Wie Dostojewski – nur kürzer
Die »New Yorker«-Autorin Elif Batuman mag es nachdenklich und augenzwinkernd gleichermaßen. Ihr Romandebüt kreist ums Studieren, um Anfänge und um Kontrollverlust.
Ob die Übersetzung des Titels von Elif Batumans erstem Roman wirklich die richtige war? Auf Englisch heißt „Die Idiotin“nämlich „The Idiot“, was – dank des Außerachtlassens des Geschlechts – einigen Spielraum für Interpretation offen lässt. Und an Fjodor Michailowitsch Dostojewski erinnert. Was durchaus im Sinne von Batuman sein dürfte, Autorin unter anderem beim Magazin „New Yorker“und sieben Sprachen beherrschende Linguistin. Sie sagt über sich selbst: „So wie Dostojewski habe ich Bücher mit den Titeln ,Der Idiot‘ und ,Die Besessenen‘ geschrieben. Meine sind kürzer.“
Der Titel „Die Idiotin“macht allerdings die Dinge für den Leser von vornherein um einiges klarer. Batumans Romanprotagonistin Selin ist ein Pendant zu Dostojewskis Myschkin. Zeitlich ist die Geschichte naturgemäß viel kontemporärer. Selin selber aber scheint eine dieser verlorenen Seelen zu sein, die alterslos und wie aus der Zeit gefallen wirken. Womit sie eine ideale Erzählerin für diese große Geschichte abgibt, die vom Neubeginn, eigentlich sogar vom Beginn schlechthin, handelt: dem Beginn in einem Alter, das auch den Anfang des Erwachsenwerdens markiert. Nie ist ein Mensch wunder, offener, freier. Studienanfang. Selin, die „Idiotin“, beginnt 1995 ihr Studium an der Harvard-Universität in Boston – somit auch in einer anderen, langsameren, vielleicht romantischeren Zeit als der heutigen. Kein Facebook, kein Smartphone, sondern Kabelinternet und Campus-E-Mail. Überfordert vom System – Stundenpläne, Professoren, Schlafsäle, Mensen, Computer, Internet – kommt sie erst gar nicht so weit, ihre eigene Gemütslage zu ergründen. Wer ist sie? Wo will sie hin?
In einem Anflug blinder Verzweiflung beginnt Selin, sich für verschiedenste Kurse einzuschreiben, die Richtung bleibt eher schematisch: nur ja nicht das, was sie zuvor an der Schule gelernt hat. Schließlich wird es Russisch, Kunst und Sprachwissenschaft. Die Parallelen zu Batumans eigener Geschichte – wie Selin ist sie Tochter türkischer Emigranten, aufgewachsen im Osten der USA – sind offensichtlich. Elif Batuman: „Die Idiotin“ Übersetzt von Eva Kemper S. Fischer Verlag 480 Seiten 24,70 Euro