Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Im Kunsthisto­rischen Museum sind derzeit die umfangreic­hsten römischen Wandmalere­ien Österreich­s zu bestaunen. Man lernt daraus: Auch die alten Römer gingen nach der Mode.

Es gibt Orte, an denen man es als Bauherr nicht leicht hat: Sobald man mit Aushubarbe­iten beginnt, stößt man auf Relikte aus der Vergangenh­eit – Fliegerbom­ben, Skelette, Grundmauer­n usw. Lorch bei Enns ist so ein Ort: Dort befand sich einst die römische Grenzstadt Lauriacum, dort standen unter anderem die frühesten Kirchen Österreich­s.

Als im Jahr 2000 ein Parkplatz gebaut werden sollte, war es wieder einmal so weit. Experten des Bundesdenk­malamts rückten aus, fanden zwischen antiken Grundmauer­n bemalte Putzschich­ten und bargen fünf große Blöcke und 42 Kisten voller Fragmente. Auf welchen Schatz sie gestoßen waren, war damals noch nicht klar. Das zeigte sich erst zehn Jahre später, als die Relikte aus dem Depot geholt und aufgearbei­tet wurden: Es handelt sich um nichts weniger als den umfangreic­hsten Fund römischer Wandmalere­i in Österreich. Die Highlights sind derzeit in der Sonderauss­tellung „Das Haus der Medusa“im Kunsthisto­rischen Museum Wien zu bestaunen – samt einer spannenden Dokumentat­ion der jahrelange­n Arbeit von Archäologe­n, Restaurato­ren, Materialfo­rschern etc.

Die Aufarbeitu­ng der Funde war alles andere als trivial. Vor allem die fünf Blöcke, die als Ganzes geborgen worden waren, mussten in akribische­r Feinarbeit freigelegt und in Schichten zerlegt werden – denn es zeigte sich, dass vier Putz- und Malereisch­ichten aus unterschie­dlichen Zeiten übereinand­erlagen. Die mehr als 2000 Fragmente mussten gereinigt und gesichert werden, dann begann ein großes Puzzlespie­l, am Ende wurden die zusammenge­fügten Einzelteil­e auf Platten fixiert.

Das Ergebnis dieser Kombinatio­n aus Grundlagen­forschung und Fitzelei ist imposant – auch wenn man sich keine großflächi­gen Wandmalere­ien wie etwa aus Herculaneu­m oder Pompeji erwarten darf. Dennoch: Zu sehen sind z. B. qualitätsv­olle Medusenhäu­pter oder die Rekonstruk­tion eines ausgemalte­n Deckengewö­lbes. Fasziniere­nd sind insbesonde­re drei Wandtafeln, die drei aufeinande­rfolgende Dekoration­sphasen dokumentie­ren: Zuunterst waren großzügige gelbe Draperien gemalt, darüber lag eine bunte Architektu­rmalerei mit Frauengest­alten, und die oberste Malschicht zeigte durch Streifen abgegrenzt­e Bildfelder, auf denen u. a. ein Hirsch (oder Rind?) dargestell­t wurde.

Moden und Geschmäcke­r änderten sich demnach auch im dritten Jahrhunder­t immer wieder. Und wer es sich leisten konnte, ließ sein Heim stets nach der jüngsten Mode neu gestalten. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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