Spielraum
EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS
Zahnpasta, Steak, Urin des Hamsters, Chemie im Lippenstift, Tee für stärkere Zeugungskraft, zuviel Alkohol, die Diätpillen! Avocados, Zellen des Zwillingsbruders, der für so viele Ausdauersportler unerlässliche Asthmaspray, das für fitte Spitzensportler verpflichtend-nötige Herzkreislaufmittel – und natürlich: Sabotage. Waren die Ausreden erwischter Dopingsünder noch humorvoll, so sind sie im Lauf der Jahrzehnte immer einfallsloser und plumper geworden. Insofern beweist Russland Größe. Man streitet einfach alles ab. Alles falsch. Moskau braucht keine Steaklüge.
Bei den Winterspielen in Südkorea 2018 wird Russland zwar erstmals als Nation offiziell fehlen, trotzdem werden Athleten aus Russland dabeisein. Unter neutraler Fahne des IOC, ohne Hymne, aber sie werden um Medaillen kämpfen und sich, jetzt kommt der springende Punkt, den gleichen Dopingkontrollen unterziehen wie alle anderen Starter auch. Das ist Folge und „Strafe“der aufgedeckten systematischen Manipulation und der Vorfälle in Sotschi 2014.
Das IOC muss verhindern, dass erneut Proben durch das Loch einer Klowand getauscht oder Tausende Tests manipuliert werden. Aber, liefert es nicht ein verheerendes Bild ab, wenn in Pyeongchang kein einziger neutralrussischer Teilnehmer einen positiven Test abliefert und trotzdem viele Medaillen gefeiert werden? Liegt dann der Fehler im System, in den Kontrollen – oder ist es bloß kollektive Heuchelei?
Am Beispiel von Witali Mutko zeigt sich der wahre Umgang mit dieser Problematik. Bei Olympia ist Russlands ehemaliger Sportminister auf Lebzeit gesperrt, darf wegen des Dopingfalls nicht einmal mehr ein Ticket kaufen. Bei der Fußball-WM 2018 hingegen bleibt er OK-Chef, der starke Mann. Und die Fifa denkt nicht daran, sich den IOC-Urteilen anzuschließen.
Es sind zwei Welten, in die sich der moderne Sport gespalten hat. In einer leben ausnahmslos Lügner; und in der anderen naive Gutmenschen, die immer die Rechnung bezahlen und über dumme Ausreden der Betrüger lachen.