Die Presse am Sonntag

Das bittere Erwachen aus dem katalanisc­hen Traum

Die sezessioni­stischen Ambitionen ©er RegionŻlre­gierung, ©ie hŻrte Antwort Żus MŻ©ri© un© wochenlŻng­e MŻssen©emos hŻãen einen Riss ©urch ©ie kŻtŻlŻnisc­he GesellschŻ­ft gezogen: Die einen pochen weiter Żuf einen neuen StŻŻt, ©ie Żn©eren for©ern eine »schnel

- VON SUSANNA BASTAROLI (KATALONIEN)

Gespenstis­ch ist die Ruhe auf der „Placa¸ de la Constituci­o“´ im katalanisc­hen Girona. Noch vor wenigen Wochen hatten hier Menschenma­ssen für die katalanisc­he Unabhängig­keit demonstrie­rt, an diesem regnerisch­en Dezemberna­chmittag ist der Platz aber nahezu menschenle­er. Umso mehr stechen die Spuren der „katalanisc­hen Revolution“ins Auge: Die graue Betonfläch­e wird von gelben Tupfern belebt – Gelb, das ist jetzt die Farbe katalanisc­her Solidaritä­t für inhaftiert­e Separatist­en. Die dürren Stämme der jungen Bäume sind in gelbe Wollschals eingewicke­lt, eine riesige gelbe Schleife schmückt die Fassade eines Hochhauses am Rande des Platzes. Gelbe „Wadenwärme­r“aus Wolle trägt sogar die Bronzestat­ue des lächelnden Mädchens. Die Skulptur wurde in den 1980er-Jahren aufgestell­t, als Hommage an Spaniens damals junge demokratis­che Verfassung .

Geht es nach der separatist­ischen Stadtregie­rung, soll der Platz bald ohnehin nicht mehr der verhassten Verfassung aus Madrid gewidmet sein. Ein Antrag zur Umbenennun­g wurde eingereich­t, Papierschi­lder mit dem neuen Namen hängen schon: „Placa¸ De L’1D’ Octubre“soll der „Platz der Verfassung“heißen, um das von Madrid verbotene Unabhängig­keitsvotum vom 1. Oktober zu würdigen. Etwas versteckt, an einer unscheinba­ren Säule, findet man die pro-spanische Antwort darauf. Jemand hat dort eine kleine spanische Fahne befestigt und „wir schätzen Spanien“daraufgesc­hrieben. Auf die Fahne wurde später Hundekot geschmiert.

Girona schwelgt auch in Zeiten harscher Madrider Anti-Sezessioni­smusMaßnah­men und Notstandsa­rtikeln im Unabhängig­keitstraum. Die 98.000-Einwohner-Stadt befindet sich mitten im katalanisc­hen Kernland, im Gegensatz zur Metropole Barcelona oder anderen Küstenorte­n hört man auf den Straßen fast nur Katalanisc­h. Die Heimatstad­t des abgesetzte­n Regionalpr­äsidenten Carles Puigdemont, der Ende Oktober nach Belgien geflohen ist, ist seit jeher Hochburg der Unabhängig­keitsbefür­worter: Separatist­ische Parteien stellen in der Stadtregie­rung die absolute Mehrheit. Sezessioni­stenanführ­er Puigdemont war von 2011 bis 2015 Bürgermeis­ter in Girona. Für viele Separatist­en in der Stadt ist er ein Held.

In der prachtvoll­en, mittelalte­rlichen Altstadt gibt es kaum ein Kaffeehaus, nahezu kein Geschäft oder Wohnhaus, das nicht mit bunten Fahnen an das „katalanisc­he Selbstbest­immungsrec­ht“, an die „Meinungsfr­eiheit“oder an das Recht zur „Demokratie“erinnert. Die Estelada, die Unabhängig­keitsfahne, gehört zum Standardsc­hmuck der alten Steinhäuse­r.

Die Absetzung der sezessioni­stischen Regionalre­gierung und die Inhaftieru­ng der Separatist­enchefs haben bei einigen Einwohnern den Willen zur Rebellion gegen Madrid gestärkt. So etwa bei Marta, 20, die sich vor ihren Vorle- sungen einen Cappuccino im Kaffeehaus gegenüber der Uni gönnt. Die junge Frau lehnt lässig an der Theke, tippt immer wieder ins Handy. Sie habe ein Semester in Frankfurt studiert, erzählt sie auf Deutsch, bezeichnet sich als Europäerin. „Natürlich habe ich beim Referendum für Ja gestimmt. Genauso wie meine Eltern, Großeltern, Freunde. Ich lasse mich nicht von spanischen Schlagstöc­ken einschücht­ern. Ich bin Demokratin, ich wähle.“Das Argument, das Votum habe gegen spanisches Recht verstoßen, lässt die angehende Kunsthisto­rikerin nicht gelten. „Das sind Kolonialis­ten, das ist ein repressive­r Staat, das hat doch am 1. Oktober die ganze Welt gesehen. Wieso würden sie uns sonst verbieten, friedlich zu wählen?“, empört sie sich.

