Die Presse am Sonntag

Österreich geht nicht, es sitzt

Gehen ist ãesser Żls so mŻnches Fitnesspro­grŻmm. Herz, Hirn, Muskeln un© Figur profitiere­n. Mit einer neuen App sollen ©ie empfohlene­n zehntŻusen© Schritte pro TŻg leichter fŻllen.

- VON CLAUDIA RICHTER

Machen Sie drei- bis viermal pro Woche Sport“, sagt der Arzt und entlässt den eher ratlosen Patienten. Welchen Sport? Und wie lange? Und überhaupt? Der Patient belässt es bei der gewohnten Bewegungsl­osigkeit. Auch die meisten jener, die voller Neugier und Tatendrang einen der unzähligen Ratgeber in Sachen Motivation zum Bewegungsp­lus kaufes verharren in ihren gewohnten (Sitz-)Positionen. Zu mühsam, das mit dem Joggen; zu aufwendig, das mit dem Fitnessstu­dio; viel zu selten Zeit fürs Nordic Walking. Mindestens drei Viertel aller Österreich­er bewegen sich viel zu wenig und bringen nicht einmal die empfohlene­n täglichen 10.000 Schritte zusammen. Österreich geht nicht, es sitzt.

Warum aber ist ausgerechn­et 10.000 ein gesundes Schrittmaß? Und sind 9850 Schritte ebenso gesund? Die Zahl ist etwas willkürlic­h, aber leicht einprägsam. 9850 Schritte sind natürlich genauso gesund, 2700 auf alle Fälle zu wenig. Der moderne Durchschni­ttsmensch bringt es nur auf eben diese 2700 Schritte täglich, manche Quellen sprechen sogar von nur 1000 Schritten, andere von 4000. Jedenfalls kommt kaum einer auf die empfohlene­n 10.000. Ganz zu schweigen von den 36.000 bis 39.000 Schritten täglich, auf die unsere Knochen und Knorpel ausgericht­et sind.

Der Mensch ist also definitiv gehfaul. Er geht nicht einmal mehr zum Arbeitskol­legen ins Zimmer nebenan, sondern schickt ein Mail oder ruft an. Er steht auch nicht auf, um das Fernsehpro­gramm zu ändern, sondern benutzt die Fernbedien­ung. Aber vor allem sind es Auto, Rolltreppe­n und Lifte, die zu unserer Schrittfau­lheit beitragen. Bewegungsa­rmut wird von der Weltgesund­heitsorgan­isation inzwischen gar als viertgrößt­er Risikofakt­or für Mortalität eingestuft. Dabei würden schon 2000 zusätzlich­e Schritte am Tag das Herzinfark­trisiko um rund 14 Prozent senken. Chronische Krankheite­n „weggehen“. Doch der Durchschni­ttsösterre­icher lässt sich von solchen Warnungen nicht aus der Ruhe bringen. Schon eher könnte er darauf hören, dass er auch Krankheite­n wie Altersdiab­etes und Krebs mit 10.000 täglichen Schritten bis zu einem gewissen Grad davongehen kann. Wer in der zweiten Lebensdeka­de mit 10.000 Schritten täglich beginnt, hat theoretisc­h die Chance, fast jede chronische Krankheit zu verhindern. Studien aus England zeigen, dass schon 1000 zusätzlich­e Schritte am Tag den Blutzucker stärker senken als das Diabetes-Standardth­erapeutiku­m Metformin. Gehen schärft zudem das Gedächtnis und beugt Alzheimer vor. „Bewegung ist die einzige präventive Maßnahme gegen Demenz“, sagt Paul Haber, Facharzt für internisti­sche Sportmediz­in in Wien. Regelmäßig­es Gehen verbessert den körperlich­en und geistigen Zustand in jedem Alter und wirkt deutlicher und nachhaltig­er als unregelmäß­iger Sport. Der Schritt-Zehntausen­der ist besser als so manches Fitnesspro­gramm, nicht nur, aber auch, weil er sich leichter in den Alltag einbauen lässt. Leichter als Ernährungs­umstellung. „Menschen, die regelmäßig zwischen 8000 und 10.000 Schritte fünfmal die Woche zusätzlich gehen, sind im Alter signifikan­t später oder gar nie auf Hilfe oder Pflege angewiesen“, ergänzt Christian Gäbler, Sportarzt, Unfallchir­urg und Medizinisc­her Direktor des Wiener City Marathons. Nicht zu vergessen: Schritttau­sender verbessern auch Mus- kulatur, Knochendic­hte, Koordinati­onsfähigke­it und Figur, bauen Stress und Kilos ab. Abgenommen wird allerdings erst ab etwa 13.000 bis 14.000 Schritten täglich. Man muss auch nicht extrem flott gehen, und es ist allemal leichter als eine Ernährungs­änderung.

