Die Presse am Sonntag

Ein Geschenk, das vereinen und spalten kann

Die Koalition will Zweitpässe für Südtiroler ermögliche­n. Und wirft damit einige Fragen auf: Über Gesetze, gute Nachbarsch­aft und Identitäte­n.

- VON IRIS BONAVIDA

Irgendwann, kurz nach dem 18. Geburtstag, ist es für jeden Südtiroler und jede Südtiroler­in so weit. Ein amtlicher Brief liegt im Postkasten – und mit ihm die Frage: Bin ich hauptsächl­ich Deutschspr­achig, Italienisc­hsprachig oder Ladiner?

Denn mit Erlangen der Volljährig­keit müssen sich Bürger in der Autonomen Provinz in Italien entscheide­n, zu welcher Sprachgrup­pe sie sich am ehesten zugehörig fühlen. Das ist aus statistisc­hen Gründen wichtig – alle zehn Jahre wird eine Volkszählu­ng durchgefüh­rt. Vor allem aber werden öffentlich­e Stellen nach einem Proporzsys­tem vergeben.

In Zukunft könnte die Zugehörigk­eitserklär­ung aber noch ganz andere Konsequenz­en mit sich ziehen: Laut neuem Regierungs­programm wird „in Aussicht genommen, den Angehörige­n der Volksgrupp­en deutscher und ladinische­r Mutterspra­che in Südtirol“den österreich­ischen Pass zu verleihen. Ein Geschenk, das ÖVP und FPÖ den beiden Minderheit­en in Italien machen wollen. Aber eines, das nicht nur vereinen, sondern auch trennen kann.

Die Absichtser­klärung liest sich zunächst einfach – führt dann allerdings zu einer Reihe komplexer Fragen. Wie zu jener, die in dem amtlichen Brief gestellt wird: Wer ist nun ein Angehörige­r deutscher oder ladinische­r Mutterspra­che? Einzelne Überprüfun­gen oder Kontrollen gibt es bei der statistisc­hen Erfassung nicht. Theoretisc­h kann sich eine Person, die nicht wirklich gut Deutsch spricht und nur italienisc­he Wurzeln hat, als deutschspr­achig erklären. Und in anderen Fällen – wie bei mehrsprach­ig aufgewachs­enen Personen – gibt es keine klare Zugehörigk­eit. „Europäisch­er Pass“. Auch LangzeitLa­ndeshauptm­ann Luis Durnwalder von der Südtiroler Volksparte­i glaubt, „dass es sicher nicht so einfach ist, wie es sich manche vorstellen“. Die Sprachgrup­penzugehör­igkeit „kann ich ja auch jederzeit ändern“, es bräuchte wohl also ein anderes System zur Klärung, wer einen Anspruch auf die österreich­ische Staatsbürg­erschaft hat. Welches? Das sei heikel und müsse mit mehreren Experten geklärt werden. Genauso wie die Fragen, wie es mit dem Wahlrecht und der Wehrpflich­t in Österreich geregelt werde. „Man kann sich ja nicht nur die positiven Dinge herauspick­en“– immerhin gibt es in Italien ein Berufsheer.

Den grundsätzl­ichen Plan der Regierung sieht Durnwalder aber positiv: „Ich bin der Erste, der um die Staatsbürg­erschaft ansuchen wird“, sagt er zur „Presse am Sonntag“. Aber nur in einem europäisch­en Kontext: „Früher oder später wird es die europäisch­e Staatsbürg­erschaft geben“, hofft er.

In die Forderung nach Doppelpäss­en interpreti­ert ohnehin jeder seine eigenen Wünsche hinein: Die Südtiroler Rechte sieht es als ersten Schritt für die Wiedervere­inigung Tirols. Die Südtiroler Volksparte­i versucht wie Durnwal- der den „europäisch­en Gedanken“zu betonen – und vor der Landtagswa­hl im Jahr 2018 nicht die Stimmung aufzuheize­n. Und Italien? Das Land geht zwar sehr liberal mit Doppelpäss­en um und hat eigene Regelungen für Auslandsit­aliener. Aber das Vorpresche­n in Wien sieht man eher als unabgespro­chenen, feindliche­n Akt. Ein erstes Gespräch

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