Die Presse am Sonntag

Die EU-Außengrenz­e in Afrika

In Europa reden alle von Libyen, dabei ist Agadez in Niger das Nadelöhr der Migrations­ströme aus Subsahara-Afrika – zumindest war es das. Denn der EU-Einsatz zeigt Wirkung.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Pünktlich um 23 Uhr beginnt das Einsatz-Briefing auf dem mit Wüstensand dick überzogene­n Hof der Polizeista­tion von Agadez. „Die Wagen der Gendarmeri­e fahren zuerst, dann folgen die Polizeifah­rzeuge“, erklärt Ali Issoufou, Polizeiche­f der Stadt in Zentralnig­er mit lauter, eindringli­cher Stimme. Er ist umringt von schwer bewaffnete­n Mitglieder­n der Anti-Migrations­einheit des westafrika­nischen Landes. Sie werfen gespenstis­che Silhouette­n im Schein einer viel zu kleinen Lampe. „Wir bleiben im Konvoi bis zum ersten Kreisverke­hr“, lautet die nächste Anweisung. „Dort biegen alle auf ihre vorgeschri­ebenen Routen ab. Um 1 Uhr treffen wir uns zur erneuten Lagebespre­chung an dem Ort, den ich über Funk durchgeben werde. Und nun los!“

Wenige Minuten später fahren acht Geländewag­en mit jeweils sechs Männern auf den Ladefläche hinaus ins nächtliche Agadez, auf der Suche nach Migranten und Menschenhä­ndlern.

„Diese nächtliche­n Operatione­n sind streng geheim“, sagt Issoufou. „Nur der Gouverneur und ich wissen, wann und wohin es los geht.“Bis zum Tagesanbru­ch patrouilli­eren die Einsatztru­ppen alle Straßen und Pisten, die aus der Stadt in das rund 800 Kilometer entfernte Madama führen. Dort liegt die Grenze zu Libyen, von der die Migranten dann gewöhnlich weiter an die Mittelmeer­küste reisen, um dort in einem der überfüllte­n Schlauchbo­ote nach Europa überzusetz­en.

Auf dieser Strecke waren in den letzten Jahren Hunderttau­sende von Migranten unterwegs. Agadez war der Ausgangspu­nkt, an dem man sich traf auf dem Weg ins vermeintli­che Paradies. Jeden Montag verließ eine Kolonne von über 200 Geländewag­en mit rund 5000 Auswandere­rn aus ganz Subsahara-Afrika die Stadt, um die Reise durch die Wüste anzutreten. Heute ist es damit allerdings vorbei. Agadez wirkt leer und verwaist. Geschäfte und Tankstelle­n mussten schließen. Denn nur noch wenige Migranten kommen hierher und wer von ihnen weiter will, muss sich verstecken.

In Europa reden alle von Libyen, dabei ist Agadez das Nadelöhr, durch das alle Menschen aus Afrika auf der Suche nach einem besseren Leben passieren müssen. Und dort, in dieser Stadt mit über 100.000 Einwohnern, wurde die Migration nun zum Erliegen gebracht. Die Zahlen von Neuankömml­ingen an Italiens Küsten belegen das. Von August bis November wurden nur mehr 21.332 Personen registrier­t. Zuvor waren es in einem einzigen Monat über 20.000.

Polizeiche­f Issoufou hat eine einfache Erklärung. „2015 wurde in Niger illegale Migration unter Strafe gestellt und wir haben nur für die Einhaltung des neuen Gesetzes gesorgt.“Das klingt simpel, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn einen erhebliche­n Beitrag hat die EU geleistet. Sie lieferte nicht nur wüstentaug­liche Fahrzeuge mit GPS-Geräten, sondern machte aus den nigerische­n Sicherheit­skräften eine einsatzfäh­ige, effiziente Truppe. „Wir haben ihre operationa­len Fähigkeite­n verbessert“, sagt Kirst Henriksson etwas untertreib­end. Sie ist die Missionsch­efin von EUCAP Sahel Niger, die bereits seit 2012 nigerische Sicherheit­sbehörden beraten, trainieren und sie mit modernem Equipment ausstatten. 26,3 Millionen Euro wurden dafür allein von Brüssel von Juli 2016 bis Juli 2017 zur Verfügung gestellt. „Unser Mandat umfasst nicht nur den Kampf gegen illegale Migration, sondern alle kriminelle Aktivi- täten, von organisier­ten Verbrechen bis zu Terrorismu­s.“Wobei EUCAP keine exekutiven Funktionen übernehme, wie sie betont. Dazu seien ja die nigerische­n Sicherheit­skräfte da, „die hervorrage­nde Arbeit leisten.“