Doch selbst mit diesen Versprechu­ngen kann man die Masse nur schwer überzeugen und zum Gehen locken. Peter Schwarz von der medizinisc­hen Klinik der Universitä­t Dresden hatte deshalb eine andere Idee, um Menschen zum Gehen zu bewegen. „Schulungen, Bücher, selbst tägliche SMS bringen’s nicht wirklich, am besten funktionie­rt noch ein spielerisc­her Ansatz.“Also entwickelt­en Schwarz und Kollegen die App „AnkerSteps“, die stärker als der Schweinehu­nd sein soll: Da wird gewettet, und wer 10.000 Schritte am Tag schafft, gewinnt, wer es nicht schafft, verliert seinen Tageseinsa­tz (mindestens einen Euro; mehr je nach Motivation und Selbsteins­chätzung). „Wir nehmen das Geld der Verlierer und verteilen es adäquat der jeweiligen Einsatzhöh­e auf die Gewinner.“Und das funktionie­rt. „Wir haben bis jetzt über 10.000 User. Alle sagen, das macht Spaß. Im Schnitt versiebenf­achen die Nutzer ihre Alltagsbew­egungen. Mein Traum wäre eine Million User, die täglich mindestens 10.000 Schritte machen.“Und es ist gar nicht so schwer, auf diese Zahl zu kommen. Man könnte sie zum Beispiel auf zehnmal 1000 oder zwanzig-

Aã 13.000 Schritten Żm TŻg purzeln Żuch Kilos. MŻn muss gŻr nicht extrem flott gehen. Der Schrittz´hler ©eckt Żuf: Die meisten sin© verãlüfft, wie wenig sie gehen.

mal 500 Schritte aufteilen – und die macht man bald einmal. Schwarz: „Auch der Schrittzäh­ler ist da ein wichtiges Instrument. Die meisten sind verblüfft, wie wenig sie gehen. Und allein, wenn einem das bewusst wird, geht man schon ein wenig mehr. Als Motivation­simpuls kann der Pedometer wirklich wahre Wunder leisten.“

Außerdem, so Sportmediz­iner Gäbler, habe der Schrittzäh­ler noch einen Vorteil: „Der Mensch hat eine angeborene Tendenz zum Selbstbetr­ug, aus realen 4000 werden im Kopf schnell einmal 7000 Schritte, ein Schrittzäh­ler aber lügt nicht, der zeigt die tatsächlic­he Leistung.“ Gehen macht glücklich und gelassen. Die Leistung könnte man pro Tag vorerst nur um 1000 Schritte erhöhen und dann sukzessive steigern. Vielleicht eine Station vorher aus der U-Bahn aussteigen, das Auto etwas weiter weg parken, Rolltreppe­n und Lifte meiden, zu Fuß zum Bäcker oder Friseur.

Und irgendwann werden die anfangs bewusst eingeplant­en Strecken zur Routine. Da kommt einem die gerade jetzt von Gehfaulen gern getätigte Ausrede von kalt oder unwirtlich gar nicht in den Sinn. Gäbler: „Bewegung gerade im Winter hilft auch gegen etwaige Winterdepr­essionen.“10.000 Schritte machen also auch glücklich und gelassen.

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