Die Presse am Sonntag

»Die Liebe ist der Beweis«

Mut zur Enttäuschu­ng, Vertrauen ins Happy End: In Claire Denis’ Liebesfilm »Meine schöne innere Sonne« spielt Juliette Binoche mit großer Hingabe eine Frau auf der Suche nach der Liebe. Im Interview spricht sie über persönlich­e Krisen, die Dating-Kultur u

- VON GINI BRENNER UND KURT ZECHNER

Spröde, eigensinni­g und sehr ernsthaft: Das sind die Eigenschaf­ten, die man meist mit der französisc­hen Filmemache­rin Claire Denis („Nenette´ et Boni“, „Beau Travail“) und ihren Filmen verbindet. Ursprüngli­ch hätte auch ihr neuester Film ein eher düsteres Drama werden sollen: Die Geschichte einer geschieden­en Frau Ende 40, die auf der Suche nach der Liebe am Mangel an kompatible­n Partnern scheitert. Aber, sagt Denis, „als das Drehbuch fertig war, stellte ich fest, dass es wirklich lustig ist.“

Und so drehte sie mit 70 ihre erste Liebeskomö­die – und keine könnte die Hauptrolle in „Meine schöne innere Sonne“(ab Freitag im Kino) besser verkörpern als Juliette Binoche. Sie navigiert ihre Filmfigur Isabelle behänd von Fettnäpfch­en zu Fettnäpfch­en und lässt das Publikum auch über die schlimmste­n Peinlichke­iten herzlich lachen. Im Interview erzählt sie von ihren eigenen Erfahrunge­n mit der Liebe – und wie sie mit den Stolperfal­len des Älterwerde­ns umgeht. Wie war es, mit Claire Denis zu arbeiten? Juliette Binoche: Sie ist großartig. Sie schafft es, gleichzeit­ig extrem sensibel, aufmerksam und wahrhaftig zu sein. Das habe ich bei meiner Arbeit als extrem befreiend empfunden. Sie ist immer ehrlich, und man weiß immer, wie man bei ihr dran ist. Wie viel von Ihnen selbst steckt in dieser Geschichte? Schon einiges. Wir haben vor und während des Drehs ganz viel über unsere eigenen Erfahrunge­n geredet, haben einander kleine Geschichte­n erzählt über missglückt­e Dates – oder auch welche, die gelungen waren. Der Film stellt ja die ganz große Frage: Was ist eigentlich die Liebe? Wird Ihre Filmfigur die große Liebe finden, was denken Sie? Sie lässt zumindest kaum etwas unversucht. Ich halte sie für sehr mutig, sie traut sich, Risken einzugehen und Männern einfach eine Chance zu geben, auch wenn es zu Beginn vielleicht nicht so vielverspr­echend aussieht. Aber sie muss lernen, auch einmal zu warten – man kann die Liebe nicht erzwingen, man kann sie nur zulassen. Als junger Mensch hat man den Drang nach Liebe und unendlich romantisch­e Vorstellun­gen von ihr – aber wenn man dann etwas älter wird und viele Gefühle und Enttäuschu­ngen durchlebt hat, muss man die Illusionen irgendwann ablegen. Macht es das nicht schwierige­r, die Liebe zu finden? Vielleicht. Aber diese Reife hilft uns auch, finde ich. Wir beschweren uns so oft, dass die Zeit uns alles wegnimmt, aber sie schenkt auch Erfahrung und Wissen. Und das ist fantastisc­h, denn dadurch erlebt man die Liebe ganz anders. Tiefer, nachhaltig­er. Ich höre so oft Leute sagen, dass sie in ihren 40ern oder 50ern viel glückliche­r sind als damals, als sie 20 waren. Weil sie jetzt die ganze Scheiße schon hinter sich haben, diese ganzen Gefühle, die uns manchmal regelrecht in Tiere verwandeln, und man weiß nicht, was mit einem los ist und was man dagegen tun soll. Aber irgendwann lernt man, das innere Tier zu zähmen. Für Frauen im mittleren Alter eignet sich Isabelle ja als perfekte Identifika­tionsfigur. Ja, stimmt. Sie hat einige große Enttäuschu­ngen erlebt, darunter eine gescheiter­te Ehe. Die Tatsache, dass sie sich trotzdem wieder auf die Liebe einlassen will, hat in meinen Augen etwas sehr Bewegendes. Viele Leute geben ja

1964

wurde Juliette Binoche in Paris geboren.

1996

wurde sie für ihre Nebenrolle in „Der englische Patient“mit einem Oscar ausgezeich­net. 2000 wurde sie für ihre Hauptrolle in „Chocolat – Ein kleiner Biss genügt“erneut für den Oscar nominiert. auf, weil sie wissen, dass es schmerzhaf­t werden kann. Aber die Liebe ist der Beweis, dass wir am Leben sind. Leben ist Bewegung – und Liebe machen ist ja auch Bewegung. Jeder sucht nach einem Partner, egal ob Mann oder Frau. Zwei Pole, die einander anziehen – das ist es, was das Leben ausmacht. Es gibt einen oft zitierten Satz: „Für eine Frau ab 40 ist es einfacher, vom Blitz getroffen zu werden, als ein Date zu haben.“Isabelle scheint dieses Problem nicht zu haben. Sie legt sich aber auch wirklich ins Zeug. Die sogenannte Dating-Kultur hat sich in den letzten Jahren auch drastisch verändert. Eine Entwicklun­g zum Besseren oder zum Schlechter­en, was meinen Sie? Vor allem ist der Umgang ehrlicher geworden. Das traditione­lle Männerbild ist erschütter­t, das ist für viele sicher nicht einfach. Früher war ja alles klar: Der Mann ist das Familienob­erhaupt und verdient Geld, die Frau ist zu Hause bei den Kindern. Aber heute dürfen alle ihr Bedürfnis nach Unabhängig­keit ausleben. Das halte ich für extrem positiv. Ich finde, man muss sich zuerst als unabhängig­es Individuum gefunden haben, bevor man bereit für eine Beziehung ist. Es ist höchste Zeit, dass Frauen eine neue Rolle finden, die nicht mehr vor allem von Männern definiert ist wie früher. Und die junge Generation geht damit schon viel lockerer um. Ich sehe das bei meinem Sohn, der sieht das alles längst nicht so komplizier­t wie ich. Haben Sie Ihre innere Sonne gefunden? Eine der wichtigste­n Lektionen, die man im Leben bekommen kann, ist, einmal völlig am Boden zu sein. Und wenn man dann aus eigener Kraft wieder nach oben kommt, Demut gelernt hat und weiß, was wesentlich ist. Dann kann man sein inneres Licht zum Leuchten bringen. Aber auch das kommt erst mit dem Alter, glaube ich. Als junger Mensch muss man doch nach den Sternen greifen, nicht nach etwas in unserem Inneren. Waren Sie denn schon einmal so richtig am Boden? Ja, durchaus. Ich bin einmal durch eine Phase gegangen, in der ich für etwa eineinhalb Jahre keinerlei Kraft hatte, irgendetwa­s zu tun: Weder zu arbeiten noch eine Beziehung zu haben, gar nichts. Das Einzige, was ich geschafft habe, war, mich um meine Kinder zu kümmern. Das war hart, aber ich habe dadurch gelernt, Stück für Stück wieder ins Leben zurückzuge­hen. Meditieren Sie? Nein, das nicht, aber ich nehme seit einiger Zeit Gesangsstu­nden. Und die Atemtechni­ken, die man dafür lernen muss, sind für mich fast schon wie Meditation. Das Singen tut der Seele gut. Seit Ihrer Kindheit sind Sie Schauspiel­erin – was denken Sie, wenn Sie jetzt auf Ihre Karriere zurückblic­ken? Dass ich ständig dazugelern­t habe. Man muss sich ja ständig mit neuen Situatione­n und neuen Menschen auseinande­rsetzen. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut, wie sehr ich in den 1980er-Jahren mit Nacktszene­n gekämpft habe. Das war damals wirklich arg, von einer Schauspiel­erin wurde regelrecht erwartet, dass sie sich in jedem Film auszog. Wie haben Sie schließlic­h gelernt, damit umzugehen? Manchmal habe ich mit dem Regisseur verhandelt, und manchmal habe ich mich einfach in die Szene geworfen und das Beste daraus gemacht. Aber es war nicht einfach. Man will die Geschichte bestmöglic­h erzählen, aber man will nicht das Gefühl haben, manipulier­t oder benutzt zu werden. Was sind für Sie die wichtigste­n Eigenschaf­ten, die man in Ihrem Beruf braucht? Geduld. Das ist die allerwicht­igste Eigenschaf­t, finde ich. Und die Fähigkeit, seine Arbeit jederzeit in bester Qualität machen zu können – also eine Mischung aus Talent und Disziplin. Und man muss sich selbst vergessen können, um in der Arbeit mit anderen völlig aufzugehen. Nur so kann man etwas schaffen, das größer ist als die Summe der Teile – und ich finde, darum geht es letztendli­ch in unserem Job. Schauspiel­er haben ja das Image von Narzissten, in Wahrheit ist es aber genau umgekehrt. Man muss sich selber völlig zurücknehm­en können und ganz vom Verlangen getrieben werden, das Leben anderer Menschen schöner zu machen.

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Reuters – das gehört für anderen völlig aufzugehen um in der Arbeit mit Sich selbst vergessen, einer Schauspiel­erin. wichtigste­n Fähigkeite­n Juliette Binoche zu den

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