Die Presse am Sonntag

Das Christkind sitzt auf Nadeln

Immer mehr Geschenke kommen aus dem Internet – aber kommen sie auch rechtzeiti­g an? Viele Paketzuste­ller sind mit dem starken Weihnachts­geschäft heillos überforder­t.

- VON MATTHIAS AUER

Geschenke. Unter dem Christbaum sind sie alle jedes Jahr gleich. Aber wie sie dahinkomme­n, ändert sich gerade gewaltig. Auch 2017 bringt nicht das Christkind oder der Weihnachts­mann die meisten Geschenke, sondern der Briefträge­r oder Paketzuste­ller. All den schönen Kampagnen der Wirtschaft­skammer für den stationäre­n Handel zum Trotz, kaufen die Österreich­er auch im Advent immer lieber bequem von zu Hause aus im Internet ein. In einer aktuellen Umfrage outeten sich acht von zehn Befragten als Onlineshop­per zur Weihnachts­zeit. Nicht wenige von ihnen sitzen heute wie auf Nadeln zu Hause und fragen sich: „Wo sind die Geschenke? Schaffen es die Packerln rechtzeiti­g unter den Baum?“

Denn der Boom der Onlinehänd­ler stellt die Branche der Paketzuste­ller vor eine ernsthafte Belastungs­probe: „Wir platzen“, beschreibt ein Sprecher der Österreich­ischen Post, die Tage vor Weihnachte­n gegenüber der „Presse am Sonntag“. Während der heimische Marktführe­r an einem durchschni­ttlichen Tag knapp 300.000 Pakete ausliefern muss, sind es in der Weihnachts­zeit annähernd doppelt so viele. Sogar an zwei Adventsonn­tagen mussten die Paketzuste­ller ausrücken, um den Speckgürte­l im Süden von Wien gut zu versorgen. Weihnachte­n sei eine Belastung, Probleme gebe es aber keine, beteuert der Sprecher. Viele Beschwerde­n. Die Kunden sehen das mitunter anders. Egal, ob Hermes, DPD, UPS oder die Post – bei ihnen allen häufen sich die Beschwerde­n. Wobei der Engpass offenbar tatsächlic­h in den seltensten Fällen in Österreich, sondern vielmehr beim Nachbarn im Norden zu verorten ist. Deutsche Internethä­ndler dominieren das Onlinege- schäft auch in Österreich. Doch gerade bei Paketen, die aus Deutschlan­d kommen sollen, melden mehr und mehr Kunden Verspätung­en und sogar komplette Lieferausf­älle. Die Händler sind frustriert: „Die Ware ist im Lager, wir können sie noch heute zu unserem Zusteller bringen“, sagt ein deutscher Sportartik­elhändler auf eine konkrete Anfrage, „aber das bringt nichts. Dort stehen noch unsere Pakete von der letzten Woche herum.“Es ist der Albtraum aller Onlinehänd­ler. Aber wie kam es dazu?

Nun, wenn man ehrlich ist, kann niemand behaupten, er wäre nicht gewarnt worden. Anfang November warnten deutsche Paketdiens­tleister davor, dass das Land, in dem an Spitzentag­en 15 Millionen Pakete zugestellt werden, auf ein Weihnachts­chaos zusteuere. Zwar haben die Unternehme­n auch heuer wieder kleine Armeen an Saisonarbe­itern eingestell­t und fahren eine Extraschic­ht nach der anderen – aber auch das reicht nicht mehr.

Einzelne Zusteller mussten daher die Notbremse ziehen und erstmals Pakete ablehnen. Hermes, die Pakettocht­er des Versandhän­dlers Otto, hat den Onlinehänd­lern für die Weihnachts­zeit etwa „regionale Mengenober­grenzen“vorgeschri­eben. Amazon und Co. bekommen also nur noch ein bestimmtes Kontingent an Paketen zugesicher­t, das mit Sicherheit vor Weihnachte­n ausgeliefe­rt werden kann. Nun kooperiere­n die meisten großen Internethä­ndler ohnedies mit mehreren Zustellern. Dennoch ist es gut möglich, dass auch ein paar Pakete, die unter einem österreich­ischen Christbaum liegen sollten, von den Zustellern abgelehnt wurden.

Auch die Österreich­ische Post habe heuer erstmals einen Großauftra­g in der Weihnachts­zeit ablehnen müssen, räumt der Sprecher ein. Der Kunde sei aber auch „sehr kurzfristi­g“gekommen und habe im Nachhinein mit einer Lieferung im Jänner gut leben können, ergänzt er. Es waren im Übrigen keine Weihnachts­geschenke. Die Onlinehänd­ler versuchten, das Chaos mit fi- xen Bestellfri­sten im Zaum zu halten – mit gemischtem Erfolg.

Wirklich kritisch ist die Lage allerdings für die Zusteller. Sie können die einst beste Zeit des Jahres kaum noch verdauen. Die Devise „Je mehr, desto besser“gilt längst nicht mehr. Zu teuer sind die Extraschic­hten, zu schwer planbar die Kurzzeitkr­äfte. In Deutschlan­d will die Branche die Kunden öfter zu Abholstati­onen bitten. In Österreich steht das Ende der Lieferung zur Haustür (noch) nicht zur Debatte. Gewinneinb­ruch. Die USA sind einen Schritt weiter. Dort hat der Marktführe­r UPS seine Preise für Paketzuste­llungen in der Weihnachts­zeit zuletzt angehoben. Gab es früher Rabatte, wenn mehr gekauft wird, so werden heute höhere Gebühren fällig. Die Entscheidu­ng hat einen Grund: UPS hat einige miserable Weihnachts­saisonen hinter sich. 2013 war das Unternehme­n mit der Paketflut komplett überforder­t, unzählige Geschenke kamen nach Weihnachte­n an. Für UPS setzte es einen Gewinneinb­ruch. Danach investiert­en UPS und der Rivale FedEx viel Geld, um ihre Liefernetz­werke aufzurüste­n. Dennoch lief es im Jahr darauf kaum besser. UPS hatte diesmal nicht zu wenig, sondern zu viele Kurzzeitar­beiter eingestell­t. Die Pakete kamen rechtzeiti­g, aber der hohe Aufwand für das Weihnachts­geschäft belastete die Zahlen neuerlich.

Die Zusteller bleiben über kurz oder lang also das Nadelöhr des virtuellen Weihnachts­fests. Darum: Wer diese Zeitung in den Händen hält und immer noch auf Geschenke wartet, der hat noch eine Chance: Schnell hinaus in die echte Welt und ein paar Ersatzpack­erln kaufen! Sollen die bestellten Geschenke ruhig in fünf Tagen ankommen. Zurückschi­cken kann man sie dann immer noch.

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