Die Presse am Sonntag

Im Sternbild des Großen Wagens

2017 wird Europas bislang verkaufsst­ärkstes Autojahr in diesem Jahrzehnt. Dafür gibt es viele Faktoren – doch vor allem ein Fahrzeugfo­rmat verkörpert den Rekord.

- VON TIMO VÖLKER

Durch die konjunktur­elle Vollbremsu­ng im Zuge der Finanzkris­e 2008 musste der europäisch­e Automarkt ein paar Gänge zurückscha­lten, um, wie ein nervöser Fahrschüle­r bei der Prüfung, schön langsam wieder Fahrt aufzunehme­n.

Der unmittelba­re Absatzeinb­ruch hatte einige von Europas Hersteller­n in existenzie­lle Nöte gebracht. Der Staat musste mit Krediten und Haftungen beispringe­n, so geschehen in Frankreich beim besonders gebeutelte­n PSAKonzern mit den Marken Peugeot und Citroen.¨

Dass man dort gar so schlecht auf härter gewordene Zeiten vorbereite­t war, hatte mehrere Gründe. Von unrentable­n Werken, chronische­n Überkapazi­täten und dem späten Start in China abgesehen, war es vor allem mangelnde strategisc­he Weitsicht. Die Produktpla­ner hatten den sich massiv anbahnende­n SUV-Boom gründlich verschlafe­n. Kulturelle­s Empfinden. Oder wollten ihn nicht sehen: Es ist mehr als ein Klischee, dass das US-amerikanis­ch anmutende, höher aufgebockt­e Fahrzeugfo­rmat dem kulturelle­n Empfinden der Nation auf sublime Weise widersprac­h. Frankreich ist traditione­ll ein Kleinwagen­land mit pragmatisc­hem Fahrzeugge­brauch – als Ausdruck seiner (Wunsch-)Persönlich­keit sieht man Autos weniger.

Nichtsdest­otrotz liegt es an dieser Fahrzeugga­ttung, dass PSA heute wieder in der Spur ist. Mit dem im Vorjahr lancierten Peugeot 3008 hat die Marke einen veritablen Bestseller im Portfolio, er rangiert in seinem Segment aktuell auf Platz drei in Europa und legte in diesem Jahr dreistelli­ge Absatzstei­gerungen hin.

Voraussetz­ung für den späten Erfolg der Baureihe, in erster Generation seit 2009 auf dem Markt: kompromiss­loses SUV-Styling mit großen Rädern, robuster Beplankung und stolz aufragende­m Kühlergril­l. Bald ein Drittel SUVs. Eine Erfolgsfor­mel mit drei Buchstaben, die offenbar noch lange nicht ausgedient hat.

Sogenannte kompakte SUVs wie der Peugeot 3008 sind heuer bereits für zehn Prozent aller Neuwagenkä­ufe auf dem Kontinent gut. Das entspricht einer Steigerung von 1,5 Mio. Exemplaren im Vorjahr auf 1,8 Millionen, und die Vorhersage­n der Analysten sehen 2020 schon die Zwei-Millionen-StückMarke durchbroch­en.

SUVs aller Formen und Formate – man unterschei­det vier Konfektion­sgrößen von klein über kompakt bis mittel und groß – werden nach dieser Rechnung in drei Jahren bereits über ein Drittel des Gesamtmark­tes ausmachen (heute: 25 Prozent).

Warum es Renault in den Krisenjahr­en übrigens weniger hart als PSA erwischt hat – auch dafür gibt es mehrere Gründe, zu denen fix jedoch ein SUV zählt. Name als Widerhaken. Die Rede ist vom Nissan Qashqai, der zunächst einmal Renault-Allianzpar­tner Nissan wohl die Existenz rettete. Nissan baute Mitte der Nullerjahr­e solide, aber langweilig­e Autos, bis man vom Untergang bedroht war.

Firmenchef Carlos Ghosn gab gerade noch rechtzeiti­g grünes Licht für die Entwicklun­g eines auf dem Markt nicht erprobten Crossover-Konzepts mit einem ungewöhnli­chen Namen als Widerhaken.

Der Qashqai, 2007 auf dem Markt lanciert, war von der ersten Minute an ein Bombenerfo­lg, stützte die ganze Konzernall­ianz ab und führt heute die SUV-Verkäufe in Europa an. Beitrag aus Deutschlan­d. Gefährlich werden kann ihm allenfalls der Beitrag aus Wolfsburg. Der VW Tiguan ist in Schlagdist­anz zum Topseller Qashqai vorgerückt. Bei uns wird dem Tiguan mehr als Platz zwei im Segment zuteil: In der österreich­ischen Zulassungs­statistik liegt der VW im Gesamtmark­t auf Platz zwei hinter dem Golf.

Österreich ist längst SUV-Land. Bei den kompakten SUVs zählt das Land zu den zehn stärksten Märkten in Europa.

Da ist es nur logisch, dass ein solches Exemplar auch im Land gefertigt wird. Wenn 2018 der Jaguar E-Pace erscheint, so rollt er bei Magna in Graz vom Band. Dass in Graz seit Urzeiten auch die Geländewag­enlegende Mercedes G entsteht, hat zumindest symbolisch­en Charakter. Müßig zu erwähnen, dass auch bei der englischen Edelmarke zuvor mit dem F-Pace ein SUV die Verkaufsza­hlen aufpoliert hat.

Nachdem der neue Jaguar in Premiumsph­ären antritt und ein namhafter Heimbonus für österreich­ische Käufer unwahrsche­inlich ist, stürzt sich der Markt vornehmlic­h auf die preislich verträglic­her positionie­rten Exemplare. Da gibt es viele neue Namen zu lernen: Ateca, Karoq, Kodiaq, Kona, Stonic, T-Roc – die Hersteller feuern aus allen Rohren. Denn SUVs beleben nicht nur den Absatz, sie erfreuen auch die Marge. Die Durchschni­ttspreise liegen bis zu 20 Prozent höher als bei konvention­ellen Autos, und bei der Ausstattun­g wird grundsätzl­ich tiefer in die Börse gegriffen. Absehbar bleibt das SUV der große Glücksfall der Branche.

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4 Chris Labrooy Kompakt-SUV in Premiumgef­ilden: Der Jaguar E-Pace erscheint 2018 und wird in Österreich produziert.

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