Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Artgenossen etwas Gutes tun zu wollen – ihnen zu helfen oder sie zu beschenken – ist keine spezifisch menschliche Eigenschaft. Selbst Elstern und Spatzen sind prosozial.
Das Leben in freier Wildbahn ist kein Honiglecken. Es ist ein ständiger Kampf – um genügend Futter zu finden, den Lebensraum abzusichern, die Nachkommen zu verteidigen oder sich gegen Fressfeinde zu schützen. Aber das ist nur eine Seite. Neben all der Konkurrenz gibt es in der Natur auch viel Kooperation. Das beginnt bei Synergien zwischen verschiedenen Arten – etwa zwischen Pilzen und Bäumen, die sich gegenseitig „füttern“– und reicht hin bis zu selbstlosem Verhalten gegenüber Artgenossen – etwa bei uns Menschen, die wir unseren Mitmenschen helfen und ihnen Geschenke machen, ohne dass wir selbst einen (unmittelbaren) Nutzen davon hätten; man nennt diese Verhaltensweise prosozial.
Zwischen den beiden angeführten Extremen gibt es viele Abstufungen, verschiedene Formen von sozialem Verhalten wurden schon bei etlichen Tierarten gefunden. Wenig überraschend ist, dass einige – aber nicht alle – Primaten ihren Artverwandten gegenüber sehr hilfsbereit sind. Ähnliches zeigt sich aber auch bei Tierarten, bei denen man dies nicht vermuten würde. Etwa bei Vögeln. So praktizieren rund neun Prozent aller Vogelarten eine gemeinsame Brutpflege. Bei Spatzen beispielsweise helfen auch Vögel, die nicht unmittelbar an einer Brut beteiligt sind, beim Bau der Nester oder beim Füttern der Jungen mit.
Biologen machen sich seit Langem Gedanken darüber, was die Organismen von solchen Verhaltensweisen haben. Profitiert man als Individuum, wenn es der Gruppe, dessen Teil man ist, gut geht? Ist es die Erwartung, dass einem im Bedarfsfall selbst geholfen wird? Gibt es intrinsische Gründe, also z. B. so etwas wie ein gutes Gewissen oder gar Freude am Helfen oder Schenken? Letzteres unterstellen wir zumindest bei uns Menschen. Inwieweit das auch bei Tieren der Fall sein könnte, kann nicht beantwortet werden – wir haben keinen Zugang zur Gefühls- und Gedankenwelt von Tieren.
Auf jeden Fall sind Wissenschaftler immer wieder über das Verhalten von Tieren überrascht. Biologen der Uni Wien haben im Vorjahr ein uneigennütziges Verhalten bei Blauelstern festgestellt: Viele der untersuchten Tiere ließen ihren Artgenossen mittels eines Futterautomaten Leckerlis zukommen, ohne dass sie bei den Versuchen eine Chance hatten, selbst in deren Genuss zu kommen.
Prosoziales Verhalten ist also keine spezifisch menschliche Eigenschaft, sondern hat sich im Lauf der Evolution entwickelt. Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.