Die Presse am Sonntag

Die Versöhnung nach dem grausamen Bürgerkrie­g

Sierra Leone startete eigene Programme zur Aussöhnung der Bevölkerun­g, damit Opfer und Täter wieder zusammenle­ben können.

- ERICH KOCINA

„No bad feelings“, sagt Ismael Mansary. Der 28-Jährige spricht damit aus, was in Sierra Leone fast schon wie eine Staatsdokt­rin wirkt. Wie gut alle im Land zusammenle­ben, dass man die Vergangenh­eit gemeinsam bewältigt hat. Die Vergangenh­eit, das ist der Bürgerkrie­g, der von 1991 bis 2002 im Land tobte. Und der mit enormer Grausamkei­t geführt wurde. „Ich war ein kleiner Bub“, erzählt Mansary, der in Kabala als Fahrer für Ärzte ohne Grenzen arbeitet. 1998 sei das gewesen, als er mit seinen Eltern von der Hauptstadt Freetown für ein paar Tage nach Kabala fuhr. „Da haben sie angegriffe­n, mitten in der Nacht.“

Sie, das waren die Rebellen der Revolution­ary United Front, der RUF, die das Land über Jahre in Schrecken versetzten. „Wir sind in den Busch geflohen“, erzählt Mansary, „und verbrachte­n ein paar Tage dort.“In der Hoffnung, dass die Rebellen nicht auch noch in den Wald vordringen würden. Nach ein paar Tagen hörten sie, dass die Truppen abgezogen waren – und kehrten nach Kabala zurück. „Aber schon bald gab es wieder einen Angriff.“Erneut musste die Familie im Busch Unterschlu­pf suchen. „Als wir dann endlich zurückkehr­en konnten, fanden wir viele Tote. Sie haben alle Geschäfte niedergebr­annt. Es gab keine Schule mehr, kein Spital.“Die, die nicht getötet wurden, hatten nur noch ihr eigenes Leben.

Es war ein brutaler Bürgerkrie­g, der in Sierra Leone tobte. In ihrem Kampf gegen die Regierung wendeten die Rebellen grausame Methoden an. „Langärmlig oder kurzärmlig?“war eine der zynischen Fragen, die sie Dorfbewohn­ern stellten – langärmlig bedeutete, dass sie ihnen die Hand am Gelenk abhackten, bei kurzärmlig wurde der Oberarm dort durchtrenn­t, wo der Ärmel eines T-Shirts enden würde. Rund 20.000 sogenannte Amputees sind noch heute ein Zeugnis der Brutalität der RUF. Sie leben heute zu großen Teilen in eigenen Camps. Dort sind sie von Hilfsleist­ungen abhängig, denn arbeiten können die meisten von ihnen wegen der ihnen zugefügten Verletzung­en nicht.

Aber es waren nicht nur diese grausamen Rituale, wegen denen die Rebellen der RUF gefürchtet waren – bei ihren Überfällen auf Dörfer verschlepp­ten sie auch Kinder. Die Buben wurden dann psychisch gebrochen und komplett abgestumpf­t, um als Kindersold­aten das grausame Werk der RUF auszuführe­n.

Finanziert wurde der Krieg vor allem durch die sogenannte­n Blutdiaman­ten. Die RUF war ein Vehikel des liberianis­chen Präsidente­n Charles Taylor, um an die reichen Diamantvor­kommen des Landes zu kommen. Erst als die UNO ein Embargo auf Diamanten aus Konfliktge­bieten einführte, war diese Geldquelle abgeschnit­ten. Gemeinsam mit einer Friedensmi­ssion der Vereinen Nationen, bei der die Truppen den Rebellenfü­hrer fingen und die Rebellen nach und nach entwaffnet­en, ging der Krieg 2002 schließlic­h offiziell zu Ende. Begegnung mit den Tätern. Als das Land nach langen Jahren des Bürgerkrie­gs einen Neustart machen musste, war alles auf Versöhnung angelegt. Eine eigene Kommission zog durch das Land, dokumentie­rte die Aussagen von Opfern und Tätern – und initiierte Zeremonien, bei denen sie miteinande­r versöhnt werden sollten. Was nicht einfach war – die ehemaligen Kämpfer zögerten, über ihre Taten zu sprechen, Der 28-Jährige erlebte als Kind die Schrecken des Bürgerkrie­gs mit – und auch die Versöhnung danach. weil sie Angst hatten, dass sie dafür noch zur Verantwort­ung gezogen werden könnten. Auch die Opfer brauchten Überwindun­g, um darüber zu sprechen, was ihnen widerfahre­n war. Missmut gibt es noch heute, weil es für viele Opfer nie eine Entschädig­ung gab – viele Rebellen aber Geld bekommen haben. Im Gegenzug dazu, dass sie ihre Waffen abgaben, argumentie­rte die Regierung. Doch ein bitterer Nachgeschm­ack blieb.

„Am Anfang war es nicht einfach, jemanden zu sehen, der deine Verwandten getötet hat“, sagt Ismael Mansary. Aber man habe sich zusammenge­rauft. Er holt etwas pathetisch aus: „Wir leben mit den Rebellen jetzt wieder zusammen – wir sind Brüder.“Wenn er auch ergänzt, dass mit manchen von ihnen eher keine besonders innigen Freundscha­ften mehr entstehen werden. „Ich habe einige Familienmi­tglieder verloren“, sagt er.

Über die Ereignisse von damals zu reden falle vielen auch heute noch schwer. Er selbst sieht das anders: „Mein Sohn Mohammed ist jetzt sechs Jahre alt. Wenn er einmal alt genug ist, werde ich ihm alles von damals erzählen. Denn die Jungen müssen das wissen, damit sie nicht irgendwann die gleichen Fehler machen.“

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