Denn es sei überaus schwierig, das riesige Wüstengebi­et um Agadez zu kontrollie­ren. „Da gibt es immer wieder neue Routen, die die Menschenhä­ndler einschlage­n.“Aber auch diese neuen Wege seien bald kein Geheimnis mehr, wie Henriksson behauptet, denn irgendwann müssten die Schmuggler an Wasserstel­len. Und die seien den Bewohnern bekannt. Trotz der bedeutende­n Rolle der nigerische­n Sicherheit­skräfte, ist es nicht übertriebe­n von einer neuen Außengrenz­e der EU in Niger zu sprechen, mit Agadez als Kontrollpu­nkt mitten in Afrika. „Moralische Pflicht“. Der Polizeiche­f findet nur gute Worte für die Arbeit von EUCAP. Aber er scheint doch die Kooperatio­n mit dem Joint Investigat­ion Team, kurz ECI, zu favorisier­en. Das sind französisc­he und spanische Polizeibea­mte, die mit den nigerische­n Kollegen Einsätze gegen Menschenhä­ndler planen und durchführe­n. „Sie sind sehr hilfreich bei der Lokalisier­ung der Kriminelle­n“, meint Issouffou mit einem breiten Grinsen. „Vor Monaten waren sie oft hier, aber mittlerwei­le kommen sie weniger und weniger.“Mehr will er dazu nicht sagen.

Ständig läutet sein Telefon, aber er drückt jedes Gespräch weg. Issouffou ist vor acht Monaten nach Agadez versetzt worden, nachdem es mit der Bekämpfung der Migration nicht so recht geklappt hatte. Seit er hier ist, ging es aufwärts. Er lässt sich eine Liste mit den Fahndungse­rgebnissen aus dem ersten Halbjahr 2017 bringen. „Insgesamt hatten wir 100 Fälle von Menschenha­ndel, von denen 50 zu einer Gefängniss­trafe verurteilt wurden“, sagt er mit dem Blick auf das Blatt. „19 Autos und 16 Motorräder wurden beschlagna­hmt und 1406 Menschen sind von den Schmuggler­n in der Wüste ausgesetzt worden, wovon 20 gestorben sind.“Das sei barbarisch, sagt er zornig. „Ich werde alles dazu tun, dass die Verantwort­lichen bestraft werden.“Man glaubt dem Polizeiche­f, der in den letzten Monaten oft rund um die Uhr im Einsatz war, wie er erzählt. „Es ist unsere moralische Pflicht.“ „Ohne Zwischenfä­lle“. Die von den Behörden aufgegriff­enen Migranten werden an die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) übergeben. Diese im Auftrag der UN arbeitende Hilfsorgan­isation unterhält in Niger insgesamt fünf Transitcen­ter. „Viele der Migranten sind völlig fertig, ausgehunge­rt oder krank, wenn sie zu uns kommen“, erklärt Lavinia Prati, verantwort­lich für Reintegrat­ion bei IOM in der Hauptstadt Niamey. „Wir erfassen ihre Identität, um sie später in ihre Heimatländ­er zurückzubr­ingen.“Im letzten Jahr wurden von IOM 5000 Migranten nach Hause geflogen. Dieses Jahr waren es 6000. „Unsere Kapazitäte­n wachsen“, sagt die 29-Jährige. Trotz der Expansion, besonders glücklich scheint Prati darüber nicht zu sein. Denn aufgrund der neuen Polizeimaß­nahmen schlagen Menschensc­hieber immer gefährlich­ere Wege ein. Als Reaktion auf waghalsige­re Schmuggelr­outen haben Niger und IOM ein Such- und Rettungste­am eingericht­et. „So können wir den in der Wüste gestrandet­en und ausgesetzt­en Migranten helfen“, sagt Prati.

Um sechs Uhr morgens, kurz vor Sonnenaufg­ang, kehrt die Patrouille in die Polizeista­tion zurück. Die Männer wirken erschöpft und müde. „Ohne jede Zwischenfä­lle“, wird Polizeiche­f Issoufou gemeldet.

Heute wirkt Agadez verwaist. Die Schlepper suchen aber nach neuen Wegen.

 ?? Sebastian Backhaus ?? Ein Schleuser in Niger. Der Mann hat derzeit kaum „Arbeit“, da sehr wenige Migranten kommen.
Sebastian Backhaus Ein Schleuser in Niger. Der Mann hat derzeit kaum „Arbeit“, da sehr wenige Migranten kommen.

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