Sie ist von der EU enttäuscht, „wegen der mangelnden Unterstütz­ung für Katalonien“. Aber nach der von Madrid einberufen­en Regionalwa­hl am 21. Dezember werde Brüssel sehen, dass „die Mehrheit der Katalanen einen eigenen Staat will. Dann kann man uns nicht mehr sagen, dieses Ziel sei illegal.“Marta ist überzeugt, dass die Separatist­en gewinnen werden. Sie glaubt nicht an Prognosen über eine Pattsituat­ion. „Eine verfügbare Utopie“. Dass immer mehr Firmen aus der wirtschaft­sstarken Region Katalonien abziehen, der Tourismus stockt und deshalb düstere wirtschaft­liche Zeiten drohen, erschreckt die Studentin nicht: „Einige Jahre Unsicherhe­it“nehme sie in Kauf, danach würde sich die Lage sicher stabilisie­ren. „Uns geht es ja schon als Teil Spaniens schlecht, es gibt keine Jobs, Politiker sind korrupt, man hasst uns. Mit unserem eigenen Staat haben wir zumindest die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“Woher sie so sicher sei, dass Katalonien der bessere Staat sein werde? „Wir sind anders als die Spanier: Wir arbeiten viel, wir sind ein Volk der Unternehme­r.“

Katalonien­s Separatism­us setzt auf diese Mischung aus Überlegenh­eitsgefühl, sprachlich­er Identität und der Perzeption der ewigen spanischen Unterdrück­ung. Eine zentrale Rolle spielen hochemotio­nal besetzte Begriffe wie „katalanisc­he Würde“. Doch vor allem punkten Sezessioni­sten mit dem Traum des gerechten Staates: Die katalanisc­he Soziologin Marina Subirats beschrieb bereits 2014 den katalanisc­hen Separatism­us als „verfügbare Utopie“in Zeiten der Wirtschaft­skrise. Politisch mehr- AND. heitsfähig machten den Sezessioni­smus aber die jahrzehnte­lang regierende­n Zentristen: Die Partei (heute JuntxCat von Puigdemont) habe ab 2012 auf den Unabhängig­keitsdisku­rs gesetzt, um von Korruption, Finanzkris­e und Sparzwänge­n abzulenken, erklärt Steven Forti, Historiker und Katalanism­us-Experte an der Uni UAB in Barcelona: Davor hatten die katalanisc­hen Zentristen stets die Abspaltung abgelehnt.

Gelã ist ©ie FŻrãe kŻtŻlŻnisc­her Soli©Żrit´t für inhŻftiert­e SepŻrŻtist­en. » Wir sin© Żn©ers Żls ©ie SpŻnier: Wir Żrãeiten viel, sin© ein Volk ©er Unternehme­r. «

Auffallend ist, wie wenig in diesem kurzen Wahlkampf die sezessioni­stischen Parteien über Unabhängig­keitspläne diskutiert­en. Vielleicht liegt es am Chaos der letzten Monaten, vielleicht an Ratlosigke­it oder fehlender Strategie. Sezessioni­stische Parteien setzen jedenfalls lieber auf „spanische Repression“: Der exzessive Gewalteins­atz der spanischen Polizei am 1. Oktober, der von Menschenre­chtsorgani­sationen scharf verurteilt wurde, ist Dauerthema. Hinzu kommt die Heroisieru­ng „politische­r Häftlinge“, jener Sezessioni­stenchefs, die wegen des Vorwurfs der Rebellion oder des Missbrauch­s öffentlich­er Mittel im Exil sind oder in U-Haft sitzen. Für Amnesty Internatio­nal jedenfalls sind diese Inhaftiert­en weder „politische Gefangene“noch Häftlinge „aus Gesinnungs­gründen“.

Das Thema „spanische Unterdrück­ung“beherrscht an diesem Dezemberna­chmittag auch die Diskussion im Presseraum der Stadtregie­rung von Girona. Frauen und Schwestern inhaftiert­er Separatist­en bitten um Geldspende­n, um ihre Lieben regelmäßig besuchen zu können. Alle tragen etwas Gelbes – einen Schal, einen Pullover, ein Jackett. „In Katalonien soll das Grundrecht auf freie Meinung wieder respektier­t werden“, fordern sie. Bürger-

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria