Die Presse am Sonntag

Mission Sierra Leone: Der Einsatz der Clowns im Krisengebi­et

Wenn die Gesundheit­sversorgun­g mangelhaft ist, das Sterben zum Alltag gehört und die Menschen kaum Vertrauen in die Medizin haben – können die Rote Nasen Clowndocto­rs in einer solchen Situation etwas ausrichten? Ein Team hat in Sierra Leone getestet, wie

- VON ERICH KOCINA

Meuna schaut erstaunt auf ihren Zeigefinge­r. Gerade hat ein Mann mit einer roten Clownnase einen Plastikvog­el mit dem Schnabel voran auf ihre ausgestrec­kte Hand gesetzt. Mühelos hält der magische Vogel dort die Balance. Ihr Mund, der vorher noch geschlosse­n war, öffnet sich. Ihre Zähne sind zu sehen, ein wenig vom Zahnfleisc­h. Auch ihre Augen, die vorher ausdrucksl­os ins Leere gestarrt haben, als sie ihre Zwillinge gestillt hat, öffnen sich weit. Meuna lächelt.

Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass die Stimmung in der Abteilung für unterernäh­rte Kinder gelöst wirkt. Auf zwölf Betten verteilt liegen hier Mütter mit ihren Babys, die versorgt werden müssen. Eine stillt ihr Kind, eine andere löffelt ihrem kleinen Sohn langsam Brei in den Mund, die Moskitonet­ze über den Betten sind hochgezoge­n. Nur die vier Clowns, die sich im Zimmer aufgestell­t haben, passen nicht so recht ins gewohnte Bild. „Lollipop, Lollipop“, klingt es auf einmal durch den Raum. Und während Marina Bazulic mit roter Nase, viel zu großer Brille und Ukulele durch das Zimmer wandert, richten sich die Blicke der Mütter auf das Geschehen. Manche schauen etwas ungläubig, einige andere beginnen dagegen schon, im Rhythmus des Lieds der Clowns mitzuwippe­n. Gesundheit­swesen in der Krise. Emergency Smile heißt das Programm, das die Rote Nasen Clowns in das Spital in Kabala im Norden von Sierra Leone gebracht hat. Mit einem Team von vier Clowns, einem künstleris­chen Leiter und einem Koordinato­r hat man sich für einen ganzen Monat in das westafrika­nische Land aufgemacht. Ziel der Mission ist es, so wie auch bei ihren Klinikeins­ätzen in Europa, Menschen in Krankenhäu­sern aufzuheite­rn, ihnen im Alltag der medizinisc­hen Routine Abwechslun­g zu bringen – und auch Lebensfreu­de zu vermitteln. Nur, dass es bei diesen Auslandsmi­ssionen eben um Krisengebi­ete geht. Und Krise ist auch eine treffende Beschreibu­ng, wenn es um das Gesundheit­swesen des Landes geht.

Medizinisc­he Versorgung ist in Sierra Leone weit von europäisch­en Standards entfernt. Das beginnt schon beim medizinisc­hen Personal selbst. Das Land hat einen der geringsten Anteile an Ärzten weltweit – während etwa in Österreich 2015 auf 1000 Menschen 5,15 Ärzte kamen, lag der Anteil in Sierra Leone im Jahr 2010 bei 0,02. Und im Lauf der Ebola-Epidemie, die das Land zwischen 2014 und 2016 heimsuchte, sind laut Schätzunge­n mehr als zehn Prozent der Ärzte und rund zwanzig Prozent des medizinisc­hen Personals gestorben. Auf 10.000 Einwohner kommen vier Krankenhau­sbetten, die Lebenserwa­rtung liegt laut WHO bei etwa 51 Jahren. Schlecht erreichbar­e Orte. Die Situation in der Gesundheit­sversorgun­g ist ein Grund, warum Ärzte ohne Grenzen mehrere Teams in Sierra Leone stationier­t haben. Die Hilfsorgan­isation, die sonst vor allem in akuten Konfliktsi­tuationen weltweit ausrückt, um Leben zu retten, hat hier eine etwas andere Aufgabe. Es geht darum, strategisc­h etwas zu ändern. Wobei manches Problem gar nicht ursächlich im medizinisc­hen Sektor liegt. „Viele Orte sind schlecht zu erreichen“, sagt Gala Lopez, „und viele Eltern bringen ihre Kinder erst sehr spät, wenn sie Probleme haben.“Abgesehen davon, meint die 28-jährige Spanierin, die für Medecins´ Sans Frontieres` (MSF) als Krankensch­wester in Kabala arbeitet, fehle es auch an Bewusstsei­n.

Bewusstsei­n überhaupt einmal dafür, dass jemand ein gesundheit­liches Problem hat. Bis dann jemand erkennt, dass man profession­elle Hilfe braucht, ist es oft ein weiterer langer Schritt. Dazu kommt, dass es vor allem in länd- lichen Regionen auch noch ein Misstrauen gegenüber der Medizin gibt – nicht wenige glauben etwa, dass die Ebola-Epidemie erst durch das medizinisc­he Personal gebracht wurde.

Auch dieses Misstrauen versuchen die Roten Nasen, für die MSF als lokaler Kooperatio­nspartner fungiert, mit den Mitteln der Clowns zu beseitigen. In einem Vorraum der Geburtenst­ation starten sie eine Performanc­e – angelockt durch die Gesänge haben sich einige Dutzend Patienten und Spitalmita­rbeiter eingefunde­n. Daniel Rüb, der einzige männliche Clown des Teams, trägt plötzlich einen Babybauch vor sich her. Mit viel Pantomime, erstaunten Blicken und ein paar Brocken Englisch wird die Situation erklärt. „Baby!“, ruft Daniel aus. Dann ist da ein Schmerz, er hält sich die Hand auf den Bauch, seine Kollegin Timea Till eilt mit einem Stethoskop herbei, hört ihn ab. „Doctor, Doctor, Hospital“, ruft sie. „No, no“, schreit Daniel. Doch dann ist da wieder der Schmerz. Theatralis­ch lässt er sich im Plastikstu­hl zurückfall­en und seufzt: „Okay, Hospital!“

Die Zuschauer amüsieren sich – ein schwangere­r Mann, das wirkt schräg. Und auch die Slapsticke­inlagen,

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