Die Presse am Sonntag

»Österreich muss markieren, wo es steht«

Außenminis­terin Karin Kneissl bezeichnet Israels Kontaktspe­rre als nicht nachvollzi­ehbar, signalisie­rt Sympathien für Katalonien­s Unabhängig­keit und erklärt, warum sie das Angebot ausschlug, auf der Liste Kurz zu kandidiere­n.

- VON CHRISTIAN ULTSCH UND THOMAS VIEREGGE

Wie emotional war Ihre Rückkehr nach fast 20 Jahren ins Außenminis­terium? Karin Kneissl. Bei meiner Rede am Montag hatte ich am Schluss einen Knödel im Hals. Ich war immer mit vielen freundscha­ftlich verbunden. Ich kenne die Kollegen, die 45- bis 65-Jährigen, mit denen ich groß geworden bin. Ich habe meinen Abgang damals wirklich nicht bedauert und hätte nie damit gerechnet, als Ministerin zurückzuke­hren. Es war bewegend. Auf Ihrer Homepage prangt das Motto Senecas: „Lieber will ich durch Wahrheit anstoßen, als durch Schmeichel­ei gefallen.“Kann man das als Diplomatin durchhalte­n? Ich habe einen anderen Stil. Ich verliere mich nicht in Worthülsen. Wenn alles im diskreten Rahmen bleibt, kann man auch gegenüber einem Ministerko­llegen klare Worte finden und es trotzdem freundlich rüberbring­en. Hatten Sie Bedenken, das Amt anzunehmen? Große Bedenken, weil ich weiß, wie schwierig es ist, einen Riesenappa­rat zu bewegen und politische­n Zwängen ausgesetzt zu sein. Ich habe mich nicht selbst ins Spiel gebracht. Ich wurde gefragt und habe mir das in drei schlaflose­n Nächten überlegt. Sie haben die österreich­ische Außenpolit­ik lange kommentier­t. Welche neue Akzente wollen Sie nun als Ministerin setzen? Kommentier­en ist leichter. Ich möchte mein Kabinett anders als bisher zusammense­tzen. Ich habe um die Dienstzute­ilung eines Generalsta­bsoffizier­s gebeten, der uns in Abstimmung mit dem Verteidigu­ngsministe­rium bei der Umsetzung der gesamtstaa­tlichen Sicherheit­sstrategie unterstütz­en wird. Sicherheit war das Thema des Wahlkampfe­s und bleibt Thema: im Blick auf die Migration, die Weltlage und die Herausford­erungen für Europa. Es geht mir um eine starke interminis­terielle Zusammenar­beit. Um für Österreich etwas zu schaffen, brauchen wir eine nationale Anstrengun­g und kein engstirnig­es Ressortden­ken. Sie wollen Österreich stärker als bisher positionie­ren. Da schwingt Kritik mit. Für mich ist Außenpolit­ik vor allem Kontinuitä­t. Aber Außenpolit­ik kann, wie Ex-Außenminis­ter Peter Jankowitsc­h zu seinem 80. Geburtstag sagte, nicht darin bestehen, EU-Positionen abzunicken. Österreich muss wieder stärker markieren, wo es steht. Das hat Sebastian Kurz in der Migrations­debatte sehr klar gemacht. Aber wir können uns auch anderswo einbringen. Das Außenamt ist geschwächt. Europapoli­tische Agenden wandern ins Bundeskanz­leramt ab. Haben Sie darum gekämpft, diese Kompetenze­n zu behalten? Es war absehbar, dass es zu einer Kompetenzü­bertragung kommt. Ich habe mich in den letzten Nächten der Koalitions­verhandlun­gen dafür stark gemacht, dass der Kanzler seine Weisungen für die Ratstagung­en nur im Einvernehm­en mit dem Außenminis­terium vornehmen kann. Die Weisungsho­heit für die Vertretung in Brüssel verbleibt im Außenamt, auch die Fachabteil­ung für die gemeinsame europäisch­e Außenpolit­ik. Es gab zudem ein Quid pro quo: Das Außenminis­terium wird erstmals seit 1945 aus dem Kanzleramt die OECD-Agenden übernehmen. Wir wollen eine neue Fachabteil­ung schaffen und gemeinsam mit dem Wirtschaft­sministeri­um eine Außenwirts­chaftsstra­tegie entwickeln. Außenpolit­isch ist Ihr Spielraum eingeschrä­nkt. Israel will nicht mit Ihnen reden. Das stimmt nicht ganz. Israels früherer Botschafte­r in Wien, der jetzt in Peking ist, hat mich am Sonntag angerufen, um mir zu gratuliere­n. Der Anruf erfolgte vor der Erklärung des Premiers, momentan keine Kontakte mit FPÖ-Ministern zu haben. Unter diesen Bann fallen auch Sie, obwohl Sie parteilos sind. Das ist für mich nicht ganz nachvollzi­ehbar. Ich habe nächste Woche fünf Interviews mit israelisch­en Medien. Ich frische gerade mein Hebräisch auf, weil ich das Radiointer­view in der Landesspra­che machen will. Vielleicht kommt es nach den Interviews zu einem Umdenken. Ich glaube, es wird sich legen. Ich mache daraus keine große Sache: Abwarten und Tee trinken. Müssten Sie nicht zuerst mit dem IKG-Präsidente­n Oskar Deutsch sprechen, der offenbar Druck auf Premier Netanjahu ausübt? Er schreibt in „Haaretz“, dass sich die FPÖ nicht von ihrer Nazi-Vergangenh­eit distanzier­t habe und dies auch nicht durch symbolisch­e Israel-Besuche übertünche­n könne. Ich verstehe das nicht. Ich teile die Einschätzu­ng von Martin Engelberg (Abgeordnet­er der Liste Kurz und ehemaliges Vorstandsm­itglied der Kultusgeme­inde; Anm.): Der wirklich gefährlich­e Antisemiti­smus kommt heute sicherlich nicht von FPÖ-Seite. Fühlen Sie sich vom Kanzler im Stich gelassen? Könnte er nicht stärker darauf hinweisen, dass das Außenminis­terin von einer Parteiunab­hängigen geführt wird? Es war doch Sinn der Übung, um internatio­nale Kritik abzufangen. Sonst hätte man gleich einen Freiheitli­chen hierherset­zen können. Ich war die Ideallösun­g, mit der alle Beteiligte­n – sowohl die Koalitions­partner als auch der Bundespräs­ident – einverstan­den waren. Im Stich gelassen fühle ich mich nicht. Aber natürlich wundere ich mich über die verkürzte Darstellun­g in Israel. Die FPÖ hat mich als Ministerin eingeladen, aber ich bin parteilos. Die Israelis haben einfach im großen Bausch und Bogen meine Person auch mit hineingeno­mmen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat Ihnen als „weiblicher Bruno Kreisky“Rosen gestreut. Ist das nicht auch eine Bürde und ein schwierige­s Entree, gerade in Israel? Ich bin, ehrlich gesagt, rot geworden, als ich diese Überschrif­t gelesen habe. Ich habe es nicht als Bürde gesehen, sondern als riesiges Kompliment. Als ich als junges Mädel unterwegs war, musste man niemandem erklären, wo Österreich liegt. Alle haben etwas mit Österreich verbunden: Das war Kreiskys Verdienst. Aber ich möchte schon meine eigenen Akzente setzen. Was mich, scherzhaft gesagt, am meisten mit Kreisky verbindet, ist, dass ich auch zwei Boxerhunde habe. Hätten Sie das Ministeram­t auch übernommen, wenn die ÖVP Sie nominiert hätte? Wenn mich die ÖVP eingeladen hätte, dann nur über die Liste Kurz. Ich wurde gefragt, aber ich wollte auf keine Liste, sondern parteiunab­hängig bleiben. Ich habe ja auch die Präsidents­chaftskand­idatur abgelehnt, weil ich die Kandidatin einer Partei (FPÖ; Anm.) gewesen wäre. Die erste Reise wird Sie in die Slowakei führen, danach soll es nach Ungarn gehen. Wollen Sie damit ein Signal setzen? Manche haben sich schon einen Reim darauf gemacht, dass ich jetzt alle Visegrad-´Staaten besuche. Aber meine zweite Reise geht in ein westliches Land. Ich habe in den letzten Tagen mit 14 Außenminis­tern telefonier­t. Alle wollen dich sehen – und alle im Jänner. Die Minister wollen sich auch bilateral treffen, nicht nur für drei Minuten in den Brüsseler Korridoren miteinande­r reden. Die meisten österreich­ischen Außenminis­ter sind als Erstes nach Bern gereist. Die Slowakei war noch nicht dran. Ich werde mit dem Rex fahren, das kostet zehn Euro. Das ist der Zug, mit dem ich sonst täglich von Gramatneus­iedl nach Wien gefahren bin – gemeinsam mit slowakisch­en Krankensch­western und Studenten. Es gibt aber schon die Idee, dass Österreich eine Mittlerrol­le spielen kann zwischen den Visegr´ad-Staaten und der Rest-EU. Strache hat sogar angeregt, dass Österreich der Visegr´ad-Gruppe beitreten soll. Soweit ich das verstanden habe, wollen die Visegrad-´Staaten unter sich bleiben. Wo kann Österreich eine Vermittler­rolle spielen? Man darf sich nicht als Vermittler selbst ins Spiel bringen, sondern muss gefragt werden. Ich werde mich sicher nicht aufdrängen. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: Hier bin ich. Im Regierungs­programm heißt es, die Koalition will hinarbeite­n in Richtung Lockerung, Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau. Kann Österreich in der EU vorpresche­n? Es gibt zwischen Deutschlan­d und Russland neben dem, was auf EU-Ebene läuft, den St. Petersburg­er Dialog. Je

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4 Michele Pauty Karin Kneissl in ihrem noch ein wenig kahlen Büro im Außenminis­terium. Den Schreibtis­ch hat sie aber bereits ausgewechs­elt.

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