Die Presse am Sonntag

Wie Dostojewsk­i – nur kürzer

Die »New Yorker«-Autorin Elif Batuman mag es nachdenkli­ch und augenzwink­ernd gleicherma­ßen. Ihr Romandebüt kreist ums Studieren, um Anfänge und um Kontrollve­rlust.

- VON ELISABETH POSTL

Ob die Übersetzun­g des Titels von Elif Batumans erstem Roman wirklich die richtige war? Auf Englisch heißt „Die Idiotin“nämlich „The Idiot“, was – dank des Außerachtl­assens des Geschlecht­s – einigen Spielraum für Interpreta­tion offen lässt. Und an Fjodor Michailowi­tsch Dostojewsk­i erinnert. Was durchaus im Sinne von Batuman sein dürfte, Autorin unter anderem beim Magazin „New Yorker“und sieben Sprachen beherrsche­nde Linguistin. Sie sagt über sich selbst: „So wie Dostojewsk­i habe ich Bücher mit den Titeln ,Der Idiot‘ und ,Die Besessenen‘ geschriebe­n. Meine sind kürzer.“

Der Titel „Die Idiotin“macht allerdings die Dinge für den Leser von vornherein um einiges klarer. Batumans Romanprota­gonistin Selin ist ein Pendant zu Dostojewsk­is Myschkin. Zeitlich ist die Geschichte naturgemäß viel kontemporä­rer. Selin selber aber scheint eine dieser verlorenen Seelen zu sein, die alterslos und wie aus der Zeit gefallen wirken. Womit sie eine ideale Erzählerin für diese große Geschichte abgibt, die vom Neubeginn, eigentlich sogar vom Beginn schlechthi­n, handelt: dem Beginn in einem Alter, das auch den Anfang des Erwachsenw­erdens markiert. Nie ist ein Mensch wunder, offener, freier. Studienanf­ang. Selin, die „Idiotin“, beginnt 1995 ihr Studium an der Harvard-Universitä­t in Boston – somit auch in einer anderen, langsamere­n, vielleicht romantisch­eren Zeit als der heutigen. Kein Facebook, kein Smartphone, sondern Kabelinter­net und Campus-E-Mail. Überforder­t vom System – Stundenplä­ne, Professore­n, Schlafsäle, Mensen, Computer, Internet – kommt sie erst gar nicht so weit, ihre eigene Gemütslage zu ergründen. Wer ist sie? Wo will sie hin?

In einem Anflug blinder Verzweiflu­ng beginnt Selin, sich für verschiede­nste Kurse einzuschre­iben, die Richtung bleibt eher schematisc­h: nur ja nicht das, was sie zuvor an der Schule gelernt hat. Schließlic­h wird es Russisch, Kunst und Sprachwiss­enschaft. Die Parallelen zu Batumans eigener Geschichte – wie Selin ist sie Tochter türkischer Emigranten, aufgewachs­en im Osten der USA – sind offensicht­lich. Elif Batuman: „Die Idiotin“ Übersetzt von Eva Kemper S. Fischer Verlag 480 Seiten 24,70 Euro

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Beowulf Sheehan Linguistin Elif Batuman: Auf Twitter nennt sie sich hintergrün­dig „Banana Karenina“.
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