Die Presse am Sonntag

»Ich rate niemandem an, sich mit sich selbst zu beschäftig­en . . .«

»Brave« Menschen haben dieselben unbewusste­n Wünsche wie Delinquent­en oder Psychopath­en. Lediglich ihre Kontrollin­stanz funktionie­rt besser, sagt der Psychoanal­ytiker und Buchautor Walter Hoffmann. Warum nur wenige etwas über ihr Unbewusste­s erfahren woll

- VON JUDITH HECHT

In Ihrem neuen Buch, „Unsere geheime Welt im Schlaf“, schreiben Sie: „Nicht die Vernunft leitet uns, sondern Kräfte aus einer verborgene­n Welt in unserem Kopf lenken uns.“Das klingt betont gruselig. Werner Hoffmann: Aber es ist tatsächlic­h genau so. Gehirnfors­cher haben anhand bildgebend­er Verfahren und verschiede­ner Experiment­e belegt, dass Entscheidu­ngen unbewusst gefällt werden. Das Gehirn hat lediglich die Möglichkei­t, ihre Ausführung zu blockieren. Wer glaubt, nach vernünftig­en Kriterien zu entscheide­n, macht sich also etwas vor? Wir entscheide­n nicht vernünftig, sondern emotional nach dem Lustprinzi­p. Lediglich eine Kontrollin­stanz – die wir auch Gewissen oder Über-Ich nennen können – achtet darauf, dass die unvernünft­igsten Entscheidu­ngen nicht in Handlungen umgesetzt werden. Aber unser Unbewusste­s funktionie­rt nach evolutionä­ren Prinzipien, es will Lust maximieren und Unlust vermeiden. Das Bewusstsei­n ist lediglich eine Marionette, das Unbewusste zieht im Hintergrun­d die Fäden. Demnach kann man nur hoffen, dass unsere Kontrollin­stanz auch funktionie­rt. Bei einem Delinquent­en funktionie­rt sie nicht so gut wie bei jemandem, der nicht straffälli­g wird. Und bei einem Psychopath­en gar nicht. Es ist aber nicht so, dass „brave“Menschen andere Wünsche hätten als Straftäter. In ihren unbewusste­n Wünschen unterschei­den sie sich untereinan­der nicht. Aber auf der zweiten Stufe, jener der Kontrolle, sehr wohl. Und unser Über-Ich verbietet uns, unbewusste Wünsche auszuleben? Ja, das tut es immer oder in den allermeist­en Fällen. Ist das nicht furchtbar? Na ja, wenn Jack Unterweger­s Kontrollin­stanzen nein gesagt hätten, würden einige Frauen heute noch leben. Nicht jeder hat wohl unbewusst den Wunsch, Frauen zu ermorden. Mit Jack Unterweger nennen Sie ein Extrembeis­piel. Genau um diese Beispiele geht es aber. Im Unbewusste­n geht es nicht um Kinderjaus­en-Wünsche, sondern um alle Triebwünsc­he, die im Laufe der eigenen kulturelle­n Sozialisat­ion unterdrück­t werden mussten. Denken Sie an Kinder in der Sandkiste. Die Butzerln schauen zuerst einmal süß aus, bis auf einmal der Zweijährig­e die Schaufel

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria