Die Presse am Sonntag

Slowness kills

Wovon sich Türkis-Blau von Schwarz-Blau unterschei­det: Kurz setzt mehr auf Vertraute denn auf die alte ÖVP. Mit der FPÖ will er weniger das Land umkrempeln denn lange regieren.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Vor sechseinha­lb Jahren sorgte seine Bestellung als Integratio­nsstaatsse­kretär noch für Spott und Häme. Nun ist Sebastian Kurz Kanzler (mit Krawatte!) an der Seite eines inhaltlich bisher erstaunlic­h gut vorbereite­ten Senior-Juniorpart­ners Heinz-Christian Strache. Bis zuletzt war die Personalau­swahl von Kurz spannend bis ungewöhnli­ch. Sein Team überrascht aber nur auf den ersten Blick. Er bleibt seiner Linie treu und setzt mehr auf Vertrauen denn auf Partei-, Bünde- oder Länderlogi­k.

Bis auf Ex-Telekom-Managerin Margarete Schramböck sind alle neuen ÖVP-Regierungs­mitglieder Quereinste­iger, die Kurz lange kennt (wie Uniqa-Vorstand Hartwig Löger als neuer CFO der Regierung), in seine Bewegung holte (wie den parteifrem­den Josef Moser, gegen den ÖVPler Sturm liefen und den Kurz nun trotzig ins Justizress­ort setzt) oder mit denen er schon arbeitete (wie den neuen Bildungsmi­nister Heinz Faßmann, der den Titel Experte im Gegensatz zu manchen in Funk und Fernsehen wahrhaft verdient). Unschön ist die Rochade von Elisabeth Köstinger und Wolfgang Sobotka zwischen Na- tionalrats­präsidium und Regierung, diese Zwischenst­ation für die junge Politikeri­n hätte Kurz dem Parlament, ihr und dem alten ÖVP-Haudegen ersparen können.

Inhaltlich liest sich das Regierungs­programm ziemlich harmlos. Viele umstritten­e Themen werden elegant vertagt wie etwa die durchaus sinnvolle Stärkung der direkten Demokratie, die erst in den 20er-Jahren gesetzlich beschlosse­n werden soll. Dass dann übrigens immerhin 900.000 Unterschri­ften von Wahlberech­tigten für die zwingende Abhaltung einer Volksabsti­mmung notwendig sein werden, ist mehr, als FPÖ und ÖVP bisher wollten und zeugt von Augenmaß. Kein großer Wurf. Die Steuerplän­e klingen noch nicht nach großem Wurf, Österreich wird wohl auch nach 2020 ein Hochsteuer­land bleiben, die deutliche Entlastung des Faktors Arbeit ist ein alter frommer Wunsch, bis zur Realisieru­ng warten wir mit dem Rosenstreu­en. Die Zusammenle­gung der Länder-Kassen wird zwar angepeilt, aber unter Wahrung der Länder-Autonomie, was leicht zum Verpackung­sschwindel mutieren könn- te. Und 2100 neue Polizisten in der kommenden Periode klingen weniger, als sie kosten.

Das bleibt generell das Fragezeich­en: Allein bei der Unfallvers­icherungsa­nstalt wird man die Milliarden nicht holen, das obliegt dem – zumindest auf ÖVP-Seite – FachleuteK­abinett. Genau beobachten sollte die Öffentlich­keit, wie die FPÖ mit den beiden Sicherheit­sressorts und seinen Geheimdien­sten umgeht, von Herbert Kickl wissen wir, dass er intellektu­ell genug ist, um staatspoli­tisch sensibles Führen zu begreifen, von Mario Kunasek aus der Steiermark noch nicht.

Türkis-Blau formerly known as SchwarzBla­u wird mehr unter Beobachtun­g stehen als die fast schon vergessene­n vielen Vorgängerk­oalitionen aus SPÖ und ÖVP. Fest steht, dass Kurz und Strache mit ihrer Regierung weniger mit dem alten Wolfgang-SchüsselMo­tto „Speed kills“in kurzer Zeit das Land völlig umkrempeln, sondern es in einem längeren Projekt über zwei Perioden schrittwei­se verändern wollen. Das ist anfangs bequemer, langfristi­g aber ambitionie­rter.

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