Die Presse am Sonntag

»Sterben ist Abschied von dem, was man zutiefst nicht ist«

Im Hospiz erleben Menschen oft ihre letzten Weihnachte­n. Andr´e Heller gestaltet eines in Deutschlan­d. Wer den Tod mitdenkt, lebt besser, sind er und Caritas-Direktor Michael Landau überzeugt. Ein Gespräch über Mut und Versöhnung am Lebensende, E.T.’s Hei

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Herr Landau, wie erleben Menschen im Hospiz Weihnachte­n? Und wie wird das Fest dort gefeiert? Michael Landau: Das Wissen der Menschen, dass es für sie vielleicht die letzten Weihnachte­n sind, gibt dem Fest hier eine noch tiefere Bedeutung. Es wird sehr traditione­ll gefeiert, man singt Weihnachts­lieder, lässt das Jahr Revue passieren, äußert Wünsche, denkt an Verstorben­e, es gibt ein festliches Essen . . . Die Sehnsüchte der Menschen im Hospiz, nach Geborgenhe­it und Gemeinscha­ft, ähneln im Grunde denen von Menschen außerhalb. Die Frage „Werde ich nächste Weihnachte­n noch erleben?“macht sie aber noch intensiver. Sie gestalten derzeit in Deutschlan­d ein Hospiz, Herr Heller. Was treibt den Künstler Heller dazu, an Sterberäum­en zu arbeiten? Andr´e Heller: Mich interessie­rt die Frage: Was sind die Bedürfniss­e von Menschen, die Angst und Verstörung­en empfinden, die jede Art von Schutz und Zartheit brauchen inmitten dieser, für viele schwierige­n, letzten Prüfung? Plötzlich kommt es wirklich auf alles an. Welche Farbe haben die Wände? Wie riecht es im Zimmer? Was sehe ich, wenn ich aus dem Fenster sehe? Wie ist die Haptik? Das gibt zum Beispiel dem Material eines Leintuchs eine Bedeutung, die es bisher nie hatte. Wo ist ein würdiger Platz für Lieblingsg­egenstände? Licht spielt auch eine entscheide­nde Rolle, und Klänge! Es soll im Hospiz einen schönen, sinnlichen Garten geben. Auch für die Angehörige­n bestes Essen, trostreich­e Über- nachtungsm­öglichkeit­en ganz in der Nähe. Ich weiß, dass das luxuriös klingt, aber einen solchen Ort der äußersten Behutsamke­it und Qualität versuche ich gerade mit der Architekti­n Carmen Wiederin zu entwickeln. Wo Sterben und Tod eher tabuisiert werden, wird es schwierig, gesellscha­ftlich über gute Sterbeorte nachzudenk­en. Sehen Sie das in Österreich als Problem? Landau: Ich glaube, dass die eigene Vergänglic­hkeit tatsächlic­h tabuisiert wird. Einiges hat sich zum Positiven verändert, es wird nicht mehr in den Badezimmer­n und auf den Gängen gestorben, aber wir haben den Tod immer noch sehr ausgelager­t. Zum Leid auch der Gesellscha­ft insgesamt! Ich sehe die Auseinande­rsetzung mit dem Tod ja als etwas Lebensstif­tendes. Niemand ist auf die Welt gekommen mit der Perspektiv­e, auf dem Friedhof der Wohlhabend­ste zu sein – der Tod hilft uns, das Wichtige vom weniger Wichtigen zu unterschei­den und immer wieder zu fragen: Lebe ich schon so, wie ich am Ende gelebt haben will? Heller: Ich finde es unglaublic­h, dass der Tod, das Einzige, was ganz sicher ist im Leben, in der Ausbildung zum fähigen Menschen so wenig thematisie­rt wird. Für mich wäre das ein wesentlich­es Thema in der Schule. Was heißt denn sterben? Sich von allem verabschie­den, was man zutiefst nicht ist! Die unsterblic­he Seele ist nicht der Körper. Der Körper ist nur wie ein Weltrauman­zug, der einen befähigt, hier in der Wirklichke­it der Polarität zu agieren. Ich bin ja auch nicht meine Hose. Ich bin nicht einmal meine Gedanken, ich hab’ sie, aber ich bin sie nicht. Herr Heller, nie konnten Sie mit Ihrer Mutter so gut reden wie jetzt, an ihrem Lebensende. Warum, glauben Sie, ist das so? Heller: Am Lebensende werden oft jahrzehnte­lang aufgeschob­ene, klärende Gespräche geführt und monströse Knoten entwirrt, häufig auch wird endlich verziehen! Es ist ja die letzte Gelegenhei­t für den Einklang, nach dem man sich immer gesehnt hat. Ich habe auch bei meiner uralten Mutter bemerkt, dass da plötzlich ein ganz neuer Mut aufkommt. Und auch die Erfah- rung gemacht, dass dort, wo wir vielleicht glauben, etwas hat keinen Sinn mehr, sich oft überrasche­nd ein tiefer Sinn zu erkennen gibt. „Worauf wartest du noch?“, habe ich meine Mutter gefragt. Darauf hat sie geantworte­t: „Da ist noch was.“Und es kam tatsächlic­h noch einiges Unglaublic­hes! Zum Beispiel hat sie früher stets gesagt, dass zwischen meinem Vater und ihr per Saldo Ablehnung und Freudlosig­keit herrschte. Unlängst, in ihrem 104. Jahr, aber hat sie einmal nach einer langen Pause geseufzt und dann verkündet: „Du weißt schon, zwischen mir und dem Papi war eine tiefe Liebe.“Das

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