriete angesichts der paradiesischen Vielfalt wohl in Vergessenheit. Diese Aufzählung wäre auch ein Wettrennen, in Kombination mit einer Wallfahrt. Wer Italien liebt und mit seinem Fahrrad auch nur halbwegs etwas anfangen kann, muss also „Pellegrina“gelesen haben.
Über 200 Seiten wird Radsport geliebt, „Ciclismo“gelebt, mit einer Fahrt quer durch Italien, über alle Felder, Hügel, Anstiege und Etappen großer Rennen wie den Giro; bis in den hintersten Winkel der Speichenhistorie dringt Lideway van Noord vor, begleitet von einem Fotografen, Robert Jan van Noort, der es versteht, Moderne und Klassik zu vereinen, der Starkult nicht nur deuten, sondern seine Umwelt auch verstehen kann. Coppi, wo? „Pellegrina“, es ist die unerschütterliche Liebe der Tifosi zu ihren Radhelden. Sie kommen aus Bergdörfern, haben Wurzeln in Sizilien. Die Autorin besuchte das Geburtshaus von Luigi Ganna, das Grab von Michela Fanini, die Videothek von Vincenzo Nibalis Mutter. Sie fand Castellania im Piemont, die Via Fausto Coppi.
Es gibt sie, diese echten Helden. Pantani, Cipollini, Pinotti, Basso, Mazzoleni. Und getrieben von Neugier und Zuneigung erhält man auch Einblicke in deren Leben. Von Marzio Bruseghin und seinen Eseln. Von Mazzoleni, der Dopingdealer war. Francesco Moser und der Weinbau der Familie. Vom Bauarbeiter Sante Carollo etc. . . . Tragik und La Dolce Vita. Man sieht nicht nur deren Leben, erfährt Unbekanntes, man blickt hinter die Kulisse, biegt in Seitenstraßen ab, findet dabei jedoch auch traurige Ecken im farbenprächtigen Jubel beim Corsa rosa. La Dolce Vita kennt sie eben, die Tragik. Lombardei, Trentino, Venetien, Toskana, Emilia-Romagna, Abruzzen, Dolomiten, diese Ausfahrt lässt nichts aus.
Nicht nur Italienern werden Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen zuteil. Auch anderen, die aber in Italien Schlimmes ereilte. Wer weiß noch, dass der Russe Denis Mentschow auf der Schlussetappe des Giro 2009 in Rom, den Sieg vor Augen, in Sichtweite des Kolosseums stürzte und den Triumph Danilo di Luca überlassen musste? Oder wer kennt den Passo del Bocco, den Apenninenpass, der Wouter Weylandt zum Verhängnis wurde? Der Belgier stürzte 2011 20 Meter in die Tiefe. Italien stand unter Schock, der Radsport stand still. In „Pellegrina“fährt er für immer mit.