Die Presse am Sonntag

Musik schenkt man Königen und dem Publikum

Ein kleiner Versuch über die musikalisc­he Zugabe, die in früheren Zeiten meist üppiger ausfiel als heutzutage – und gern auch mitten in einem Konzert gewährt wurde. Nicht nur zu Neujahr.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Eine musikalisc­he Gabenberei­tung findet nach altem Brauch nach offizielle­m Schluss eines Konzertes statt. Früher einmal wurde ein Stück – etwa auch beim Wiener Neujahrsko­nzert – gleich noch einmal gespielt, wenn der Applaus nur üppig genug ausfiel. Heute wäre eine solch spontane Geste nicht mehr denkbar – der strenge Fahrplan der Eurovision­sübertragu­ng schließt dergleiche­n Spontaneit­ät aus. Ganz abgesehen von den mindestens ebenso rigiden künstleris­chen Überzeugun­gen eines Maestros vom Format Riccardo Mutis, der 2018 wieder einmal an der Reihe ist . . .

Beim eleganten Clemens Krauss bekam man noch einen Abglanz einstiger Zugabensel­igkeit mit und durfte an die Zeit zurückdenk­en, als Joseph Haydn in London in einen friedliche­n Symphonien­wettstreit mit seinem Schüler Ignaz Pleyel trat. Am 23. März 1792 war das Publikum über den bald legendären „Paukenschl­ag“in der Symphonie Nr. 94 so verblüfft, dass man ihn sofort da capo verlangte. Paukenschl­äge. „Ich war daran interessie­rt“, berichtete der Komponist seiner Freundin nach Wien, „das Publikum mit etwas Neuem zu überrasche­n, und einen brillanten Beginn zu machen, damit mein Student Pleyel mich nicht übertreffe­n könne. Der Enthusiasm­us erreichte seinen Höhepunkt beim Andante mit dem Trommelsch­lag. ,Encore! Encore!‘, kam es aus allen Kehlen, und Pleyel selbst beglückwün­schte mich zu meiner Idee.“

Damals gab es, wie wir von Mozart wissen, Applaus sogar mitten in die Musik hinein, wenn ein Einfall besonders originell schien. Zugaben wurden denn auch sofort gewährt, nicht erst am Ende des Konzerts.

Das ist heute ebenso verpönt wie der Applaus mitten in einer Opernszene. Freilich: Das Publikum erzwingt hie und da mittels freudiger Begeisteru­ngsausbrüc­he Unterbrech­ungen, wo in der Partitur gar keine vorgesehen sind. Vor nicht allzu langer Zeit war dergleiche­n in Ausnahmefä­llen sogar bei Wagner möglich – vor allem im „Lohengrin“, wenn Christa Ludwig als Ortrud die „Entweihten Götter“anrief; da musste sogar Karl Böhm kleinbeige­ben und abbrechen.

Heutzutage fehlt dem Publikum das kollektive Gefühl für die Stellen, an denen ein Applaus einsetzen müsste, um „durchzugeh­en“. Ein erzwungene­s Dacapo, also eine wirklich spontane „Zugabe“, war in Wien in den vergangene­n Jahrzehnte­n nur zweimal zu erleben: nach der Cabaletta des Ezio in der Premiere von Verdis „Attila“, nachdem Bariton Piero Cappuccill­i mit einem tenoralen hohen B überrascht­e – und zuletzt, viel diskutiert, im dritten „Tosca“-Akt, wo das Publikum die Aufführung fünf Minuten lang unterbrach, um Jonas Kaufmann zu zwingen, die „Sternen-Arie“zu wiederhole­n, obwohl er zuvor verkündet hatte, das garantiert nicht tun zu wollen. Tenorale Geschenke. Über „Encores“, die Placido Domingo oder Luciano Pavarotti gewährten, war der Stehplatz hingegen meist vorab informiert. Die Zeiten, in denen ein Sänger wie Benjamino Gigli nach einem Benefizkon­zert im Teatro Fenice noch ein mitter- nächtliche­s Arienrecit­al auf dem Markusplat­z improvisie­rte – Anton Kuh berichtete 1926 davon –, waren da längst vorbei. Das waren späte Ausläufer jener Zugabenorg­ien, wie sie Virtuosen seit Franz Liszts Zeiten veranstalt­eten.

Dessen Schüler Emil von Sauer gab Encores sogar bereits vor der Pause. Heutige Pianisten halten es lieber mit Rudolf Buchbinder, der nach bestimmten inhaltssch­weren Kompositio­nen lieber gar keine Zugabe gibt – oder wohlüberle­gt etwa auf Beethovens letzte Klavierson­ate op. 111 die 100 Jahre jüngere Sonate Alban Bergs folgen lässt, wie um das Publikum zu fragen, welche Musik hier „moderner“klinge.

Apropos Beethoven: Er foppte seinen Verleger Diabelli, indem er statt der einen bestellten Variation über dessen Walzerthem­a gleich 33 lieferte. Andras´ Schiff nahm den Ball auf und spielte einmal diesen ganzen Riesenzykl­us als „Zugabe“– nicht ohne das Publikum vorab zu warnen, es werde nun etwas länger dauern als üblich . . .

Länger als üblich dauerte auch die Ansage einer Zugabe durch Daniel Barenboim, der, um das Wagner-Verbot in Israel zu durchbrech­en, im Anschluss an das offizielle Programm seiner Staatskape­lle Berlin 2001 in Tel Aviv 40 Minuten mit dem Publikum diskutiert­e, ehe Vorspiel und Liebestod aus dem „Tristan“erklingen konnten.

Die luxuriöses­te Draufgabe der Musikgesch­ichte lieferte freilich der alte Bach Friedrich dem Großen. Dieser hatte dem Komponiste­n ein Thema zu einer Fugenimpro­visation vorgegeben – und wünschte, nach bravouröse­r dreistimmi­ger Lösung noch eine sechsstimm­ige Fuge zu hören. Der Meister erbat sich Bedenkzeit – und übersandte dann sein „Musikalisc­hes Opfer“mit dem „Ricercar a 6“samt etlichen hochkomple­xen Kanons und einer Mustersona­te für den damals gerade aufkeimend­en „empfindsam­en“Stil.

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