Österreich geht nicht, es sitzt
Gehen ist ãesser Żls so mŻnches FitnessprogrŻmm. Herz, Hirn, Muskeln un© Figur profitieren. Mit einer neuen App sollen ©ie empfohlenen zehntŻusen© Schritte pro TŻg leichter fŻllen.
Machen Sie drei- bis viermal pro Woche Sport“, sagt der Arzt und entlässt den eher ratlosen Patienten. Welchen Sport? Und wie lange? Und überhaupt? Der Patient belässt es bei der gewohnten Bewegungslosigkeit. Auch die meisten jener, die voller Neugier und Tatendrang einen der unzähligen Ratgeber in Sachen Motivation zum Bewegungsplus kaufes verharren in ihren gewohnten (Sitz-)Positionen. Zu mühsam, das mit dem Joggen; zu aufwendig, das mit dem Fitnessstudio; viel zu selten Zeit fürs Nordic Walking. Mindestens drei Viertel aller Österreicher bewegen sich viel zu wenig und bringen nicht einmal die empfohlenen täglichen 10.000 Schritte zusammen. Österreich geht nicht, es sitzt.
Warum aber ist ausgerechnet 10.000 ein gesundes Schrittmaß? Und sind 9850 Schritte ebenso gesund? Die Zahl ist etwas willkürlich, aber leicht einprägsam. 9850 Schritte sind natürlich genauso gesund, 2700 auf alle Fälle zu wenig. Der moderne Durchschnittsmensch bringt es nur auf eben diese 2700 Schritte täglich, manche Quellen sprechen sogar von nur 1000 Schritten, andere von 4000. Jedenfalls kommt kaum einer auf die empfohlenen 10.000. Ganz zu schweigen von den 36.000 bis 39.000 Schritten täglich, auf die unsere Knochen und Knorpel ausgerichtet sind.
Der Mensch ist also definitiv gehfaul. Er geht nicht einmal mehr zum Arbeitskollegen ins Zimmer nebenan, sondern schickt ein Mail oder ruft an. Er steht auch nicht auf, um das Fernsehprogramm zu ändern, sondern benutzt die Fernbedienung. Aber vor allem sind es Auto, Rolltreppen und Lifte, die zu unserer Schrittfaulheit beitragen. Bewegungsarmut wird von der Weltgesundheitsorganisation inzwischen gar als viertgrößter Risikofaktor für Mortalität eingestuft. Dabei würden schon 2000 zusätzliche Schritte am Tag das Herzinfarktrisiko um rund 14 Prozent senken. Chronische Krankheiten „weggehen“. Doch der Durchschnittsösterreicher lässt sich von solchen Warnungen nicht aus der Ruhe bringen. Schon eher könnte er darauf hören, dass er auch Krankheiten wie Altersdiabetes und Krebs mit 10.000 täglichen Schritten bis zu einem gewissen Grad davongehen kann. Wer in der zweiten Lebensdekade mit 10.000 Schritten täglich beginnt, hat theoretisch die Chance, fast jede chronische Krankheit zu verhindern. Studien aus England zeigen, dass schon 1000 zusätzliche Schritte am Tag den Blutzucker stärker senken als das Diabetes-Standardtherapeutikum Metformin. Gehen schärft zudem das Gedächtnis und beugt Alzheimer vor. „Bewegung ist die einzige präventive Maßnahme gegen Demenz“, sagt Paul Haber, Facharzt für internistische Sportmedizin in Wien. Regelmäßiges Gehen verbessert den körperlichen und geistigen Zustand in jedem Alter und wirkt deutlicher und nachhaltiger als unregelmäßiger Sport. Der Schritt-Zehntausender ist besser als so manches Fitnessprogramm, nicht nur, aber auch, weil er sich leichter in den Alltag einbauen lässt. Leichter als Ernährungsumstellung. „Menschen, die regelmäßig zwischen 8000 und 10.000 Schritte fünfmal die Woche zusätzlich gehen, sind im Alter signifikant später oder gar nie auf Hilfe oder Pflege angewiesen“, ergänzt Christian Gäbler, Sportarzt, Unfallchirurg und Medizinischer Direktor des Wiener City Marathons. Nicht zu vergessen: Schritttausender verbessern auch Mus- kulatur, Knochendichte, Koordinationsfähigkeit und Figur, bauen Stress und Kilos ab. Abgenommen wird allerdings erst ab etwa 13.000 bis 14.000 Schritten täglich. Man muss auch nicht extrem flott gehen, und es ist allemal leichter als eine Ernährungsänderung.
Doch selbst mit diesen Versprechungen kann man die Masse nur schwer überzeugen und zum Gehen locken. Peter Schwarz von der medizinischen Klinik der Universität Dresden hatte deshalb eine andere Idee, um Menschen zum Gehen zu bewegen. „Schulungen, Bücher, selbst tägliche SMS bringen’s nicht wirklich, am besten funktioniert noch ein spielerischer Ansatz.“Also entwickelten Schwarz und Kollegen die App „AnkerSteps“, die stärker als der Schweinehund sein soll: Da wird gewettet, und wer 10.000 Schritte am Tag schafft, gewinnt, wer es nicht schafft, verliert seinen Tageseinsatz (mindestens einen Euro; mehr je nach Motivation und Selbsteinschätzung). „Wir nehmen das Geld der Verlierer und verteilen es adäquat der jeweiligen Einsatzhöhe auf die Gewinner.“Und das funktioniert. „Wir haben bis jetzt über 10.000 User. Alle sagen, das macht Spaß. Im Schnitt versiebenfachen die Nutzer ihre Alltagsbewegungen. Mein Traum wäre eine Million User, die täglich mindestens 10.000 Schritte machen.“Und es ist gar nicht so schwer, auf diese Zahl zu kommen. Man könnte sie zum Beispiel auf zehnmal 1000 oder zwanzig-
Aã 13.000 Schritten Żm TŻg purzeln Żuch Kilos. MŻn muss gŻr nicht extrem flott gehen. Der Schrittz´hler ©eckt Żuf: Die meisten sin© verãlüfft, wie wenig sie gehen.
mal 500 Schritte aufteilen – und die macht man bald einmal. Schwarz: „Auch der Schrittzähler ist da ein wichtiges Instrument. Die meisten sind verblüfft, wie wenig sie gehen. Und allein, wenn einem das bewusst wird, geht man schon ein wenig mehr. Als Motivationsimpuls kann der Pedometer wirklich wahre Wunder leisten.“
Außerdem, so Sportmediziner Gäbler, habe der Schrittzähler noch einen Vorteil: „Der Mensch hat eine angeborene Tendenz zum Selbstbetrug, aus realen 4000 werden im Kopf schnell einmal 7000 Schritte, ein Schrittzähler aber lügt nicht, der zeigt die tatsächliche Leistung.“ Gehen macht glücklich und gelassen. Die Leistung könnte man pro Tag vorerst nur um 1000 Schritte erhöhen und dann sukzessive steigern. Vielleicht eine Station vorher aus der U-Bahn aussteigen, das Auto etwas weiter weg parken, Rolltreppen und Lifte meiden, zu Fuß zum Bäcker oder Friseur.
Und irgendwann werden die anfangs bewusst eingeplanten Strecken zur Routine. Da kommt einem die gerade jetzt von Gehfaulen gern getätigte Ausrede von kalt oder unwirtlich gar nicht in den Sinn. Gäbler: „Bewegung gerade im Winter hilft auch gegen etwaige Winterdepressionen.“10.000 Schritte machen also auch glücklich und gelassen.