»Ich habe den Luxus schätzen gelernt«
Seine Krankheiten haben den Maler Herbert Brandl sowohl äußerlich als auch persönlich sehr verändert. Auf seine Malerei hätten sich seine Grenzerfahrungen jedoch überhaupt nicht ausgewirkt, sagt er. Weshalb er krank geworden ist, will er gar nicht erforsc
Wieso haben Sie sich für das Foto eine Sonnenbrille aufgesetzt? Herbert Brandl: Ich verkleide mich gern. Wieso verkleiden Sie sich gern? Ich habe eine Autoimmunerkrankung. Mir sind, als ich 45 Jahre alt war, alle Haare ausgefallen, auch die Augenbrauen und die Wimpern. Das ist extrem störend. Mir kommt leicht Staub in die Augen, darum sind sie auch immer rot. Auf einmal ganz anders auszusehen, daran gewöhnt man sich nicht so leicht. Überhaupt nicht, nie. Wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich mir immer noch fremd. Die Krankheit hat mich sehr verändert. Und es ist sehr eigenartig, wenn dich auf einmal niemand mehr wiedererkennt. Ohne Augenbrauen kann das Gegenüber auch nicht leicht sehen, was man denkt und empfindet. Aber was hat Ihre Krankheit nun mit dem Verkleiden zu tun? Ich will nicht einfach so pur vor die Kamera treten. Es fällt mir leichter, wenn ich einen Bart aufklebe oder einen komischen Hut aufsetze. Und inwiefern helfen Ihnen der Hut oder die Sonnenbrille? Sie geben mir eine Struktur. Wenn ich nur einfach so dastehe, kann ich mich nicht erkennen. In meinen Träumen tauche ich auch immer noch mit Bart und Haaren auf. Kann Ihre Erkrankung auch psychische Ursachen haben? Ja, auch. Schockerlebnisse können ein Auslöser sein. Haben Sie für sich eine Erklärung gefunden, oder suchen Sie gar nicht danach? Ich suche gar nicht danach. Es ist einerlei, es würde ja nichts ändern. Die Krankheit ist wie eine Erscheinung, wie eine Fußfessel. Mit ihr kann ich mich nicht mehr mit derselben Sicherheit bewegen wie zuvor. Deshalb habe ich mich immer mehr zurückgezogen. Hat sich Ihre Krankheit auf Ihr Schaffen ausgewirkt? Nein, überhaupt nicht. Nichts hat sich je auf meine Bilder ausgewirkt. Auch nicht mein Aneurysma, an dem ich vor acht Jahren fast verblutet wäre. Ich hatte auf einmal enorme Rückenschmerzen und bin ins AKH in die Notaufnahme gefahren. Dort musste ich ewig warten. Die behandelnden Ärzte haben mich schlussendlich weggeschickt, sie sagten, ich simuliere. Beim Hinausgehen bin ich zusammengebrochen, und irgendwann hat man mich dann in irgendeinem Gang gefunden. Und Ihre Schmerzen endlich ernst genommen? Die Ärzte mussten mich mehrfach wiederbeleben. Und überlebt habe ich das Ganze nur Dank eines Engels, eines alten Arztes, der mehr oder weniger zufällig zu der Operation kam. Er wusste, wo das Aneurysma war, nur so konnte die Blutung gestoppt werden. Es ist gigantisch, dass ich das überlebt habe. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit? Wilde. Ich war in einem Koma, aus dem bin ich immer wieder erwacht. Das Gefühl von einem irrsinnigen Kampf ist mir noch sehr gegenwärtig. Irgendwann wurde mir klar: Etwas Übles ist passiert. Aber ich wusste nicht, was, und auch nicht, wo ich bin. Manche Ärzte hielt ich für die Verkörperung Satans, andere für Engel. Aber alles war extrem furchteinflößend. Dann hing da noch irgendwo eine Kinderzeichnung, auf der eine
1959
wurde Herbert Brandl in Graz geboren. Er studierte an der Hochschule für angewandte Kunst bei Peter Weibel und Herbert Tasquil in Wien.
Ab Mitte der Achtzigerjahre
nahm Herbert Brandl an international bedeutenden Ausstellungen teil. Dazu gehören die Biennale de Paris, 1985, das Mus´ee d’Art de la Ville de Paris, 1990, die Documenta IX, 1992, und Painting on the Move, Kunsthalle Basel, Museum für Gegenwartskunst, 2002.
Seit 2004
unterrichtet er als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf.
