Heilende Trips?
Der Nutzen vieler Drogen als Medikamente blieb 50 Jahre lang unerkundet, weil LSD etc. verboten wurden. Nun tastet man sich wieder heran.
One pill makes you larger, and one pill makes you small ( . . . ) Go ask Alice, when she’s ten feet tall!“An diese Zeilen aus „White Rabbit“, mit dem Jefferson Airplane 1967 die Charts stürmten, erinnern sich viele, auch Mary Beth Aberlin tut es: Die Alice, von der die Rede ist, ist die, die im Wunderland und hinter den Spiegeln die unglaublichsten Dinge erlebt. Da schrumpft sie etwa, oder sie streckt sich, je nachdem, von welcher Seite eines Pilzes sie genascht hat, offenbar enthält der etwas, was die Grenzen des Bewusstseins sprengt bzw. sie erodieren lässt, ein Halluzinogen.
Von denen gibt es viele, und für alle suchten Mitte der 50er-Jahre zwei Kundige einen einenden Namen: der Schriftsteller Aldous Huxley und der Psychiater Humphry Osmond. Huxley, der keine Droge scheute, eröffnete: „To make this mundane world sublime/ Take half a gram of phanerothyme!“Osmond war auch nicht faul, weder bei Drogen noch beim Reimen: „To fathom hell or soar angelic/Just take a pinch of psychedelic!“(Beides bedeutet: die Seele offenbarend.)
Seitdem heißen sie so, die Drogen, mit denen erst Beatniks die Enge der Konventionen sprengen wollten und die dann auch politischen Protest befeuerten: „Drop acid (LSD), no bombs!“wurde 1967 gegen den Vietnamkrieg skandiert. Das Establishment reagierte, drei Jahre später waren alle Halluzinogene auf dem Index, auch daran erinnert (sich) Mary Beth Aberlin. Die ist nicht auf irgendeinem Trip, sie ist Herausgeberin des höchst seriösen Journals he Scientist und kündigt mit den Anekdoten eine Geschichte über die späte Renaissance der Halluzinogene an, als Drogen nicht der Rekreation, sondern der Medizin.
Begonnen hat alles – in der neuzeitlichen Kultur des Westens – Anfang der 30er-Jahre in der Fantasie des österreichischen Schriftstellers Leo Perutz. Er imaginierte in „St-Petri-Schnee“einen Massenwahn, der durch einen Getreidepilz ausgelöst wurde, Mutterkorn, in ihm steckt Lysergsäure. Ein Derivat da- von synthetisierte – nichts ahnend von Perutz – 1938 im Labor der Schweizer Pharmafirma Sandoz der Chemiker Albert Hofmann. Er hoffte auf ein Kreislaufmedikament, es wirkte nicht.
Als er aber am 19. April 1943 davon kostete und dann nach Hause radelte, wurde er erst von einem „Dämon“geplagt und dann von einem „unerhörten Farbenspiel“beglückt. Das Datum feiern LSD-Freunde heute noch als „Fahrradtag“, Hofmann und Sandoz hingegen ging es um Medizin, nun für psychisch Kranke – und ihre Ärzte: Psychologen sollten sich mit LSD besser in ihre Klienten hinein versetzen können. Bald kamen Studien, bis Ende der 60er-Jahre über tausend, es ging um das Befreien von Ängsten und Süchten. Die Befunde waren diffus, viele Studien waren den Namen kaum wert, die Teilnehmerzahlen waren winzig, doppelgeblindet wurde nicht. Und mit dem Aus für LSD war es auch mit der Forschung vorbei. Hofmanns Traum erfüllt. Erst ein halbes Jahrhundert später kam sie zurück, mühsam, bei einer Gruppe um Robert Cabert-Harris in London und einer um Franz Vollenweider in Zürich. Wieder ging es um Sucht und Ängste, lähmende Depressionen und drückende Todesfurcht bei unheilbar Krebskranken. Als in Zürich vor zehn Jahren das erste Experiment mit LSD zugelassen wurde, konnte Hofmann, 101 Jahre alt und völlig klar, mitfeiern: Der Traum seines Lebens habe sich erfüllt.
Die Befunde machten Hoffnung, aber wieder waren die Gruppen klein, und der Effekt von LSD war groß bzw. lang anhaltend, man versuchte Schwächeres: Psilocybin. Das steckt in Pilzen – Hippies als Magic Mushrooms vertraut, Älplern als narrische Schwammerl –, es hat eine geringere, aber im Grunde die gleiche Wirkung wie LSD, setzt auch am gleichen Signalweg an, dem für den Neurotransmitter Serotonin („Glückshormon“). An dessen Rezeptor bindet es, ihn aktiviert es.
Was sich dann im Gehirn abspielt, darauf konnte Stevens Rehen (Rio de Janeiro) gerade einen ersten Blick werfen, an einem linsengroßen Organoid, einem aus Stammzellen gezogenen Minigehirn: Das setzte er dem Sekret einer Kröte aus, in dem das Molekül 5-MeO-DMT ist, das LSD so ähnelt, dass die Kröte auch LSD-Kröte heißt: Das sorgte dafür, dass über tausend Gene anders aktiv wurden, es regelte manche hinauf, in Regionen für Lernen und Gedächtnis, andere herab, auch generell, etwa solche, die bei Entzündungen mitspielen (Scientific Reports 7:12863). Was diese molekularen Details im Großen bedeuten, ist noch wenig klar: Vollenweider vermutet eine gesteigerte Aktivität mancher Gehirnareale, Carhart-Harris eine verringerte Aufmerksamkeit von Kontrollinstanzen.
Und wo die partiellen Erfolge beim Dämpfen von Angst herrühren, ist auch unklar, die Testsituation kann mitspielen: Verabreicht werden die Drogen unter psychologischer Betreuung in heimeliger Umgebung. Und es kann etwas Überraschendes hinzukommen, Charles Nichols (Louisiana State University) bemerkte es bei einer LSD-ähnlichen Substanz an Ratten: SerotoninRezeptoren gibt es nicht nur in Gehirn, sondern überall im Körper. Und wenn die Substanz dort bindet, reguliert sie Entzündungen herab. Im Gehirn stehen die im Verdacht, zu Depressionen zu führen: So könnten Halluzinogene doppelt wirken, kurzfristig die Angst nehmen und langfristig ihre Ursache.
Das hätten auch die gern, die nicht in halluzinierte Welten geraten wie Alice, sondern unter so realen wie fürchterlichen Erinnerungen leiden, an Unfälle etwa oder, häufiger, den Krieg: 30 Prozent der US-Veteranen von Vietnam sind betroffen, bei denen vom Irak noch mehr: Sie haben etwas, was zwar einen Namen hat – posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) –, aber nicht verstanden ist und, in schweren Fällen, nicht therapierbar. Noch nicht: Manche Veteranen berichten Mirakel über eine Droge, die Veteranenverbände haben es vernommen, das Verteidigungsministerium auch. So hat die zuständige US-Behörde FDA am 16. August 2017 erstmals einen großen Test mit einer Droge freigegeben, MDMA, dem Amphetamin, das in den 80er-Jahren als Partydroge bekannt wurde: Ecstasy. In die bzw. Euphorie versetzt es, nicht in Halluzinationen, aber es wirkt auch über den Serotonin-Rezeptor, der ist offenbar der zentrale Spieler.