Suppe für die Unsichtbaren
Hunderte Teller Suppe geben die Helfer des Canisibus jede Nacht in Wien aus. Die Gäste werden mehr – und jünger. Bloß, man sieht sie kaum. Denn Armut wird zunehmend unsichtbar.
Bei manchen merkt man es gleich. Oder man meint zumindest zu erkennen, dass diese Menschen – Männer, vor allem – gekommen sind, weil sie anderswo nichts oder nicht genug zu essen haben. Am Gewand, an Schuhen, die viel zu leicht sind für eine kalte Nacht wie diese, oder überhaupt nur Schlapfen sind. Bei anderen ist die Armut unsichtbar, sie kommen zögerlich, wenn der Bus an den vier Stationen dieses Abends hält. Und sie sind viele.
Eine junge Frau, sie holt sich eine Schüssel Suppe. Beim Essen hält sie sich am Rand des Geschehens, hier am Schedifkaplatz beim Bahnhof Wien Meidling, bittet darum, auf keinem Foto zu sein. „Es ist ja keiner von uns stolz, dass man da herkommen muss“, sagt sie in einem Dialekt vom Land. So wenig wie dieser blonden Frau merkt man auch vielen anderen nicht an, dass sie arm sind, keine Wohnung haben, oder keine fixe Bleibe, bzw. zu wenig Geld. Dem jungen Kerl mit dem Bart ebenso wenig wie der Frau mit den feinen asiatischen Zügen oder den vielen Männern mittleren Alters, die es vor allem sind, die sich in der Kälte anstellen.
Sie trifft man nachts bei der Friedensbrücke, am Bahnhof Floridsdorf, am Praterstern, Schottentor, am Bahnhof Meidling, hinter dem Hauptbahnhof, am Karlsplatz oder beim Westbahnhof, bei einer der Stationen der beiden Canisibusse. Man muss die Stationen kennen – sie wandern zunehmend, nach jeder Bahnhofsrenovierung etwa, an abgelegenere Orte, unter Unterführungen zum Beispiel. Hauptsache aus dem Blickfeld. Obdachlosigkeit wird zunehmend unsichtbar. Der Bedarf wächst. Dabei wächst der Bedarf an Hilfe wie dieser: 250 Menschen werden von den Suppenbussen im Schnitt versorgt, im Sommer mehr, im Winter, wenn die Winterquartiere offen sind und weniger Menschen auf der Straße übernachten, weniger. 180 Liter Suppe werden täglich gekocht, ausgefahren und von 120 ehrenamtlichen Helfern verteilt, die zumeist einmal pro Woche im Einsatz sind. Finanziert wird das Projekt durch Spenden: 1,50 Euro kostet eine Portion, eine Ta- gesfahrt 375 Euro. Aktuell haben die Helfer des Suppenbusses besonderen Geldbedarf: Der Kessel, mit dem im Keller eines Caritas-Wohnhauses in Ottakring gekocht wird, muss getauscht werden. Das wird gut 15.000 Euro kosten. Der alte Kessel ist über 30 Jahre alt, er wurde unzählige Male geflickt, mittlerweile gibt es kaum noch Ersatzteile. Außerdem, sagt Josef Heinzl, der als einziger Hauptamtlicher (neben dem Zivildiener) das Projekt leitet, ist er zu klein geworden.
Seit 1990, seit das Projekt läuft, ist der Bedarf konstant gewachsen. Heuer werden es wohl wieder um die 90.000 Portion Suppe werden, die ausgegeben werden. Vor zehn Jahren waren es knapp 69.000. „Das ist massiv gestiegen“, sagt Heinzl. Der Großteil der Gäste sind Männer zwischen 35 und 60 Jahren, 50 Prozent davon leben auf der Straße, je 25 Prozent in einer eigenen Wohnung oder einer Einrichtung, das gehe aus Befragungen hervor. Der Anteil der Betreuten steigt tendenziell.
„Das zeigt, dass Hilfssysteme wirken“, so Heinzl. Aber auch der Anteil der Mindestsicherungsempfänger, der Jungen, der psychisch Kranken und der pflegebedürftigen Alten, die sich auf der