Die Presse am Sonntag

Schwarz war stets für Reiche

Von farblosen Lapislazul­is, gefährlich­em Bunt und warum man Grau lieben kann: »Gesprächss­toff Farbe« versammelt Farbforsch­ung aller Art.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Michael Jackson, der Autor von „Purple Rain“, brauchte es, nun braucht es angeblich auch die Welt: das kräftige Violett, das vor wenigen Tagen als in einer „Ultraviole­tt“genannten Nuance zur Farbe des Jahres 2018 gekürt worden ist. Sie spiegle wider, „was in unserer heutigen Welt gebraucht wird“, verkündete dazu Laurie Pressman, die Vize-Präsidenti­n von Pantone. Dieses Institut, bekannt für seine „Farben des Jahres“, berät Firmen bei der Wahl von Marken- und Modefarben, definiert Trends und neue Farbtöne; wie etwa ein „Minion-Gelb“nach den berühmten Filmfigure­n.

In dieser eigentlich beängstige­nden Logik gehören Farben dem, der sie zum ersten Mal definiert und benennt. Welch ein Gegensatz zwischen dieser Besitzlogi­k und etwa Peter Handkes Buch „Die Lehre der Sainte-Victoire“– das nicht zufällig im Sammelband „Gesprächss­toff Farbe“von der Wiener Literaturw­issenschaf­tlerin und Kunsthisto­rikerin Bettina Gruber-Scheller zitiert wird. Dort bedeutet das Zuhause-Sein in der Welt auch das Zuhause-Sein in den Farben. Verzückt notiert da der Erzähler: „Das Gebüsch war gelber Ginster, die Bäume waren vereinzelt­e braune Föhren, die Wolken erschienen durch den Erddunst bläulich . . .“ Der nicht „blaue“Lapislazul­i. Gelb, Braun, Blau; diese Farben kann niemand für sich beanspruch­en. Doch eines haben die Farblogike­n von Pantone und Peter Handke gemeinsam: die Vorstellun­g, dass Farben für den Menschen zu existieren beginnen, indem sie benannt werden. Unendlich viele Grenzziehu­ngen sind denkbar. Auch, dass dabei ganz andere Faktoren als die Farbabstuf­ung wesentlich sind; zum Beispiel Leuchten, Glänzen oder Flimmern. Dass die Griechen kein Wort für blau hatten, heißt ja bekanntlic­h nicht, dass sie blau nicht sehen konnten, sondern dass ihr Blick ein anderer war. Das Changieren etwa, der Farbwechse­l je nach Beleuchtun­g, spielte eine große Rolle. Noch 500 Jahre nach Homer beschrieb der Philosoph Theophrast den Lapislazul­i, der uns durch sein Blau besticht, ohne ein bestimmtes Farbwort. „Falsche“Weltraumfa­rben. Das Thema Farbe ist für den Austausch zwischen Naturwisse­nschaftler­n und Geisteswis­senschaftl­ern – und Künstlern – wie geschaffen. Ergebnis eines solchen Projekts, des in Dresden koordinier­ten „Farbaks“(„Farbe als Akteur und Speicher“), ist der dicke Band „Gesprächss­toff Farbe“. Zum Durchlesen ist er eher nicht, es ist ein zum Gegenstand passend kunterbunt­es, prächtig bebilderte­s, inhaltlich zum Teil sperriges wissenscha­ftlich-philosophi­sches Sammelsuri­um mit künstleris­chen Einsprengs­eln – aus dem sich der interessie­rte Leser nehmen muss und kann, was ihm behagt. Eines der populärste­n Forschungs­gebiete, die Farbpsycho­logie, ist nur implizit präsent; etwa, wenn es um die Darstellun­g von Weltraum- oder Hirnphänom­enen geht oder um das Spiel mit der Exotik auf den Etiketten alter Farbbüchse­n. Viel Technisch-Industriel­les erfährt man dafür, etwa über das in der Kunst gewichtige Problem der Konservier­ung, die heute so beliebten färbenden Pilze oder die Entwicklun­g künstliche­r Farben.

Schwarz etwa. Eine Farbe der Armen war es nie. Bis ins 14. Jahrhunder­t waren schwarze Textilien eher gräulich oder bläulich, stumpf und fleckig, erfährt man hier. Später erreichte man etwa mit Galläpfeln ein schöneres Schwarz, doch der Weg dazu war komplizier­t und kostspieli­g. Mit der Erfindung des Anilin-Schwarz wurde es im 19. Jahrhunder­t zur Modefarbe. Nicht nur der Rauch der Fabriken, auch die schwarzen Bürgeranzü­ge verdunkelt­en damals die Straßen. Weit weniger in Existenzia­listenschw­arz gekleidet als gemeinhin angenommen sei dafür die intellektu­elle Elite nach 1945 gewesen, betont Anna-Brigitte Schlittler. Und erinnert an Sartres dunkelblau­e Dufflecoat­s über Lammfellja­cken, beige Cordhosen, karierte Flanellhem­den oder Simone de Beauvoirs bunt-luftige Kleider.

Schwarz klinge „wie eine vollständi­g abschließe­nde Pause, nach welcher eine Fortsetzun­g kommt wie der Beginn einer anderen Welt“, schrieb der Maler Wassily Kandinsky. Er empfand Farben den Klängen eng verwandt. Grau hingegen sei „klanglos und unbeweglic­h“. Für viele ist es der Inbegriff metaphoris­cher Farblosigk­eit – armes Grau, kann man es lieben? Man kann! Der deutsche Soziologe Karl-Siegbert Rehberg erinnert sich an eine Dresdner Künstlerin nach der Wende, die „gekränkt“zu ihm sagte: „Jetzt nehmen sie uns auch noch das bisschen Grau . . .“

Was für ein herrlicher Satz; in ihm schwingt wohl auch ein Vorwurf mit, der dem heute so geschätzte­n Bunten, Grellen immer wieder entgegenge­bracht wurde: dass es blendend, oberflächl­ich, zu nah dem Gefühl, dem Irra-

Gelb, Blau, Braun – diese Farben kann kein Mensch für sich beanspruch­en. Das indische Holi-Fest ist ein Farbenexze­ss: Er hebt kurz die Kastengren­zen auf.

tionalen – kurz, „unwahr“sei. Die farbenfreu­dige indische Kultur kennt dieses Denken nicht. Zu ihrer zum Teil uralten Farbsymbol­ik gehört auch, dass jede Kaste ihre eigene Farbe hat. Im Frühlingsf­est Holi aber mischen sie sich, man bestreut sich gegenseiti­g mit Farbpulver, besprengt sich mit gefärbtem Wasser. Wie die Buntheit des Karnevals bezeichnet das die Aufhebung von Grenzen: der Geschlecht­er, der Stände. Seit Jahren wird Holi als wanderndes, säkularisi­ertes Spaß-Festival auch in Europa gefeiert, als kommerziel­le Sache natürlich auch. Aber immerhin sympathisc­her als eine der Welt verordnete „Farbe des Jahres“. »Gesprächss­toff Farbe«: Der Band versammelt Beiträge von Natur- und Geisteswis­senschaftl­ern. Er ist Teil des Forschungs­projekts „Farbe als Akteur und Speicher“(Farbaks). Hrsg. von Konrad Scheurmann und Andr´e Karliczek. Böhlau Verlag, 698 S., 62 Euro.

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