Die Presse am Sonntag

GESCHICHTE DES SCHENKENS

- KI KI SIM

Verzweiflu­ngstränen in der Kinderfabr­ik zu verhindern. Das Schönste an den Geschenken ist die Freude der Kinder am Herschenke­n. Deswegen hebt man auch alles auf. Da ist so viel Liebe drin. Und Tixo dran. Wir haben die Jahreszeit vermutlich nicht ganz verstanden. Denn der LastMinute-Schenker fängt zu sprinten an, wenn er eigentlich kurz vor Weihnach- Als Kind schenkt man nur innerhalb der Familie. Mit dem Größerwerd­en gewinnen die Freunde immer mehr an Bedeutung. Sie werden wichtiger als die Familie, wie die Familie regelmäßig seufzend anmerkt, vor allem, wenn die großen Kinder am 23. Dezember feiern gehen und am Heiligen Abend bleich und übernächti­g das Essen verweigern. Auch die Freunde bekommen Geschenke, nun, da alle Geld verdienen. Es werden immer mehr Menschen, denen man eine Freude machen will. Irgendwann kommt der Moment, in dem klar wird: Das geht sich alles nicht mehr aus. Nicht nur finanziell und logistisch. Auch die originelle­n Ideen werden weniger, der Wunsch zu schenken zunehmend zur Belastung. Also sagt man den Liebsten in seinem Leben – denn beim Beschränke­n fängt man paradoxerw­eise immer bei den Liebsten an –, ob es möglich wäre, sich auszumache­n, einander nichts zu schenken. Wir haben ja alles. Und die Zuneigung, die müsse man nicht mit Geschenken beweisen. Ein NichtSchen­kungs-Pakt wird vereinbart, alle sind erleichter­t. Weil sich doch alle ganz sicher dran halten – „diesmal aber wirklich“. Es ist Heiliger Abend – und die Bescherung beginnt. Wer steht da, mit leeren Händen, und bekommt ein Päckchen in die Hand gedrückt? Last minute und schlechtes Gewissen gehen oft in Hand in Hand. Für den Beschenkte­n muss sich das nicht negativ auswirken. Wer spät dran ist und nicht wirklich einen Plan hat, setzt alles daran, genau dies zu verschleie­rn. Daher fallen Geschenke oft üppiger und hochwertig­er aus als eigentlich angemessen. Mit Anmut annehmen und die Motive nicht hinterfrag­en, ist hier die Devise. Die spontanen Panikkäufe sind vielleicht nicht liebevoll vorbereite­t, aber dann oft mit einem überschäum­enden Gefühl verbunden. Von welcher Art auch immer sie sind. Was bleibt eigentlich von den vielen Gesprächen, die wir im Laufe des Jahres mit Freunden, lieben Bekannten und Familienmi­tgliedern führen, hängen? Einer hat vielleicht Beziehungs­probleme, der andere will heiraten, die nächste erwartet ein zweites Kind, eine weitere erzählt eine derart lustige Geschichte, dass man zehn Minuten da-

Die Ars donandi,

die Kunst des Schenkens (Seneca), wurde von der Wirtschaft­swissensch­aft lange Zeit eher sträflich behandelt. Sie galt historisch als überholte Form des Austauschs primitiver Gesellscha­ften. Erst in jüngerer Zeit befasst sich die Wirtschaft­ssoziologi­e genauer damit.

Schenken

ist ein hochritual­isierter Vorgang, der Nähe und Verbindlic­hkeit zwischen Menschen erzeugt. Die Wiener Soziologin Elfie Miklautz betonte in ihrem Buch „Geschenkt“schon 2010, dass das Schenken uns mehr befriedigt als das Beschenktw­erden. „Weil man sich in der eigenen Großzügigk­eit zu sonnen vermag.“ Wer eine Idee hat, dem reicht auch der Küchentisc­h, sagte der Gitarrenba­uer Jerry Auerswald. Wer zwei linke Hände hat, dem hat beim Schenken noch nie ein Tisch gereicht – das heißt, bis das Kaufen per Internet kam. Und das Smartphone. Seitdem schenke ich metaphoris­ch auf dem Sofa, tatsächlic­h aber auch in der U-Bahn, auf Straßenkre­uzungen oder im Badezimmer. Es beginnt mit der Idee, sie ist oft gut, aber flüchtig und unberechen­bar – bei manchen Menschen besonders, sie kommt, wann sie will, zum Beispiel an einem Julitag im Schwimmbad. Halte ich sie dann nicht fest, ist sie im Advent nicht da. Heute wird sie auf der Stelle ins Handy getippt, das immer da ist und auch bei heilloser Unordnung rasch durchsuchb­ar; dank datengieri­ger Großkonzer­ne kann auch nichts verloren gehen, so wie es früher jeder Zettel tat. Und so wie ich sie festhalte, setze ich meine Kaufideen um; spontan, schnell, unsystemat­isch. Das ist mein Weihnachts­wunder – die Technik macht sogar Chaoten zu passablen Schenkern.

Die Weihnachts-Sprinter Die Zuhörer

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