Die Presse am Sonntag

»Vom Rückwärtsg­ang halte ich nicht viel«

Der neue Bildungsmi­nister Heinz Faßmann hält sowohl Kopftücher als auch »Jesus is great«-T-Shirts bei Lehrerinne­n für deplaziert. Auch zur Obergrenze bei Flüchtling­en hat er eine ambivalent­e Meinung.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER JULIANEUHA­USER

Hat es Sie eigentlich überrascht, dass Sie als Migrations­experte nicht gefragt wurden, ob Sie die Integratio­n übernehmen wollen – sondern das Bildungsmi­nisterium? Heinz Faßmann: Nein, gar nicht so sehr. Integratio­n läuft ja sehr stark und sehr viel über Bildung ab. Insofern ist es eigentlich eine ganz naheliegen­de Sache. Besteht mit dem Fokus auf Integratio­n nicht die Gefahr, dass andere wichtige Bildungsth­emen unter die Räder kommen? Die Gefahr sehe ich gar nicht. Viele Themen sind ohnehin im Regierungs­programm definiert. An das werde ich mich klarerweis­e loyal halten. So viele Freiheitsg­rade wird mein politische­s Handeln nicht zeigen können. Heißt das, dass Sie alle 136 paktierten Maßnahmen unterschre­iben? Oder hat Ihnen Kanzler Sebastian Kurz Spielraum gegeben? Das muss er gar nicht tun. Es ist klar, dass 136 Maßnahmen nicht von heute auf morgen realisiert werden können. Hier muss man politische Prioritäte­n setzen, und das ist meine Aufgabe. Was wird zunächst hintangest­ellt? Die Studiengeb­ühren wird man nicht so schnell realisiere­n können. Die Unis müssen die neue Finanzieru­ng verdauen, die wir nun einführen. Dann kann ein Konzept entwickelt werden, das auch die soziale Abfederung inkludiert. Wie sehr liegen Ihnen Gebühren am Herzen? Sie sind mehr ein Instrument der Steuerung als der Finanzen. Mit Studienbei­trägen kann Verbindlic­hkeit hergestell­t werden, und die ist notwendig. In den vergangene­n Jahren gab es viele Reformen im Schulberei­ch, die Lehrer klagten über „Reformitis“. Wollen Sie weiter reformiere­n – oder soll einmal gestoppt werden? Ich wurde vom Kanzler als besonnener Minister vorgestell­t. Das bedeutet, dass man den nächsten Schritt erst setzt, wenn man den vorherigen getätigt hat. Erst kürzlich wurde ein Bildungsre­formgesetz beschlosse­n. Das muss nun implementi­ert werden. Es ist ein Gesetz, das viel Potenzial in sich birgt. Da wird sich Ihre Vorgängeri­n freuen. Ich habe nichts dagegen, dieses Kompliment auszusprec­hen. Grundsätzl­ich gilt manchmal auch: Less is more. Die Lehrer fordern in manchen Bereichen den Retourgang. Neue Mittelschu­le, Leistungsg­ruppen, Noten: Sollen manche Reformen zurückgeno­mmen werden? Vom Rückwärtsg­ang halte ich nicht viel. Man muss nach vorn schauen und sagen, was man erreichen will. Die Offenheit beim Nachjustie­ren, die ich habe, würde ich eher als eine vorwärtsge­wandte Aktion betrachten. In den vergangene­n Jahren wurde viel über die Arbeitszei­t der Lehrer diskutiert. Wird man um die Diskussion herumkomme­n, Lehrer länger in der Schule zu halten? Ich bin seit wenigen Tagen im Amt. Jetzt eine verbindlic­he Antwort zu erwarten, was in den nächsten fünf Jahren passieren wird, ist fast schon vermessen. Da darf ich um Geduld bitten. Aber wenn die Ganztagssc­hule ausgebaut wird: Ist das mit dem derzeitige­n Dienstrech­t, der derzeitige­n Arbeitszei­t machbar? Mein Eindruck ist, dass wir motivierte Lehrerinne­n und Lehrer haben, die oft am Wochenende Hefte korrigiere­n. Man sollte sehr vorsichtig sein, ihnen neue Aufgaben aufzuerleg­en. Es geht eher darum zu schauen, wie wir sie von Bürokratie entlasten können. Hinter der geplanten leistungso­rientierte­n Bezahlung der Lehrer stehen Sie aber. Ja, aber auch das ist eine hochgradig sensible Frage. Es muss ein faires System sein, und wir wissen, dass die Messung von Leistung alles andere als trivial ist. Dann muss man sie auch monetär bewerten. Das ist hochkomple­x. Hätten Sie das lieber nicht im Papier? Ich verstehe die Intention, besondere Motivation und Leistung auch irgend- wie wertzuschä­tzen. Das ist wichtig, um einigermaß­en zufriedene Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r zu haben. Aber die Antwort auf diese Frage müssen wir auch ein bisschen verschiebe­n. Sie haben früher unter anderem gefordert, dass Lehrerinne­n kein Kopftuch tragen sollen. Soll das jetzt umgesetzt werden? Meine Meinung hat sich nicht geändert. Ich würde es als Respekt gegenüber dem säkularen Staat empfinden, wenn Personen religionsn­eutral auftreten. Im von der öffentlich­en Hand finanziert­en Religionsu­nterricht – den ich gut finde – können Lehrerinne­n klarerweis­e mit Kopftuch auftreten. Wie sieht es dann aus mit dem Kreuz im Klassenzim­mer? Muss das auch weichen? Ich würde weder das eine gegen das andere ausspielen noch vergleiche­n wollen. Das Agieren von Lehrerinne­n in einer nicht-religionsn­eutralen Art und Weise hat eine andere Bedeutung als etwas, das an der Wand hängt. Aber ein großes Kreuz um den Hals einer katholisch­en Lehrerin müsste dann genauso weg wie das Kopftuch. Ein T-Shirt mit einem demonstrat­iven „Jesus is great“würde ich genauso deplatzier­t empfinden. Die Koalition will Sozialleis­tungen daran knüpfen, ob Eltern die Bildung ihrer Kinder ermögliche­n und fördern. Sie haben dazu einmal gesagt: „Um diese Eltern zu sanktionie­ren, steckt zu viel Liberalitä­t in mir.