»Das Heimweh bei Joseph Roth«
Regisseur Johan Simons über seine Vorliebe für den österreichischen Romancier, seine Inszenierung von »Radetzkymarsch« am Burgtheater und den Trost niederländischer Landschaft.
Beginnen wir melancholisch: Sie sind 71. Warum machen Sie noch immer Theater? Sie könnten doch inzwischen längst gelassen Ihre Erfolge und Misserfolge genießen. Johan Simons: Ja, eigentlich redet man zu viel über das Leben und zu wenig über den Tod. Dabei bin ich ihm doch schon viel näher als meiner Geburt. Ich mache noch immer Theater, weil ich über den Teil, der mir noch bleibt, unbedingt noch erzählen möchte. Im Angesicht des Todes. Ich bin noch nicht fertig! Das Leben ist zu schön. Wie sind Sie als Niederländer dem Habsburgermythos verfallen? Zum dritten Mal inszenieren Sie die Dramatisierung eines Romans von Joseph Roth – diesmal seinen „Radetzkymarsch“am Burgtheater. Ich weiß nicht, ob ich eine Vorliebe für das Habsburgerreich habe, jedenfalls aber für die deutsche Sprache und Joseph Roth. Er hat übrigens einige Zeit in den Niederlanden verbracht und auch im belgischen Ostende, auf dem Weg in die Emigration. Bis heute hat er große Schriftsteller bei uns inspiriert, Arnon Grünberg zum Beispiel und Geert Mak. Sie kommen beide zur Premiere am 14. Dezember in Wien. Was zeichnet Roth als Autor besonders aus? Er ist einfach einer der besten Schriftsteller. Schön, dass ich jetzt nach „Hiob“und „Hotel Savoy“sein Meisterwerk am Burgtheater inszeniere. Er selbst war angeblich nicht so zufrieden mit diesem Roman im Abendrot der Habsburgermonarchie, hat sinngemäß geschrieben, dass er lieber wieder an etwas Heutigem arbeiten wolle. Ist „Radetzkymarsch“tatsächlich ein historischer Roman? Zum Teil schon, aber dieses Werk, veröffentlicht 1932, als in Deutschland und Österreich die Zeichen auf Sturm standen, hat auch einen Ewigkeitswert. Wenn es einen Autor gibt, der Heimweh vermitteln kann, dann Roth. Sein großes Thema ist, dass er sich nirgendwo zuhause fühlt. Er erzählt von normalen Leuten und ihren Gefühlen. Sie haben nicht unbedingt eine reflexive Sicht auf die Gesellschaft. Es ist großartig, wie er aus diesen Gefühlen heraus solch fantastische und zeitüberdauernde Literatur schafft. Nach alter Dramentheorie ist es eine Komödie, wenn gewöhnliche Leute auf der Bühne stehen. Die Tragödie ist für die Großen der Geschichte da. Wie ordnen Sie Roth ein? Er bringt beides, hält bis zum Ende den Humor. Das verlangt bei der Inszenierung große Leichtigkeit. Er hat geschrieben und zugleich gesoffen. Warum machte er das? Ich glaube, er hat so viel Fantasie besessen, dass er sie durchs Trinken ein wenig gedämpft hat. Wie würden Sie seinen Humor beschreiben? Er hat jüdischen Witz. Der ist typisch für Mitteleuropa. Ich bin ein Westeuropäer und sehr von England geprägt. Hierzulande ist man mehr vom Osten beeinflusst. Russlands Präsident Putin liegt den Leuten hier näher als der Verrückte in Amerika. Nationalismus und Anarchie liegen hier ganz nah beieinander, man hat eine völlig andere Idee von Europa. Warum eignet sich Roth für die Bühne? Als Regisseur muss ich mir sehr gut überlegen, welche Teile des Romans ich für die Dramatisierung verwende. Es ist immer eine Verknappung. Ich würde aber sagen, bei einer Aufführung gibt man dem Werk noch Atem dazu, da sitzen ja tausend Zuseher im Theater. Sie werden Teil eines Romans mit diesen vielen Figuren. Roth eignet sich besonders für die Bühne, weil er so gut über Leben und Tod reden kann. Die Ewigkeit spielt bei ihm eine große Rolle. Auch im Theater steht man am Ende zum Applaus wieder auf und lebt einfach weiter. Kommen Sie bei manchen Szenen in „Radetzkymarsch“auch zum Weinen? Ständig, bei Joseph Roth passiert mir das immer wieder. Was ist für Sie das Aktuelle an ihm? Er hat das Kaiserreich geliebt, das eine Verbundenheit vieler Völker versuchte. Darum bemüht sich auch das Europa von heute um eine Einheit. Damals war der Kaiser das Einigende, er war
Geboren 1946
in den Niederlanden, wächst Johan Simons in Heerjansdam auf. Ausbildung zum Tänzer in Rotterdam und zum Schauspieler an der Akademie in Maastricht.
1976
wird er Direktor und Schauspieler der Haagsche Comedie. Hier inszeniert er sein erstes Stück. 1985 gründet er mit Paul Koek die Theatergroep Hollandia, sie fusioniert mit Zuidelijk Toneel zu einer der größten Truppen des Landes. Ab 2005 leitet Simons das NTGent .
2010
Intendant der Münchner Kammerspiele, 2015 bis 2017 künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale. Ab der Spielzeit 2018/19 soll er das Schauspielhaus Bochum leiten. Simons wurde als Theater- und Opernregisseur vielfach ausgezeichnet. Er ist mit der Schauspielerin Elsie de Brauw verheiratet, sie haben zwei Söhne. der Vater für viele Völker. Ich kenne den niederländischen Politiker Frans Timmermans, er ist Vizepräsident der EU-Kommission. Auch sein Lieblingsschriftsteller ist Joseph Roth, der den europäischen Gedanken hochhält. Zugleich sollte man den kulturellen Reichtum und die Sprachenvielfalt dieses Kontinents schätzen. Sie waren Intendant der Münchner Kammerspiele, dann bei der Ruhrtriennale. Bald übernehmen Sie das Schauspielhaus Bochum. Wie vergleichen sich die Aufgaben? Ich rede erst über das Gemeinsame: Das deutsche Theater liegt mir. Es verwendet zum Beispiel das Wort Probe. In den Niederlanden und Frankreich nennt man das sinngemäß Repetieren. In Deutschland kann man wochenlang proben, versuchen. Man sollte auch beim hundertsten Mal so spielen, als sei es zum ersten Mal. Das passt doch viel besser zum Theater als das Wiederholen. Was mich an Bochum thematisch interessiert ist das Thema Arbeit – oder Nicht-Arbeit. In München hatte die Darstellung unterer Schichten für die Theaterbesucher fast schon etwas Folkloristisches. In Bochum ist das Theater Teil dieser ganzen Gegend, in der so viele Hunderttausende Jobs in der Kohleindustrie verloren gegangen sind. Sie hatten in München Heimweh nach den Niederlanden. Was fehlte Ihnen konkret? Ich bin so wie Joseph Roth immer unterwegs. Aber wenn ich dann doch einmal zuhause bin, auf dem Deich vor einem riesigen Fluss stehe, in dieser jahrhundertealten Kulturlandschaft mit seiner ständigen Ökonomie, mit der Schifffahrt, wenn ich zu den Wolken aufschaue, mich für drei Sekunden umdrehe und wieder umdrehe, ist die Landschaft völlig verändert. Man fühlt sich in dieser Landschaft ganz klein, aber trostreich ganz klein. Die niederländischen Maler haben diese Landschaftsbilder für die Kunst erfunden, die ich liebe, mit dem Horizont ganz unten und so viel Himmel darüber, dazwischen ein paar Bäume, ein Fluss. Das war revolutionär. Von daher kommt auch meine Bühnensprache.