Musik schenkt man Königen und dem Publikum
Ein kleiner Versuch über die musikalische Zugabe, die in früheren Zeiten meist üppiger ausfiel als heutzutage – und gern auch mitten in einem Konzert gewährt wurde. Nicht nur zu Neujahr.
Eine musikalische Gabenbereitung findet nach altem Brauch nach offiziellem Schluss eines Konzertes statt. Früher einmal wurde ein Stück – etwa auch beim Wiener Neujahrskonzert – gleich noch einmal gespielt, wenn der Applaus nur üppig genug ausfiel. Heute wäre eine solch spontane Geste nicht mehr denkbar – der strenge Fahrplan der Eurovisionsübertragung schließt dergleichen Spontaneität aus. Ganz abgesehen von den mindestens ebenso rigiden künstlerischen Überzeugungen eines Maestros vom Format Riccardo Mutis, der 2018 wieder einmal an der Reihe ist . . .
Beim eleganten Clemens Krauss bekam man noch einen Abglanz einstiger Zugabenseligkeit mit und durfte an die Zeit zurückdenken, als Joseph Haydn in London in einen friedlichen Symphonienwettstreit mit seinem Schüler Ignaz Pleyel trat. Am 23. März 1792 war das Publikum über den bald legendären „Paukenschlag“in der Symphonie Nr. 94 so verblüfft, dass man ihn sofort da capo verlangte. Paukenschläge. „Ich war daran interessiert“, berichtete der Komponist seiner Freundin nach Wien, „das Publikum mit etwas Neuem zu überraschen, und einen brillanten Beginn zu machen, damit mein Student Pleyel mich nicht übertreffen könne. Der Enthusiasmus erreichte seinen Höhepunkt beim Andante mit dem Trommelschlag. ,Encore! Encore!‘, kam es aus allen Kehlen, und Pleyel selbst beglückwünschte mich zu meiner Idee.“
Damals gab es, wie wir von Mozart wissen, Applaus sogar mitten in die Musik hinein, wenn ein Einfall besonders originell schien. Zugaben wurden denn auch sofort gewährt, nicht erst am Ende des Konzerts.
Das ist heute ebenso verpönt wie der Applaus mitten in einer Opernszene. Freilich: Das Publikum erzwingt hie und da mittels freudiger Begeisterungsausbrüche Unterbrechungen, wo in der Partitur gar keine vorgesehen sind. Vor nicht allzu langer Zeit war dergleichen in Ausnahmefällen sogar bei Wagner möglich – vor allem im „Lohengrin“, wenn Christa Ludwig als Ortrud die „Entweihten Götter“anrief; da musste sogar Karl Böhm kleinbeigeben und abbrechen.
Heutzutage fehlt dem Publikum das kollektive Gefühl für die Stellen, an denen ein Applaus einsetzen müsste, um „durchzugehen“. Ein erzwungenes Dacapo, also eine wirklich spontane „Zugabe“, war in Wien in den vergangenen Jahrzehnten nur zweimal zu erleben: nach der Cabaletta des Ezio in der Premiere von Verdis „Attila“, nachdem Bariton Piero Cappuccilli mit einem tenoralen hohen B überraschte – und zuletzt, viel diskutiert, im dritten „Tosca“-Akt, wo das Publikum die Aufführung fünf Minuten lang unterbrach, um Jonas Kaufmann zu zwingen, die „Sternen-Arie“zu wiederholen, obwohl er zuvor verkündet hatte, das garantiert nicht tun zu wollen. Tenorale Geschenke. Über „Encores“, die Placido Domingo oder Luciano Pavarotti gewährten, war der Stehplatz hingegen meist vorab informiert. Die Zeiten, in denen ein Sänger wie Benjamino Gigli nach einem Benefizkonzert im Teatro Fenice noch ein mitter- nächtliches Arienrecital auf dem Markusplatz improvisierte – Anton Kuh berichtete 1926 davon –, waren da längst vorbei. Das waren späte Ausläufer jener Zugabenorgien, wie sie Virtuosen seit Franz Liszts Zeiten veranstalteten.
Dessen Schüler Emil von Sauer gab Encores sogar bereits vor der Pause. Heutige Pianisten halten es lieber mit Rudolf Buchbinder, der nach bestimmten inhaltsschweren Kompositionen lieber gar keine Zugabe gibt – oder wohlüberlegt etwa auf Beethovens letzte Klaviersonate op. 111 die 100 Jahre jüngere Sonate Alban Bergs folgen lässt, wie um das Publikum zu fragen, welche Musik hier „moderner“klinge.
Apropos Beethoven: Er foppte seinen Verleger Diabelli, indem er statt der einen bestellten Variation über dessen Walzerthema gleich 33 lieferte. Andras´ Schiff nahm den Ball auf und spielte einmal diesen ganzen Riesenzyklus als „Zugabe“– nicht ohne das Publikum vorab zu warnen, es werde nun etwas länger dauern als üblich . . .
Länger als üblich dauerte auch die Ansage einer Zugabe durch Daniel Barenboim, der, um das Wagner-Verbot in Israel zu durchbrechen, im Anschluss an das offizielle Programm seiner Staatskapelle Berlin 2001 in Tel Aviv 40 Minuten mit dem Publikum diskutierte, ehe Vorspiel und Liebestod aus dem „Tristan“erklingen konnten.
Die luxuriöseste Draufgabe der Musikgeschichte lieferte freilich der alte Bach Friedrich dem Großen. Dieser hatte dem Komponisten ein Thema zu einer Fugenimprovisation vorgegeben – und wünschte, nach bravouröser dreistimmiger Lösung noch eine sechsstimmige Fuge zu hören. Der Meister erbat sich Bedenkzeit – und übersandte dann sein „Musikalisches Opfer“mit dem „Ricercar a 6“samt etlichen hochkomplexen Kanons und einer Mustersonate für den damals gerade aufkeimenden „empfindsamen“Stil.