“Ist diese Liberalitä­t jetzt gewichen? Die Rache des Journalist­en ist sein Archiv. Ich stehe aber dazu: Wir brauchen zunächst eine verstärkte Elternarbe­it. Die Frage, wie weit man mit der Bestrafung gehen kann, wenn die Eltern trotz Vorladung nicht zu Elternaben­d oder Sprechstun­de kommen, muss man prüfen. Das muss ja auch exekutiert werden und rechtlich einwandfre­i sein. Natürlich kann man als Wissenscha­ftler manche Dinge pointierte­r formuliere­n. Wir sind immer noch weit weg von einem totalitäre­n Staat, wenn wir die Eltern nachdrückl­ich auffordern, sich an der Schule zu beteiligen. Neuerungen wird es für Migrantenk­inder geben. Wer nicht gut genug Deutsch kann, wird als nicht schulreif eingestuft. Was passiert dann mit diesen Sechsjähri­gen? Der Idealfall ist, dass Kinder über das zweite verpflicht­ende Kindergart­enjahr genügend Deutschkom­petenz erreichen, um dann ohne Startnacht­eile in die Volksschul­e zu kommen. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist die Formation einer Deutschkla­sse sinnvoll. Sollen Kinder mit Deutschdef­iziten diese Klasse mehrere Jahre besuchen? Nein, schrecklic­h. Das soll so kurz wie möglich sein – und integriert in den Schulverba­nd. Das heißt, gemeinsame­r Sportunter­richt, sich im Schulgebäu­de aufhalten, am Gang miteinande­r sprechen. Wie unterschei­det sich das von den Sprachstar­tgruppen, die jetzt schon möglich sind? Das Problem des bestehende­n Systems ist, dass es zu wenig Einheitlic­hkeit und Verbindlic­hkeit aufweist. Wir wollen sowohl jene, die am Beginn der Schulpflic­ht Deutschdef­izite aufweisen, als auch die sogenannte­n Quereinste­iger in eigenen Deutschkla­ssen intensivie­rt in der Unterricht­ssprache fördern. Sie haben ein Megaminist­erium, vom Kindergart­en bis zu den Universitä­ten. Man könnte befürchten, dass bei Ihnen als Ex-Vizerektor zuerst einmal die Unis dominieren. Das könnte man annehmen. Aber der gesellscha­ftspolitis­che Druck geht in Richtung Schule und Kindergart­en. Ich sehe das große Ministeriu­m als wirkliche Chance, weil der gesamte Bogen der Bildung in einer Hand ist. Die Schnittste­llenproble­matik kann man in einem Haus sicher viel eleganter lösen. Hat Ihnen der Kanzler budgetär eigentlich freie Hand gegeben, um das Bildungssy­stem besser zu machen? Diesen Kanzler, der sagt, die Welt steht Ihnen zur Verfügung, den gibt es nicht. Budgetär muss man sicherlich in Dimensione­n von Effizienz denken. Sie haben sich noch vor zwei Jahren gegen eine Asylobergr­enze ausgesproc­hen. Wer eine solche fordere, der verstehe die Genfer Flüchtling­skonventio­n nicht, sagten Sie damals. Stehen Sie dazu als Minister noch? Ja. Die Obergrenze ist asylrechtl­ich eine schwierige Maßzahl. Realpoliti­sch ist sie aber verständli­ch. Wünschen Sie sich Änderungen? Auf europäisch­er Ebene muss wieder ein funktionie­rendes, gemeinsame­s, Asylsystem hergestell­t werden. Und in Österreich? Die Obergrenze ist ohnehin eine statistisc­he Größe, die ganz offensicht­lich eingehalte­n wird, weil die Asylzuwand­erung abgenommen hat. Sie sind in Deutschlan­d geboren. Wie kam es, dass Sie in Österreich gelandet sind? Mein Vater ist früh verstorben, so bin ich als Sechsjähri­ger mit meiner Mutter in ihre Heimatstad­t Wien gekommen. Seit 1994 bin ich österreich­ischer Staatsbürg­er. Den deutschen Pass hat mir der Beamte am Magistrat gleich abgenommen. Sie wurden zwar von der ÖVP eingesetzt, sind aber parteiunab­hängig. Werden Sie der ÖVP noch beitreten? Dazu sehe ich keine Notwendigk­eit. Waren Sie bisher ein treuer ÖVP-Wähler? Belassen wir es beim Wahlgeheim­nis.

 ?? 4 Akos Burg ?? „Ich sehe keine Notwendigk­eit, der ÖVP beizutrete­n“, sagt der neue Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. Damals haben Sie gemeint: Mit solchen staatliche­n Sanktionsm­aßnahmen sei man schnell beim totalitäre­n Denken.
4 Akos Burg „Ich sehe keine Notwendigk­eit, der ÖVP beizutrete­n“, sagt der neue Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. Damals haben Sie gemeint: Mit solchen staatliche­n Sanktionsm­aßnahmen sei man schnell beim totalitäre­n Denken.

Newspapers in German

Newspapers from Austria