2007 Biennale di Venezia
war er auf der im Österreichischen Pavillon vertreten. Sonne gemalt war. Aber diese Sonne habe ich als pures Gift mit Stacheln, die mich durchdringen, wahrgenommen. Wie lange brauchten Sie damals, um sich von diesem Albtraum zu erholen? Es ging erstaunlich schnell. Wie von Zauberhand konnte ich auf einmal stehen und wieder gehen. Ich wollt’ nur raus aus diesem Spital. Das spricht für einen unglaublichen Lebenswillen. Ich habe einen starken Lebenswillen, das weiß ich seit damals. Aber ich habe das Leben immer sehr gern gehabt, mit allem, was dazu gehört. Was hat diese Grenzerfahrung mit Ihnen gemacht? Das Materielle hatte mich davor nicht beschäftigt. Aber dann habe ich mich auf einmal für tolle Uhren und schicke Autos interessiert. Früher hätte ich gesagt, es ist völlig geisteskrank, sich so etwas zu wünschen. Solche Wünsche haben etwas Diesseitiges. Ich konnte nach der Zeit im AKH lange Zeit nur herumliegen und fernschauen. Und was hat mir am besten gefallen? Lady Gaga mit ihrem künstlichen Müll und die neue Mercedes-Werbung und auch eine von Rolex. Und als ich im Winter endlich wieder gehen konnte, bin ich in die Innenstadt gewankt und habe mir die Rolex gekauft, die ich im Fernsehen gesehen habe. Dabei war ich noch ganz schwach. (Pause) Ja, solche Wünsche haben etwas Diesseitiges. Zuvor war ich eher zenbuddhistisch und transzendent angehaucht. Jetzt habe ich den Luxus schätzen gelernt, ich kann ihn sogar genießen. Hoffentlich. Macht es Ihnen eigentlich etwas aus, wenn sich jemand einen Brandl als Prestigeobjekt in sein Haus hängt? Es ist mir nicht egal, wer meine Bilder kauft. Doch es gibt mittlerweile einen sehr großen Sekundärhandel mit meinen Bildern, auf den ich keinerlei Einfluss habe. Aber ich freue mich am meisten, wenn sich jemand für ein Bild entscheidet, weil es ihn in seiner Gesamtheit anspricht und er sich mit der Materie auskennt. Vielen Ihrer Kollegen ist es völlig egal, wer ihre Bilder kauft. Ja, klar. Manche meiner Kollegen gehen auch sehr strategisch vor. Sie wollen, dass ihre Arbeiten nur in große Museen kommen oder nur an Topsammler verkauft werden. Häufig stehen da auch die Galerien dahinter. Welche Strategie haben Sie? Ich habe keine, ich konnte mich damit nie anfreunden. Ich bin dafür zu privat und persönlich orientiert. Mich interessiert der Markt nicht so wirklich. Für mich gibt es kein schlechtes Museum. Mich stört es nicht, wenn meine Bilder in einem Provinzmuseum hängen. Das wäre ja auch sehr snobby. Ja, das finde ich auch, sehr snobby. Die Leute, die sich in einem Provinzmuseum meine Bilder anschauen, sind ja nicht mindere Betrachter. Sie sind genauso mein Publikum. Aber viele Künstler wollen diese normalen Leute nicht als Publikum haben. Sind Sie ein kompromissbereiter Mensch? Ich muss nicht oft kompromissbereit sein. Die Leute, die mit mir eine Ausstellung machen, wollen ja mit mir zusammen arbeiten. Sie wissen, was mir wichtig ist, und hören auch darauf. Ich zwinge niemandem etwas auf. Wenn Sie eine Ausstellung gestalten, denken Sie auch daran, welches Bild sich gut verkaufen ließe?
. . . ob Sie viele Termine haben? Nein, Termine habe ich ganz ungern. Sie sind eine irre Einschränkung. Ich kann gar nicht verstehen, wie Menschen jeden Tag Termine haben können. Ich würde das nie aushalten. . . . ob Sie Angst vor dem Sterben haben? Ich habe nicht unbedingt Angst. Es fallen mir nur immer wieder Szenarien ein, die ich noch regeln muss. Und ich überlege mir, was ich noch machen kann und was ich lieber nicht mehr angehen sollte. Und mit manchen Dingen hadere ich total. „Fühle dich nie zu sicher“, das ist mir eingeprägt. Allerdings mischt sich zu jeder Freude ein gewisser Wermutstropfen, wenn man sich immer ein bisschen unsicher fühlt. . . . ob Sie bescheiden sind? Nein, ich bin auch nicht asketisch, sondern eher ein Hedonist. Nur muss ich dabei auf meine Gesundheit ein bisschen aufpassen. Leider denke ich nicht darüber nach. Ich habe ja so viele Großformate, die sind sehr schwer zu verkaufen. Machen Sie auch Bilder auf Auftrag? Schon, aber nicht gern. Aufträge sind eine große Belastung für mich. Ich verstehe meistens nämlich nicht, was derjenige will. Und ich will dem Auftraggeber ja nicht gefallen. Darum lass ich mich nur selten darauf ein. Wenn Sie Bilder gezielt für eine Ausstellung malen müssen, belastet Sie das nicht? Nein. Da habe ich nämlich nicht den Kunden, sondern den Raum im Kopf. Und dann kommt die Idee. So entsteht ein Wurf von Bildern. Sie sind mein Statement. Sie sagten vorhin, nichts hat sich auf Ihre Malerei ausgewirkt. Nicht einmal Ihre Nahtoderlebnisse? Nicht so wirklich. Ich habe mich selbst gewundert. Als ich wieder malen konnte, habe ich nahtlos dort weitergearbeitet, wo ich vor dem Aneurysma aufgehört hatte. Als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben. Dabei habe ich in meinen komatösen Zuständen so Schriftbilder gesehen. Ich dachte mir: Wenn ich hier jemals wieder herauskomme, mache ich ein gigantisches Schriftbild in violetten und roten Tönen. Aber ich habe es bis heute nicht getan. Sie wirken so milde. Sind Sie milde? Ich weiß nicht, ob ich milde bin. Überheblich will ich auf keinen Fall sein. Falls ich das sein sollte, wäre ich froh, wenn mir das jemand baldigst sagt. Das ist nämlich eine sehr unangenehme Haltung. Ich will auch nicht zynisch oder ironisch sein. Ich finde das uncool. Aber manchmal komme ich mir selbst für diesen Kunstbetrieb zu wenig präpotent vor.